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Biodynamie (biodynamischer Weinbau)

Biodynamischer Weinbau orientiert sich am anthroposophischen Ansatz von Rudolf Steiner (1861-1925) und geht auf acht Vorträge zurück, die er 1924, wenige Monate vor seinem Tod, in Koberwitz in der Nähe von Breslau gehalten hat. Diese Vorträge wurden als „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ beziehungsweise „Landwirtschaftlicher Grundkurs“ veröffentlicht und sind Steiners einzigen Ausführungen zur Landwirtschaft. Die Biodynamie ist deshalb eher als ein Impuls von ihm für die Landwirtschaft zu begreifen, als dass er hier eine abgeschlossene Theorie entwickelt hätte. Biologisch-dynamischer Weinbau ist entsprechend auch eher auf die jeweilige Praxis eines landwirtschaftlichen Betriebs bezogen, es geht weniger um nicht unumstrittene geisteswissenschaftliche Aspekte der von Steiner entwickelten Anthroposophie.

Der Begriff biologisch-dynamisch stammt dabei gar nicht von Steiner selbst, sondern, wie Romana Echensperger, Master of Wine, in ihrem Buch „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ (2020) über das biodynamische Winzerhandwerk berichtet, von zwei Kursteilnehmern, die damit zum einen auf die biologische Ausrichtung bei Düngung und Bodenfruchtbarkeit hinweisen wollten, sowie auf die „dynamische“ Einbindung von Äther- und Astralkräften, mit denen man sich von der konventionellen Landwirtschaft abgrenzen wollte. Steiner ging es mit seiner anthroposophischen Landwirtschaft darum, geisteswissenschaftliche Aspekte mit naturwissenschaftlichen zu verbinden. Landwirtschaftliche Praxis sollte insofern aus einem holistischen Verständnis heraus begriffen werden, also idealweise auch vor dem Hintergrund jeweils aktueller Erkenntnisse.

Anthroposophisch bedeutet, dass Rudolf Steiner bei seinen Überlegungen stets vom Menschen ausgeht – er bildet die Grundlage seiner Konzeption –, wobei er in diesem Zusammenhang vier Seinsebenen beschreibt, die den Menschen mit seiner Umwelt verbindet:

  • den Physischen Leib, der ihn mit dem Mineralreich verbindet,
  • den Ätherleib, der ihn mit der Flora verbindet (in ihm vollziehen sich die grundlegenden Lebens- und Wachstumsprozesse, wobei dazu auch kosmische Kräfte und rhythmische Prozesse wie die Jahreszeiten gehören),
  • den Astralleib, der den Menschen mit der Fauna verbindet (und in dem Empfindungen und Begierden versammelt sind) sowie
  • das Ich als höchster Wesenskern, Quelle des Bewußtseins und Erlebens, Zentrum der Persönlichkeit und Grundlage für den denkenden und gestaltenden Menschen

Die Seinsebenen sollen das Verhältnis von Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen zueinander ordnen, wobei dem Menschen natürlich auch hinsichtlich aktueller klimatischer Veränderungen und damit verbundener Umweltprobleme eine große Verantwortung zukommt. Entsprechend soll, wie Echensperger bemerkt, „(d)er anthroposophische Winzer oder Landwirt … dieser Verantwortung gerecht werden, indem er sich um die Verlebendigung der Böden kümmert und den Pflanzen- und Tierarten ermöglicht, ihre Wesensart entfalten zu können“.

Dazu gehört, die innerbetrieblichen Abläufe so zu organisieren, dass die Beziehung zwischen Boden, Pflanze, Tier und Mensch als Organismus entsteht. Steiners Ideal ist ein Hoforganismus, in den auch Tiere eingebunden sind, wie das in der Landwirtschaft früher – vor der Spezialierung der Betriebe seit den 1960er Jahren – üblich war, als Wein- und Ackerbau sowie Viehwirtschaft noch parallel betrieben wurden. Der Hoforganismus im Sinne eines geschlossenen Betriebskreislaufes soll nicht zuletzt dazu führen, dass man insbesondere hinsichtlich der Humus- und Düngerwirtschaft autark ist und sich auch von der Abhängigkeit von industriell hergestellten, synthetischen Düngemitteln befreit. Ein Komposthaufen ist für ökologischen Weinbau dabei unentbehrlich: Mist entwickelt sich darin zu einem fruchtbaren Ton-Humus-Komplex und im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Nährboden für Mikroorganismen – und damit das Leben überhaupt.

