Erst durch das Leben entwickelt sich Boden, oder umgekehrt? Ein Essay zur Geschichte der Landwirtschaft …
„Du kannst nicht von heute auf morgen auf bio oder biodyn umstellen und Wunder erwarten. Es hat mich 30 Jahre gekostet, um da anzukommen, wo ich bin. Die Erholung des Bodens, die Hefeflora im Keller, all das entwickelt sich langsam.“
Clemens Busch, Biowinzer und Pionier
In einem inzwischen etwa zehn Jahre alten Artikel in einer Münchner Regionalzeitung wird eine Szene auf einer der Straßen der Stadt geschildert, wo sich ein Verkehrsteilnehmer von einem anderen behindert fühlte und den daraufhin einen „blöden Ochsen“ nennen wollte und ihm deshalb ein lateinisches „bove stupide!“ hinterher rief. Der so Beleidigte allerdings war Lateiner und korrigierte die falsche Andredeform und rief zurück: „Bos! Bos!“ Die Situation eskalierte, fühlte sich der Angesprochene nun doch seinerseits beleidigt: „Caper vetus“, „alter Ziegenbock“, schimpfte er zurück, was der Kontrahent wiederum mit einem „vermis horribilis es“, „du bist ein abscheulicher Wurm“ erwiderte. Vielleicht kann man bei dieser Geschichte einiges über die bayerische Landeshauptstadt lernen, jedenfalls landete die Sache vor Gericht, man entschuldigte sich und das Verfahren wurde eingestellt …
Ochse, Ziege und Wurm also – immer noch Straftatbestände, klassische Beleidigungen. Dabei haben diese Spezies eine wichtige Bedeutung für den Menschen, jede auf ihre Art als wertvoller Nützling in der Landwirtschaft. Das ist vielleicht beim sogenannten Regenwurm weniger offensichtlich, wirkt er ja auch überwiegend unsichtbar im Erdboden versteckt. Dort allerdings, in dieser immer noch unzureichend erforschten äußersten Schicht des Erdinneren, unserer eigentlichen terra incognita, wirkt er, wenn man so möchte, als Landwirt par excellence.
Lob dem Regenwurm
Bis zu drei Millionen Regenwürmer sollen auf einem gesunden Hektar Boden leben, durchschnittlich sind es etwa 120 Exemplare von 46 verschiedenen Arten pro Quadratmeter, es wurden aber auch schon bis zu 600 Würmer gezählt. Diese Zahl allerdings ist in Deutschland rückläufig, sie sinkt mitunter sogar auf unter 30 Würmer. Der Grund dafür liegt in der modernen Landwirtschaft: Ammoniakhaltiger Dünger verätzt sie, andere chemische Mittel, allen voran Glyphosat, vermindern ihre Fortpflanzungsfähigkeit (die zwei bis acht Jahre alt werdenden Würmer bilden jährlich nur etwa acht Kokons, also Regenwurmeier) und die intensive maschinelle Bodenbearbeitung zerschneidet sie. Hinzu kommt, dass landwirtschaftliche Pflanzungen heutzutage auch oft Monokulturen sind, wodurch dem Wurm die Lebensgrundlage entzogen wird und er verhungert.
Regenwürmer ernähren sich hauptsächlich von abgestorbenen, an der Bodenoberfläche liegenden Pflanzenteilen, die sie nachts abweiden und in ihr weitverzweigtes Röhrensystem hinunterziehen. Man möchte es kaum glauben, aber die Würmer arbeiten im Acker pro Jahr und Hektar bis zu sechs Tonnen abgestorbenes organisches Material in den Boden ein (im Wald sind es sogar bis zu neun Tonnen). Im Erdinneren werden die Pflanzenreste von Mikroorganismen mehrere Wochen „vorverdaut“, da Regenwürmer keine Zähne haben – und deshalb auch keine Wurzeln anfressen können. Im Gegenteil, die Röhren der Würmer werden von Pflanzenwurzeln oft genutzt, um ohne Widerstand leichter in tiefere, nährstoffreiche Bodenschichten einzudringen.
Die Röhren entstehen, indem die Würmer die Erde wegdrücken, immerhin das 60-fache seines eigenen Gewichts schafft so ein Regenwurm. Sie sorgen so einerseits für eine gute Durchlüftung des Bodens (bevorzugt mittelschwere Lehmböden), andererseits verbessern sie damit die Wasseraufnahme, -speicherung und Drainage, womit wiederum Bodenerosion vermindert werden kann. Tiefgrabende Würmer können insofern leichte Bodenverdichtungen durchdringen und die Wasserökologie des Bodens verbessern. Von diesen vertikalgrabenden unterscheidet man die flachgrabenden Würmer sowie die sogenannten Streubewohner, die in gesunden Wiesen aber alle zusammen vorkommen. Bis zu 150 Gänge mit einer Gesamtlänge von etwa 900 Meter lassen sich in einem Kubikmeter ungepflügtem Erdboden finden, wobei die mit Schleim stabilisierten Gänge bis zu sechs Meter tief verlaufen und es ein einzelner Wurm im Jahr bis zu zwanzig Meter weit schafft (und sich so locker von einer Naturwiese in einen Acker vorarbeiten kann, wo immerhin noch elf verschiedene Regenwurm-Arten vorkommen).
Im Erdboden eines durchschnittlichen landwirtschaftlichen Betriebs befindet sich so also ein Tunnelsystem, das etwa zehn mal so lang ist wie der Erdumfang. Fehlen Regenwürmern, bleibt das entsprechend nicht ohne Auswirkungen, denn sie sind die Baumeister fruchtbarer Böden: Regenwürmer durchmischen das Bodenmaterial und halten den Boden dadurch jung und fruchtbar. Dafür hilft auch ihr wertvoller Wurmkot, den sie im Boden und an der Oberfläche ablegen (im Acker bis zu einem halben Zentimeter der Bodenschicht, in der Wiese sogar bis eineinhalb Zentimeter), was schwere Böden auflockert und sandige bindet.