Die Umstellung auf Tierhaltung ist angesichts der Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe heutzutage eine kaum noch organisierbare Herausforderung, denn ganz abgesehen von fehlendem Wissen und Erfahrung sind bisweilen auch die baulichen Voraussetzungen dafür inzwischen gar nicht mehr vorhanden. Deshalb suchen einige biodynamisch arbeitende Winzer die Zusammenarbeit mit Viehbauern, um beispielsweise Pferde für eine schonende Bearbeitung der Weinberge einzusetzen. Hauptsächlich aber geht es um Mist und die Kompostwirtschaft, das heißt die Düngung.

Anders als bei einem verantwortungsvollen Umgang mit Vieh und der Nutzung von dessen Mist, sorgte Massentierhaltung bisher, wie Echensperger schreibt, „für Gülleüberschüsse und mit Kunstdünger behandelte Monokulturen – wie sie auch im Weinbau verbreitet sind – für eine Verarmung der Böden“ und einen Humusabbau. Trotzdem hat die Chemieindustrie mit ihren synthetischen Stickstoffdüngern die Landwirtschaft lange Zeit bestimmt – und eben dafür gesorgt, dass der weniger effektive Stallmist, der davor zur Düngung der Felder benutzt wurde, liegen blieb.

Stickstoff ist ein zentraler Bestandteil allen Lebens. Er kann von der Pflanze jedoch nicht über die Luft aufgenommen werden, sondern nur aus dem Boden. Der Stickstoffgehalt des Bodens ist insofern entscheidend für seine Fruchtbarkeit, weshalb man in der konventionellen Landwirtschaft bisweilen auf künstliche Stickstoffdünger zurückgegriffen hat. Stickstoff ist allerdings flüchtig und spaltet sich schnell unter anderem in Nitrat auf, dass das Grundwasser belastet, wenn es nicht gebunden ist wie beispielsweise bei der Düngung mit Stallmist durch Stroh oder auch durch Leguminosen. Insbesondere auch deshalb ist Biodiversität in der Landwirtschaft und im Weinbau wichtig, um ein Gleichgewicht herzustellen und insbesondere auch wegen der Stickstoffversorgung.

Um sich von der Agrarchemieindustrie unabhängig zu machen hilft zum Beispiel Begrünung zwischen den Rebzeilen (von Demeter ist Bodenbedeckung vorgeschrieben), die darüber hinaus auch als natürlicher Erosions– und Verdunstungsschutz dient sowie zur Durchlüftung des Bodens. Oftmals werden zur Kontrolle der Begrünung auch Ziegen direkt im Weinberg eingesetzt. Außerdem werden im biodynamischen Weinbau alternative stickstoffhaltige, aber biologische Präparate verwendet, die zur Aktivierung des Bodenlebens dienen.

Die Nutzung von biologischen Präparaten ist ein wesentlicher Bestandteil der Biodynamie. Acht verschiedene werden benutzt: neben den beiden sogenannten Feldspritzpräparaten Hornmist und Hornkiesel noch solche, die dem Kompost zugesetzt werden, wobei sowohl tierischer Mist als auch gemahlenes Quarz verwendet werden, überwiegend jedoch pflanzliche Bestandteile. Hergestellt werden die Präparate, indem man sie in homöopatischen Dosen in Regenwasser „dynamisiert“, das heißt eine Stunde lang in wechselnder Richtung verrührt. Damit soll die Wirkung des Präparats auf das Wasser übertragen werden, das dann – im Fall der beiden Feldspritzpräparate Hornmist und Hornkiesel – anstelle synthetischer Düngemittel verspritzt wird.