Die Regenwürmer produzieren bis zu 100 Tonnen Kot pro Hektar und Jahr. In ihm sind organische und mineralische Bestandteile als Humus gut durchmischt, Nährstoffe für die Pflanzen liegen so in angereicherter Form und leicht verfügbar bereit (dieser wertvolle Humus enthält durchschnittlich fünf Mal mehr Stickstoff, sieben Mal mehr Phosphor und das Elffache der üblichen Kaliummenge der umgebenden Erde).
Mit der intensiven Durchmischung von abgestorbenem organischen Material mit mineralischen Bodenteilchen und Mikroorganismen bilden die Regenwürmer ein stabiles, grobes Krümelgefüge, in der Folge verschlämmt und verdichtet der Boden weniger. Er bleibt stattdessen locker und ist leichter bearbeitbar. Zudem werden so Nährstoffe und Wasser besser im Boden gehalten. Außerdem fördern die Würmer mit ihren Gängen und ihrem Kot die Ansiedlung und Vermehrung von nützlichen Bodenbakterien und Pilzen.
Bakterien und Pilze sind für die Pflanzen deshalb wichtig, weil sie die im Boden befindlichen Nährstoffe für sie aufbereiten: Rebstöcke zum Beispiel erhalten – wie alle Pflanzen – ihre Nährstoffe zwar zu 75 Prozent durch Photogenese, die restlichen 25 Prozent jedoch holen sie sich über ihre Wurzeln aus dem Boden. Sie befinden sich hier in einer Symbiose mit den Pilzen (Mykhorriza), die keine Photosynthese ausführen und entsprechend selbst keinen Zucker herstellen können. Pilze brauchen deshalb den (Informations-)Austausch mit der Pflanze und bereiten gewissermaßen als Gegenleistung die notwendigen Nährstoffe (Kalium, Kalzium, Magnesium, Stickstoff, Phosphorsäure etc.) für die Pflanze auf.
Die Rebe selbst saugt diese durch Pilze aufbereiteten und in Wasser gelösten Nährstoffe vermutlich selektiv durch Unterdruck auf. (Sensorisch ist diese Mineralität als „saliner Nachhall“ im Wein wahrnehmbar.) Die Rebe wurzelt dabei nur so tief, wie sie muss, um die Transpiration, also den Wassertransport, gewährleistet zu wissen. Bei zu viel Wasser (zum Beispiel Staunässe bei zu hohem Tongehalt im Boden) konzentriert sich die Rebe auf das Wachstum der Triebe, nicht mehr auf die Reifung beziehungsweise den Zuckeraufbau der Traube. Bei Nährstoffmangel kommt es zur Chlorose, das heißt die Blätter färben sich gelb und die Photosynthese kann nicht mehr stattfinden.
Regenwürmer sind also auf vielfältige Weise für einen gesunden Boden wichtig. Um sie zu unterstützen sollte man auf eine vielfältige, möglichst abwechslungsreiche und ausgewogene Bepflanzung des Bodens achten (eine mehrjährige Kleegraswiese beispielsweise ist für eine gute Regenwurmpopulation besser, nahrhafter, als ein einjähriger Kunstrasen). Darüber hinaus sollte man den Boden grundsätzlich schonen und möglichst wenig mechanisch bearbeiten. Lässt sich das nicht vermeiden, gilt es zumindest die Mechanisierung so anzupassen, dass der Bodendruck gering bleibt und er nicht verdichtet wird. Pflüge sollten nur flach eingesetzt werden (der Pflugeinsatz tötet rund ein Viertel der Wurmpopulation, bei rotierenden Geräten liegt diese Quote sogar bei 70 Prozent), und in den regenwurmaktiven Zeiten (März-April und September-Oktober) idealerweise gar nicht. Am meisten jedoch beeinflusst das Düngeverhalten die Regenwürmer, weshalb das möglichst verträglich gestaltet werden sollte.
Was hier im Hinblick auf den etwa 500 Millionen Jahre alten Regenwurm gesagt wurde, gilt natürlich grundsätzlich für Ökosysteme. Alle angesprochenen Probleme (insbesondere Mechanisierung und Düngung) sind dabei verursacht durch die moderne Landwirtschaft, die unter dem Aspekt der Ertragsmaximierung wesentlich vom Eingriff des Menschen in die natürlichen Abläufe bestimmt ist. Davor allerdings ernährte sich der Mensch etwa zweieinhalb Millionen Jahre lang ohne so bedeutsam in die Natur einzugreifen. Das änderte sich vor etwa 12.000 Jahren als der Homo sapiens begann, einige wenige Pflanzen- und Tierarten zu manipulieren beziehungsweise zu domestizieren, unter anderem eben Ochsen und Ziegen. Es war der Beginn der sogenannten landwirtschaftlichen beziehungsweise neolithischen Revolution.
Neolithische Revolution
Den Begriff der Revolution verwendete erstmals der britische Archäologe Gordon Childe (1892-1957), um den Übergang zum Ackerbau als eine für die Menschheit grundlegende Transformation zu markieren: Denn wie zuvor das Feuer (und später der Verbrennungsmotor) beschleunigte der Übergang zur ortsfesten landwirtschaftlichen Produktion gesellschaftliche Veränderungsprozesse nicht nur, sondern führte zu einer gravierenden Umwälzung der menschlichen Lebensweise insgesamt.
Die Umwandlung der Wirtschaftsweise des Homo sapiens begann in den Hügeln der Südosttürkei, des Westiran und der Levante, im sogenannten Fruchtbaren Halbmond also. Obwohl Childe von einer Revolution spricht, erfolgte der Übergang zur Landwirtschaft nicht explosionsartig, sondern vollzog sich innerhalb eines längeren Zeitraums, in dessen Verlauf die Menschen auf der einen Seite und Flora und Fauna auf der anderen Seite „ihre Zukunft allmählich, aber unaufhaltsam miteinander verknüpften und dabei sich und einander unumkehrbar veränderten“, wie der Anthropologe James Suzman in seiner etwas anderen Menschheitsgeschichte „Sie nannten es Arbeit“ (2021) feststellt.
Der Prozess setzte vor etwas mehr als 10.000 Jahren in mindestens elf unterschiedlichen und unverbundenen Regionen praktisch überall auf der Welt mehr oder weniger gleichzeitig ein. Warum, bleibt rätselhaft, das heißt zwischen 18.000 und 8.000 Jahren vor unserer Zeit, weiß Suzman, setzte allmählich ein signifikanter Klimawandel von der Eiszeit in die bis in unsere Tage anhaltende interglaziale Warmzeit ein. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass die neolithische Revolution damit zusammenhängt.
In dieser Zeit nämlich verwandelte sich auch der Nahe und Mittlere Osten: Von einer trockenen Steppenlandschaft mit einem kargen Ökosystem in einen, wie Suzman sagt, „warmen, feuchten, gemäßigten Garten Eden“. Mit dem neuen Klima stiegen die Temperaturen und die Niederschlagsmengen – ideale Bedingungen für Weizen und andere Getreidearten. Wie Suzman darlegt, veränderte sich gleichzeitig auch die „Zusammensetzung der Gase in der Erdatmosphäre, und das ließ Bedingungen entstehen, die bestimmte Gräserpflanzen beziehungsweise Getreidearten, wie den Weizen, in die Lage versetzten, auf Kosten einiger anderer Pflanzenarten besonders gut zu gedeihen“: Sogenannte „C3“-Pflanzen wie Weizen, Bohnen, Gerste, Reis oder Roggen reagieren besonders gut auf Veränderungen des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre, das heißt die Fotosynthese-Rate steigt bei ihnen, während „C4“-Pflanzen wie Zuckerrohr oder Hirse Kohlendioxid von Natur aus besser verstoffwechseln und deshalb relativ stabil und unabhängig von Erhöhungen des Kohlendioxids in der Atmosphäre weiterproduzieren.
Die „C4“-Pflanzen werden also unter anderem von den Getreidepflanzen überflügelt. Suzman schreibt: „In dem Maß, wie es im Nahen Osten wärmer wurde, erlebten diverse C3-Arten … einen Aufschwung, während eine ganze Palette anderer Pflanzenarten, die besser an kühlere Verhältnisse angepasst waren, auf den absteigenden Ast gerieten. Als den Menschen … einige ihrer vertrauten Nährpflanzen abhandenkamen, während zugleich andere produktiver wurden, gerieten sie nolens volens in eine zunehmende Abhängigkeit von einer deutlich kleineren Auswahl an Nahrungspflanzen, die dafür jedoch relativ reichlich zu Gebote standen.“
Tatsächlich finden sich die ältesten eindeutigen Belege für den Anbau domestizierter Pflanzen in der Levante (Palästina, Libanon, Syrien und Türkei). Als der nomadisierende Homo sapiens vor etwa 70.000 Jahren im Nahen Osten einwanderte, gab es dort genug Ressourcen für ihn und er lebte die nächsten 50.000 Jahre, ohne sich als sesshafter Bauer zu betätigen. Dann allerdings änderte sich die Situation vor rund 18.000 Jahren, als die letzte Eiszeit endete und eine Periode der weltweiten Erwärmung einsetzte, und die Menschen fingen vor etwa 12.500 Jahren an, Weizen zu kultivieren und Ziegen zu domestizieren: nachweislich seit 11.000 Jahren legten sie mehrere gezüchtete Weizenarten in Vorratslagern ab – die Ursprünge des Weinbaus finden sich hingegen erst wesentlich später.
Es handelt sich hierbei um die sogenannte Kultur der Natufier, von der britischen Archäologin Dorothy Garrod 1929 benannt nach dem Fundort Wadi an-Natuf im Westjordanland in Palästina. Sie stehen gewissermaßen am Beginn einer Entwicklung, die sich über mehrere Jahrtausende hinzog, innerhalb der sich die Landwirtschaft als hauptsächliche Ernährungsgrundlage im Nahen und Mittleren Osten durchsetzte – und ab ungefähr 6000 vor unserer Zeit praktisch in allen bevölkerten Regionen Asien, Arabiens sowie Nord-, Mittel- und Südamerikas zu einem maßgeblichen Mittel der Existenzsicherung wird.
Natufier
Die Natufier richteten sich in permanenten dörflichen Siedlungen ein und beschäftigten sich intensiv mit dem Sammeln und Verarbeiten von Getreide, insbesondere von Wildpflanzen, die zwar noch geringere Erträge erbringen, aber dafür einen unerreicht hohen Energiegehalt haben. Sie legten Vorratslager für das Getreide an und erfanden Werkzeuge wie die aus Flintstein und Holz gefertigte Sichel, die es erlaubte, die Erntemenge um ein Viertel zu steigern. Bald konnte von einer Familie innerhalb von drei Wochen mehr Getreide geerntet werden, als sie in einem Jahr verbrauchen konnte.
Die Menschen lebten gewissermaßen im materiellen Überfluss. Suzman bemerkt in diesem Zusammenhang: „Die Landschaft, in der sie lebten, besaß für eine gewisse Zeit eine natürliche Produktivität, die ihnen fast so hohe Hektarerträge bescherte, wie spätere Ackerbau-Kulturen, die viel mehr Köpfe zählten, sie erzielen sollten.“ Irgendwann um das Jahr 12.900 vor unserer Zeit jedoch erfolgte ein weltweiter Temperatursturz, der die nächsten 1.300 Jahre anhalten sollte und der zu erheblichen Ertragseinbußen führte. Für die Natufier bedeutete das, dass sie ihre Dörfer verlassen mußten – und dass sie das Vertrauen „in die ewige Freigiebigkeit ihrer Umwelt verloren hatten“, wie Suzman schreibt.