Im biodynamischen Weinbau versteht man den Rhythmus der Natur als Zusammenspiel zwischen den natürlichen Kreisläufen (der Sonneneinfluss bei der Photosynthese sowie die Wirkung des Mondes auf alles Wässrige wie beispielsweise bei den Gezeiten) und den kosmischen Energien. Nachdem der Mensch sich im Materialismus „von Gott, von den alten Zusammenhängen“ befreit habe, müsse er „diese Verbindungen aber auf einer höheren Ebene“ wiederfinden, schreibt Steiner. So vergräbt man beispielsweise mit gemahlenem Quarz (Hornkieselpräparat) oder Kuhmist (Hornmistpräparat) gefüllte Kuhhörner sechs Monate im Boden, wo sie Licht, Wärme oder Lebenskräfte anreichern. Dadurch verwandelt sich der Mist in eine humusähnliche Substanz, die, in Wasser aufgerührt, im Weinberg als ausgleichendes und stärkendes Präparat versprüht wird. Das erfolgt im Fall des Hornmistes, der das Bodenleben anregen soll, zu Beginn der vegetativen Wachstumsphase im Frühjahr, während der Hornkiesel nach der Sommersonnenwende ausgetragen wird, wenn die Rebe vom vegetativen ins generative Wachstum wechselt und ihre Kräfte auf die Reifung der Trauben hin konzentriert.

Auch die sogenannten Kompostpräparate wie Schafgarbe, Brennessel, Löwenzahn, Kamille, Eichenrinde, Schachtelhalm oder Baldrian werden teilweise über den Winter in tierischen Hüllen vergraben (zum Beispiel getrocknete Kamillenblüten im Dünndarm eines Rindes oder Schafgarbe in der Blase eines Hirsches). Sie sollen den Kompostprozeß ordnen und ebenso durchdringen, sodaß er dann wirkungsvoll im Weinberg ausgebracht werden kann. Hier soll es auch zu einer Verbindung der von Steiner beschriebenen Seinsebenen kommen: Der Mensch (Ich) vergräbt das Pflanzliche (Ätherleib) in einer tierischen Hülle (Astralleib) im Boden (physischer Bereich).

Folgende Wirkstoffe schreibt man, altem Heilkräuterwissen entsprechend, den Präparaten zu:

  • Hornmist soll die Wurzeln der Rebstöcke kräftigen.
  • Hornkiesel soll die Lichtsensibilität der Pflanze steigern.
  • Schafgarbe fördert die Kaliprozesse der Rebe, die wiederum die Photosyntheseprozesse beeinflussen (Kali ist wie Kalzium oder Phosphor ein wichtiger Pflanzennährstoff). Früher hat man die Schafgarbe angeblich auch direkt in den Wein getan, um den Wein zu stabilisieren und vor Oxidation zu schützen – anstelle von Schwefel. Die Schafgarbe hat also eine richtige Schwefelwirkung und hilft dem Wein sich gegen Mikroben zu wehren.
  • Kamille dient der Kalziumversorgung,
  • Eichenrinde ebenso.
  • Brennessel harmonisiert die Stickstoffprozesse.
  • Löwenzahn fördert die Kaliumprozesse und
  • Baldrian soll mit seinem Phosphorgehalt die Wärmekräfte der Reben steigern.

Anstelle eines materiell-stofflichen Ansatzes arbeitet man hier also mit einem Kraftaustausch: Der Boden soll nicht wie in der konventionellen Landwirtschaft mit stofflichen Mitteln gedüngt werden, sondern die extrem verdünnten Präparate, die auf die Reben oder den Boden gespritzt werden, sollen nur einen Impuls weitergeben – was offenbar auch tatsächlich geschieht, wie etliche Studien inzwischen belegen können und die Winzer aus Erfahrung berichten. Auch ohne an kosmische Energien glauben zu müssen, kann man das zum Beispiel direkt an der veränderten Blattstellung des Weinstocks nach dem Spritzen des Hornkieselpräparates sehen: Die Blätter zeigen dann deulich wahrnehmbar trichterförmig in Richtung Sonne (und erhöhen so die Effizienz der Photosynthese).