Bei den Natufiern, wie überhaupt in der Levante, steht zunächst weitestgehend der Getreide- respektive Weizenanbau im Vodergrund; Gerste, Linsen, Erbsen, Ackerbohnen, Kichererbsen sowie Schweine, Rinder und Schafe kamen im Verlauf dazu. Noch heute beziehen wir trotz unserer zahlreichen Erfindungen noch immer mehr als 90 Prozent unseres Kalorienbedarfs aus diesen wenigen Pflanzen- und Tierarten, die unsere Vorfahren zwischen 10.000 und 3.500 vor unserer Zeitrechnung domestiziert haben. In den letzten zweitausend Jahren kamen praktisch keine nenneswerten Arten hinzu.
Monokultur Weizen
Das Wort „Getreide“ stammt vom mittelhochdeutschen „getregede“ und bedeutet so viel wie „das (von der Erde) Getragene“. Sieben Gattungen gehören dazu (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Hirse aber auch Mais und Reis, andere wie Dinkel, Einkorn und Emmer sind Unterarten des Weizens), wobei Weizen, Reis und Mais etwa 90 Prozent der weltweiten Getreideproduktion ausmachen. Auch in Deutschland stehen auf einem Viertel der Anbaufläche nur zwei Getreidesorten, nämlich Weizen und Mais, mit dem Ergebnis eintöniger und lebensfeindlicher Monokulturen auf weiten Flächen. Insofern ernähren wir uns heutzutage noch immer wie die ersten Bauern (durchschnittlich 90 Kilogramm Getreideerzeugnisse pro Jahr) – und man kann nicht zuletzt deshalb durchaus sagen, dass es in Wirklichkeit die Pflanzen waren, die uns domestiziert haben, nicht wir sie. Getreide, das heißt die Samen von Gräserpflanzen wurden jedenfalls zum wichtigsten Bestandteil der menschlichen Nahrung.
Der Erfolg des Weizens – die Umwandlung der Landschaft in ein Weizenfeld, einen „amerikanischen Garten“, wie David Blackbourn in seiner Geschichte der deutschen Landschaft: „Die Eroberung der Natur“ (2008) sagt – liegt daran, dass der Mensch vor etwa 10.000 Jahren begann, sich fast ausschließlich nur noch um diese anspruchsvolle Pflanze zu kümmern, obwohl der Körper des Homo sapiens dafür eigentlich vollkommen ungeeignet ist: Er wurde von der Evolution nicht primär dafür geschaffen, in gebückter Haltung den Acker zu bearbeiten oder Wasser heranzuschleppen, sondern der aufrechte Gang ermöglichte einen weiten Blick über die Landschaft – der menschliche Körper ist perfekt für die Jagd. Stattdessen strapaziert der Homo sapiens von nun an aber seinen Rücken, seine Knie und Gelenke und schafft sich selbst so körperliche Leiden, auf die er eigentlich hätte verzichten können. Außerdem ist die neue Landwirtschaft derart Zeitintensiv, dass sich die Menschen dauerhaft neben ihren Weizenfeldern niederlassen mussten.
Die landwirtschaftliche Revolution hatte also auch gravierende Veränderung hinsichtlich der gesamten Lebensweise zur Folge. Deshalb kann Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ (2015) schreiben: „Nicht wir haben den Weizen domestiziert, der Weizen hat uns domestiziert. Das Wort `domestizieren´ kommt vom lateinischen Wort domus für `Haus´.“ Häuser und Siedlungen wie die der Natufier vor etwa 10.500 Jahren finden sich überall im Nahen Osten.
Bevölkerungswachstum
Es ist eigentlich nicht recht zu begreifen, warum sich der Mensch auf diese veränderte Wirtschafts- und Lebensweise eingelassen hat – zumal auch deshalb, weil der Anbau von Weizen keine größere wirtschaftliche Sicherheit bietet: Indem sich der Homo sapiens dieser einen Pflanzenart ausliefert, macht er sich von ihr abhängig und bereits eine einzige Missernte kann seine Existenz gefährden, wenn er sich keinen Vorrat anlegen konnte. Anders als seine Vorfahren, kann er also nicht einfach auf andere Pflanzenarten ausweichen, sondern muss seinen gesamten Kalorienbedarf über diese beziehunsweise eine Handvoll von Nutzpflanzen aufnehmen.
Allerdings besitzt Getreide auch einen relativ hohen Kaloriengehalt und eine extrem hohe Nährstoffdichte, da es nur aus 15 Prozent Wasser besteht und die restlichen 85 Prozent fast alle überlebenswichtigen Nähr- und Vitalstoffe beeinhalten: Eiweiß, Kohlenhydrate, lebensnotwendige Fettsäuren, viel Vitamin B für das Nervensystem, Mineralstoffe um ein gesundes Wachstum zu gewährleisten, vor allem aber auch Eisen um die Energiespeicher des Körpers effektiv aufzufüllen sowie Kalorien. All das ermöglichte es dem Homo sapiens, alles Lebensnotwendige auf einer relativ kleinen Fläche, dem Weizenfeld, zu finden – was ihm wiederum ein einfaches Bevölkerungswachstum ermöglicht.
Zur Zeit der Natufier lebten vermutlich etwa um die vier Millionen Menschen auf der Erde, 12.000 Jahre später, als die industrielle Revolution die Produktionsweise des Menschen ein weiteres Mal umwälzte, waren es bereits 782 Millionen. Dabei vollzog sich die rapide Bevölkerungszunahme „trotz eines Rückgangs der individuellen Lebenserwartung“, bemerkt Suzman. Aber auch unabhängig davon verursachte das Bevölkerungswachstum, zumindest bis zur industriellen Revolution, neue Probleme.
Mit der Gründung von Siedlungen und der Zunahme der Nahrungsmenge wuchs auch die Bevölkerung – und dieses Wachstum sollte jede Rückkehr zum früheren Nomadenleben unmöglich machen. Denn wenn die Dorfbevölkerung dank des Weizenanbaus von 100 auf 110 angewachsen war, „welche 10 Menschen wären dann freiwillig verhungert, damit die Übrigen zur Lebensweise der guten alten Zeit zurückkehren konnten?“, fragt Harari. „Der Traum vom besseren Leben fesselte die Menschen ans Elend“, die Bevölkerungszunahme verlangt nach einer gesteigerten Produktion. „Es führte kein Weg zurück. Die Falle war zugeschnappt.“
Die Theorie der Falle stammt vom britischen Ökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834) und erklärt die neolithische Revolution als Ergebnis einer fatalen Fehlkalkulation: Ihm zufolge verlangt der Bevölkerungszuwachs eine gesteigerte Produktion, aber immer, wenn ein Fortschritt eintritt, der die landwirtschaftliche oder industrielle Produktivität einer Gesellschaft verbessert, kommt es zugleich zu einem erneuten Bevölkerungszuwachs, der diese Verbesserungen (teilweise) wieder aufzehrt. Dieser Teufelskreis beziehungsweise der Zwang zu permanentem Wachstum wird heutzutage als „malthusianische Falle“ bezeichnet.
So plausibel Malthus` Theorie ist – es könnte jedoch gleichwohl auch so sein, darauf verweist Harari, „dass schriftlose Völker nicht durch wirtschaftliche Zwänge motiviert wurden, sondern durch ihre Überzeugungen“. Darauf zumindest deutet auch die im Jahr 1994 vom deutschen Archäologen Klaus Schmidt auf dem Hügel Göbekli Tepe in Anatolien im Südosten der Türkei gemachte Ausgrabung hin.
Göbekli Tepe
Göbekli Tepe ist eine 12.000 Jahre alte Anlage (Stonehenge zum Vergleich wurde vor 4.500 Jahren errichtet), die von einer bäuerlichen Gesellschaft errichtet wurde. Sie besteht nicht aus einer Siedlung, sondern man entdeckte dort mehrere kreisförmig angelegte, gewaltige Säulenbauten: Etwa 240 mit eingemeißelten Reliefs verzierte Kalkstein-Monolithen sind hier zu mehreren runden Einfriedungen gruppiert. Die einzelnen Pfeiler sind bis zu sieben Tonnen schwer und bis zu fünf Meter hoch, und es wurden bisher mehr als zehn solcher Bauwerke freigelegt, das größte davon mit einem Durchmesser von dreißig Meter. Eine solche Monumentalanlage – und das ist die große Überraschung der Ausgrabung – musste von einer hochorganisierten Gesellschaft und vor allem von Spezialisten, errichtet worden sein. Eine solche kulturelle Kompetenz aber hielt man unter Jägern und Sammlern bis dahin für unmöglich. (Noch die nächsten 1.000 Jahre nach der Errichtung von Göbekli Tepe spielte der Ackerbau in Anatolien keine Rolle.)
Es ist unklar, wofür die Anlage errichtet wurde. Die Reliefs jedenfalls zeigen einen regelrechten „Bilderbogen der urzeitlichen Fauna“, wie Suzman sagt. Einige Skulpturen haben einen unverkennbar anthropmorphen Charakter, das heißt ihnen wurden menschliche Arme und Hände sowie ornamentale Gürtel und gemusterte Kleider verpasst. Unabhängig von den konkreten Abbildungen aber ist die Anlage, weiß Suzman, „das ältestes Zeugnis einer Kultur, die es schaffte, einen so großen Energieüberschuss zu erwirtschaften, dass sie sich über viele aufeinanderfolgende Generationen hinweg der Verwirklichung einer großen Vision widmen konnte, die keinen direkten Bezug zur weiteren Verbesserung der Energiebilanz aufwies“.
Ein weitere sensationelle Entdeckung war, dass das Einkorn seinen Ursprung nur etwa dreißig Kilometer vom Göbekli Tepe entfernt hat – und das wiederum kann kein Zufall sein. „Die Vermutung liegt nahe“, bemerkt Harari, „dass die Anlage auf dem Göbekli Tepe irgendetwas mit der Domestizierung des Weizens und des Menschen zu tun haben muss“. Um die Arbeiter an der Anlage zu ernähren, mussten jedenfalls gewaltige Mengen an Lebensmitteln bereit stehen. Harari kann sich deshalb vorstellen, „dass die Jäger und Sammler nicht vom Weizensammeln zum Weizenanbau übergingen, um ihren üblichen Kalorienbedarf zu decken, sondern um einen Tempel zu bauen. Sollte das stimmen, dann könnten religiöse Überzeugungen die Menschen veranlasst haben, den hohen Preis zu zahlen, den der Weizen verlangte. Früher ging man davon aus, dass sich die Siedler erst in einem Dorf niederließen und dann in der Mitte einen Tempel errichteten. Göbekli Tepe lässt vermuten, dass erst der Tempel kam und dann das Dorf.“
Catalhöyük
Allerdings hat man unweit von Göbekli Tepe, im südlichen Teil der mittleren Türkei, in Catalhöyük, auch eine fast ebenso alte landwirtschaftliche Siedlung gefunden, in der mindestens 6.000 Menschen lebten. Dort wurden, anders als bei den Natufiern, auch Zuchtsorten von Weizen und anderen Getreidearten angebaut. Das gelang deshalb innerhalb nur relativ weniger Generationen, da die wilden Weizen- und Gerstensorten von vornherein ertragsstark und Selbstbestäuber waren. Außerdem steuert beim Weizen nur ein einziges Gen die Mutation, weshalb die Züchtiung hin zu einer einfach zu bearbeitenden Pflanze mit einer spröden Spindel relativ einfach war. (Der Nachteil dieser Züchtungen jedoch war, dass dadurch gleichzeitig auch die Evolution einer ganzen Reihe von Schädlingen vorangetrieben wurde, wie Suzman bemerkt, die sich auch an alle Bemühungen der Bauern, sie mit Gift auszumerzen gewöhnt haben.)