Da es keine ökologisch-systemischen Pflanzenschutzmittel gibt, ist für biodynamisch arbeitende Winzer vorgeschrieben, mehrmals im Jahr verschiedene natürliche Präparate auszubringen: Im Gegensatz zu den synthetischen Spritzmitteln im konventionellen Weinbau, die in die Pflanze eindringen und so von innen heraus eine Langzeitwirkung entfalten, sind die biodynamischen Präparate Kontaktmittel, die nach jedem Regen abgewaschen werden. Hinzu kommt, dass Bioweinbau immer präventiv ist, nicht kurativ, denn wenn die Probleme da sind, ist aus ökologischer Perspektive kaum mehr etwas zu machen.

Bei der Schädlingsbekämpfung kann aber auch hier nur schwer auf Kupfer verzichtet werden: Grundsätzlich wird Pilzbefall (hauptsächlich Mehltau) im Weinbau – und nur hier – durch das Spritzen von Kupfer (im konventionellen Anbau in Verbindung mit Schwefel in Form einer Kupfersulfatlösung, der sogenannten „Bordelaiser Brühe“) präventiv begegnet. Wurden früher bis zu 40 Kilogramm gespritzt (was mitunter zu einer Schwermetallbelastung des Bodens führte), erlaubt die EU heute noch sechs Kilogramm reines Kupfer pro Hektar und Jahr – Demeter immerhin noch drei Kilogramm.

Da diese Präparate jeweils einzeln ausgebracht werden müssen, steigen natürlich die Arbeitsstunden im Weinberg und dadurch auch die Betriebskosten. Gleichwohl kann damit jedoch vielleicht auch eine Befreiung aus Abhängigkeiten und insgesamt eine größere Lebensqualität erreicht werden, wie Echensperger zu bedenken gibt. Schon Rudolf Steiner wollte mit der anthroposophischen Landwirtschaft die gesundenen Aspekte betonen, weshalb er auch das sogenannte „Salutogeneseprinzip“ herausstellte. Echensperger bemerkt in diesem Zusammenhang: „Das Wort Salutogenese setzt sich zusammen aus dem lateinischen Wort `salus´: Gesundheit, und dem griechischen Wort `genesis´: Ursprung. Der Mensch soll selbst die Voraussetzung für seine Gesundheit kennen und schaffen.“

Das Salutogeneseprinzip bietet Landwirten und Winzern einen Perspektivwechsel insofern an, als es hier nicht darum geht, die Pathogenese von Krankheiten zu verstehen, um diese dann zu heilen beziehungsweise zu verhindern, sondern – und das ist ein ganz und gar zukunftsorientierter, unromantischer Gedanke – um die Frage, was Mensch, Tier, Pflanze und Boden brauchen, um nachhaltig gesund sein zu können. Im Hinblick darauf muß jeder Winzer diese Frage nach den Notwendigkeiten beziehungsweise dem rechten Maß für sich selbst beantworten – so wie jeder seinen eigenen Zugang zur Biodynamie hat: der eine betont mehr das Praktische und Biologische, der andere die Arbeit mit den dynamischen Kräften.

Dogmatische Antworten haben jedenfalls hier wie dort keinen Sinn. Letztlich geht es darum, einen unverwechselbaren und authentischen Geschmack in seinen Weinen zu erreichen. Diese Terroirkultur lebt im biodynamischen Weinbau besonders – und so ist der Weinbau vielleicht auch, wie Echensperger ausführt, insgesamt „eine große Chance“ für die Landwirtschaft, „(v)or allem wenn die Verbraucher wieder ein Gespür für den ursprünglichen Geschmack entwickeln und darin eine Qualität erkennen“.

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