„Es ist kein Zufall“, schreibt Suzman, „dass die meisten Pflanzen, die wir heute als Grundnahrungsmittel betrachten, in den Zonen zwischen dem 20. und dem 35. Breitengrad Nord in der Alten Welt und zwischen 15 Grad südlicher und 20 Grad nördlicher Breite auf dem amerikanischen Kontinent beheimatet waren; dies waren durchweg gemäßigte Klimazonen …“ Es sei insofern kein Zufall, dass sich in diesen Zonen auch der Ackerbau, zumindest anfänglich, verbreitete – und mit ihm Siedlungen wie in Catalhöyük oder später eine städtische Kultur wie im babylonischen Uruk, vielleicht der ersten Stadt auf unserem Planeten. Dabei baute jede menschliche Hochkultur ihre eigene, an die jeweilige Region angepasste Getreidesorte an: So entstand in Asien eine Reiskultur, in Amerika die Maiskultur, in Afrika wurde Hirse angebaut und in Europa, wohin sich der Getreideanbau vor rund 7.000 Jahren ausbreitete, pflanzten die Römer Weizen, während sich bei den nordischen Völkern eine Gersten- und Roggenkultur entwickelte.
Für den Weinbau maßgeblich ist die Region zwischen dem 30. und 50. Grad nördlicher und südlicher Breite, weshalb sich zum Beispiel das Ahrtal in Deutschland auf dem 50. Breitengrad in einer nördlichen Randklimazone für Weinbau befindet, alles südlich davon allerdings Qualitätsweinbau erlaubt. Entscheidend hier ist nicht die Frage, ob Wein gedeiht, sondern an welchem Standort er am besten gedeiht. Im Hinblick darauf nun bemerkt Romana Echensperger, Master of Wine, in ihrem Buch „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ (2020), dass die Weinbauern, bevor die Landwirtschaft und der Weinbau in Deutschland industrialisiert wurden, insbesondere auch auf ihre Sinne und Erfahrungen angewiesen waren. „Wissen wurde von Generation zu Generation vererbt“ und dazu gehöre auch das Wissen um die für den jeweiligen Standort geeignetsten Rebsorten respektive Kulturpflanzen, sagt Echensperger. Sie sagt das im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen im Weinbau – aber bereits Karl der Große hat sich in diesem Zusammenhang verdient gemacht.
Entwicklung des Weinbaus unter Karl dem Großen
Nach dem frühen Tod seines Bruders wurde Karl (742–814) im Jahr 771 zum Alleinherrscher des fränkischen Reiches, das er in zahlreichen Kämpfen zu einem europäischen Imperium erweiterte, mit dem er nach seiner päpstlichen Krönung in Rom zum Kaiser im Jahr 800 die Grundlage für das christliche Abendland schuf. Karl, der bald den Beinamen „der Große“ erhielt, regierte über seine frühmittelalterlichen Ländereien ohne feste Hauptstadt, stattdessen zog er mit einem großen Gefolge ständig umher – von Pfalz zu Pfalz.
Um den Kaiser und sein Gefolge standesgemäß zu versorgen, brauchte eine Pfalz viel eigenes Ackerland, musste also über eine erhebliche Fläche Grund und Bodens verfügen. Die Römer hatten mit ihrem Villensystem zwar vorgemacht, wie man mit guter Planung und Organisation einträglich landwirtschaften konnte, den Franken waren diese Kenntnisse offenbar jedoch abhanden gekommen. Man musste solch eine Pfalz als landwirtschaftlichen Betrieb also zunächst aufbauen – und das geschah bevorzugt in der Nähe eines bereits bestehenden Klosters oder einer ehemaligen römischen Villa.
In der Regel ist an die Pfalz ein größerer Gutshof angegliedert, der die Vorräte liefert sowie ausgedehnte Wälder zur Jagd bereitstellt. Da hat Karl der Große genaue Vorstellungen: In der von ihm erlassenen und im Jahre 812 aufgezeichneten „Capitulare de villis vel curtis imperii Caroli Magni“ (Landgüterverordnung über die Verwaltung der Krongüter) sind unter anderem die Dreifelderwirtschaft, die Obstpflege, die Zucht von Vieh und auch der Weinbau geregelt. Enthalten sind zum Beispiel strenge Hygiene-Verordnungen bei der Weinbereitung, dazu gehört auch die Anweisung, „dass unsere Trauben nicht mit den Füßen zu keltern sind“, oder dass er den Wein bitte nicht aus Tierhäuten (Schläuchen) serviert haben möchte, sondern ausschließlich aus Fässern deren Dauben mit eisernen Ringen zusammengehalten werden sollen und dass jeder Rebstock mindestens drei bis vier „coronas de racemis“ (gebogene Reben) haben sollte.
Karl der Große förderte den Weinbau durch zahlreiche Gesetze und Schenkungen von Weingärten, zumeist an Klöster in weit über 50 Orten, wie Urkunden bezeugen. Außerdem gewährte er den Winzern angeblich, das ist allerdings nicht in der Capitulare festgehalten, dass sie ihren selbst produzierten Wein ausschenken dürfen, wenn sie dies durch einen grünen Strauß beziehungsweise Busch über dem Eingang anzeigten, was als Ursprung des Buschenschanks, mithin des Wirtshauses, gilt.
Eine bedeutende Pfalz von Karl stand im rheinhessischen Ingelheim, das dadurch beim Übergang vom 8. auf das 9. Jahrhundert nach Rom, Konstantinopel und Aachen, wo man Karl zum König krönte, zur vierten europäischen Hauptstadt wurde. (Es ist nicht klar, wo Karl geboren wurde, neben Aachen ist jedenfalls auch Ingelheim eine Option.)
Ingelheim liegt in Rheinhessen, etwa 15 Kilometer westlich von Mainz am Rhein und zeigt noch heute in der Nähe seiner Saalkirche die Reste einer großen, repräsentativen Pfalz, die Karl der Große bauen ließ. Man weiß, dass er 774 zum ersten Mal in Ingelheim war und 787/88 den ganzen Winter dort verbrachte. Ingelheim ist heute eine rheinhessische Enklave für Rotwein – und wie die Legende besagt, hat Karl der Große auch den Weinbau im gegenüberliegenden Rheingau veranlasst: Als er an einem eiskalten Morgen von Ingelheim über den Rhein blickte und bemerkte, dass nur auf dem Johannisberg der Schnee geschmolzen war, soll er unverzüglich Anweisungen gegeben haben, dort Weinreben zu pflanzen.
So soll Karl also über seine Beobachtungsgabe bei der Bestimmung der besten Weinbergslagen Einfluss genommen haben. Eine ähnliche Geschichte nämlich wird über den Corton-Berg im Burgund erzählt, der als Weinberg ebenfalls auf Karl zurückgehen soll: Im Jahre 775 schenkte er den oberen Teil des Hanges der Abtei Saulieu, die zu seinen Ehren den dort gekelterten Weißwein Corton-Charlemagne nannte, wie er in Aloxe-Corton noch heute heißt.
Auf Veranlassung Karls wurden auch die dichten Wälder in der Rheinebene gerodet und mit Rebstöcken aus Ungarn, Italien, Spanien und Lothringen sowie der Champagne bepflanzt. Karl widmete dabei der Selektion qualitätsvoller Rebsorten höchste Aufmerksamkeit: Er war er es, der die „guten fränkischen Sorten“ von den „schlechten hunnischen Sorten“ separierte und so den Grundstock unserer heutigen Rebsorten legte. Als „fränkisch“ gelten dabei jene Rebsorten, die Karl nach der Eroberung Galliens mit nach Deutschland brachte – wobei sich die Bezeichnung „fränkisch“ nicht auf „Frankreich“ bezieht, das es damals noch gar nicht gab, sondern auf die historische Region „Franconia“, das heutige Franken -, während die „hunnischen“ ihren Namen den damals gefürchteten „Hunnen“ zu verdanken haben.
Dabei war er wohl eher nur ein mäßiger Trinker, der die Trunkenheit verabscheute und bei Gastmählern nicht mehr als drei Pokale getrunken haben soll. Er selbst bemerkte dazu: „Nur wer die Mäßigkeit liebt, ist ein wahrer Freund des Weins“. Zu seinen Favoriten gehörte wohl der rote Cornas von der Rhône, im Alter allerdings, als er bereits einen weißen Bart hatte, soll er Muskateller respektive Weißwein bevorzugt haben, der seinen Bart nicht färbte wenn er kleckerte. Die zwölf Monate des Jahres benannte Karl in seiner Muttersprache und gab dem Oktober den Namen „Windume Manoth“, Monat der Weinlese. (Ansonsten entwickelte sich in seiner Zeit auch erstmals die Produktion von Bier in größerem Umfang).
Seit Karl dem Großen kristallierte sich heraus, dass der Riesling an Mosel und Rhein besonders gut reift – entsprechend wurde er dort, wie überhaupt in Deutschland, zur sogenannten Leitrebsorte. Die von ihm initiierte Anlage bestimmter Spitzenlagen, die Weine hervorbrachten, die denen von weniger exponierten Weinbergen in Geschmack und Reifepotential überlegen waren, wurden später in Katasterkarten eingetragen, um diese Unterschiede für die Steuerämter zu dokumentieren. Auch eine für die verschiedenen Regionen typische Weinbereitung und ein jeweils spezifischer Geschmack entwickelten sich. Die gesamten klassischen europäischen Appellationen, die damit verbundenen Weintypen wie der Rhein-Riesling, Burgunder oder Champagner, entwickelten sich so schon lange vor der Industrialisierung.
Was hier im Hinblick auf den Weinbau beschreiben wurde, gilt für Landwirtschaft insgesamt: Für jede Kulturpflanze gibt es gute Standorte, mit denen (Energie-)Überschüsse produziert werden konnten, und weniger geeignete. Es gab allerdings auch Zonen, um den Blick wieder auf die globalen Entwicklungen in der Landwirtschaft zu richten, in denen die „`gartenbauenden´ Kulturen“, wie Suzman schreibt, gar kein Interesse daran hatten, mit den vorhandenen Kulturpflanzen einen Energieüberschuss zu produzieren. In diesen Kulturen blieb die Bevölkerungspopulation relativ stabil – weshalb den Menschen deutlich mehr Zeit zur Verfügung stand, Freizeit, als jenen Gesellschaften, die sich überwiegend vom Ackerbau und Monokulturen ernährten. „Aus diesem Grund erschienen europäischen Seeleuten, etwa den Besatzungen, die die großen Entdeckungsreisen von Kapitän Cook mitmachten, die melanesischen Inseln wie ein Paradies, dessen Bewohner selten mehr tun mussten, als Früchte von Bäumen zu pflücken oder in den reichen Fischgründen vor ihrer Küste ihre Netze auszuwerfen“, bemerkt Suzmann. Wie im Schlaraffenland …
Der Tragödie Zweiter Teil
Für Gesellschaften, in denen Subsistenzwirtschaft betrieben wurde, wo sich also jeder selbst versorgte, waren „ökonomische Probleme“ oft eine existenzielle Frage und die einzige Möglichkeit auf solche vermeintlich schicksalhaften Probleme zu reagieren bestand darin, noch mehr zu arbeiten, in fruchtbarere Regionen auszuwandern – oder eben wie James Cook (1728-1779) neue Territorien zu erschließen, die Terra incognita.
Die letzten irdischen Szenen von Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Faust – wir befinden uns am Anfang des Zweiten Teils – spielen vor dem Hintergrund eines solchen Versuchs, allerdings eines ungleich moderneren: Gezeigt wird eine Riesenbaustelle, gigantische Damm- und Kanalkonstruktionen, mit denen das Meer trockengelegt werden soll, um Ackerland zu gewinnen. Faust agiert hier als Kolonialherr, und Goethe legt ihm Worte in den Mund, so Michael Jaeger in „Fausts Kolonie“ (2010), „als Ausdruck des Konstruktivismus- und Technizismusglaubens der Moderne und ihres Willens, das Gesetz des Fortschritts durch industriell organisierte Arbeit zu vollstrecken“. Denn, wie Faust sagt (II.1,6110-13) : „Das Übermaß der Schätze, das, erstarrt, / In deinen Landen tief im Boden harrt, / Liegt ungenutzt. …“ .
Am Ende der Tragödie allerdings, Faust ist inzwischen zum greisen Kolonisator geworden, wird er im Dienste dieser Verheißung das Land von allem beseitigt haben, was ihm an der Bergung dieser Schätze im Weg steht, auch ein greises Paar namens Philemon und Baucis, das der Zwangsumsiedelung durch Faust widerstrebt.
Philemon und seine Frau Baucis sind Figuren aus der griechischen Mythologie. Ovids Metamorphosen zufolge lebten die beiden in Phrygien zu einer Zeit, als Zeus und Hermes zu jenem Dorf wandelten, „um die Sterblichen zu versuchen“. Sie klopften an alle Türen, um Aufnahme bittend, aber nur die Ärmsten nahmen sie auf: Philemon und Baucis. Sie versorgten die beiden Fremdlinge mit allem, was sie zu teilen vermochten – und erkannten bald, dass ihre Gäste wohl Götter sein mußten, da sich der Weinkrug stets von selbst von Neuem füllte. Nun offenbarte sich Zeus, gnädig und zürnend zugleich: Er führte die beiden auf einen Hügel, von dem sie sahen, wie Wasserfluten heranrasten und einer Sintflut gleich alle Häuser des Ortes und alle Bewohner verschlang. Nur die Hütte des greisen Paares blieb stehen und verwandelte sich einen säulengetragenen Tempel (wie ihn sicherlich Andrea Palladio nicht hätte schöner bauen können). Von Zeus nun aufgefordert, ihre Wünsche zu nennen, baten sie ihn darum, als Priester ihr Leben lang den Tempel hüten zu dürfen und zur selben Stunde zu sterben, so dass keiner von ihnen des anderen Grab schauen müsse. So sollte es geschehen. Und als ihre Zeit gekommen war, verwandelten sie sich beide zugleich in einen Baum: Philemon in eine Eiche, Baucis in eine Linde, beide vielleicht noch immer vor dem Tempel irgendwo in Phrygien …
Goethe übernimmt die Szene in sein Drama, nur endet sie hier tragisch: Ein Wanderer, unverkennbar Zeus, wird von den beiden im Garten, einem „paradiesisch Bild“ gleich, empfangen, obgleich bereits „(k)luger Herren kühne Knechte / Gruben Gräben, dämmten ein, / Schmälerten des Meeres Rechte / Herrn an seiner statt zu sein“ (II.5, 11092-94). Philemon und Baucis sind im Weg – sie verkörpern „die letzte Enklave der Tradition und des glücklichen Seins“, wie Jaeger sagt, und Faust zögert nicht, sie deshalb zu beseitigen. Nichts steht dem Fortschritt mehr im Weg, der Garten, Philemon und Baucis` Paradies, wird planiert, auf dem Acker rattert fortan die Maschine, die Maschine, die Maschine …
Mechanisierung der Landwirtschaft
„Landarbeit ist Handarbeit“, sagte man. Denn die Landwirtschaft ist lange wie vor 5.000 Jahren in Mesopotamien beziehungsweise der Region des Fruchtbaren Halbmonds von der Muskelkraft geprägt: Vor dem Siegeszug der Technik und der Umwandlung der Natur in einen Acker war die Hand des Menschen das zentrale Werkzeug. Mit Hilfe von Kuh-, öfter aber Ochsen-, am besten jedoch mit Pferdegespannen pflügte man die Felder, ansonsten benutzte man im Wingert hölzerne Traubenbütten bei der Lese und schmiedeeiserne Scheren, die Reben wurden noch mühsam von Hand gebogen und dann mit Bast und Draht einzeln an Pfähle gebunden. Alles wurde von Hand erledigt – und selbst die Sichel für die Arbeit auf dem Weizenfeld wurde noch in 30 Arbeitsschritten vom Dorfschmied handgefertigt, nachdem er die Eisen an die Hufen der Pferde angepasst hatte.
Mit der Industrialisierung war nun eine radikale Umgestaltung der Agrargesellschaft verbunden: Das Nutztier ist zwar günstiger und zunächst auch noch zuverlässiger, außerdem reproduziert es sich selbst, aber es ist nicht mehr zeitgemäß, denn Maschinen sind schneller. Sie verrichten zunehmend die Arbeit der Nutztiere und der damals üblichen Tagelöhner, die insbesondere als Schnitter auf dem Feld arbeiteten oder als gefrässige Scheunendrescher, die den ganzen Tag lang in der Scheune mit einem Dreschflegel mühsam die Spreu vom Weizen getrennt haben. Einige dieser Arbeiter lehnen sich auf und werden, nach dem Vorbild der englischen Ludditen, zu Maschinenstürmern, die die Gerätschaften zerstören, die dann an ihrer statt schneiden, bündeln und binden – und das alles noch in einem einzigen Arbeitsschritt erledigen.
Zugmaschinen, die ursprünglich für Kanonen im Ersten Weltkrieg verwendet wurden, werden nun auf den Acker gebracht und dort als Motorpflug oder Traktor benutzt, der Mähdreschmaschinen zieht. Sie sind zu schwer und verdichten den Boden, waren dafür aber nicht so hungrig wie ein Pferd, das jährlich den Ertrag von einem Hektar verschlang, was bei durchschnittlich drei Hektar Besitz ein Drittel bedeutete.
Solche Maschinen waren dafür in der Anschaffung teuer – und noch brauchte es dafür einen Führerschein, den man in ganz Deutschland zunächst nur an einem einzigen Ort in der Nähe von Berlin erwerben konnte (eine Wettfahrt auf dem Kettenfahrzeug inklusive). Eine der ersten erfolgreichen Zugmaschinen war der „Bulldog“ (1925), ein von der süddeutschen Firma Lanz nach einem US-Patent in Fließbandarbeit produzierter Traktor mit einfacher Technik, der aber relativ günstig war.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihrer Blut- und Boden-Ideologie veränderte sich auch die Landwirtschaft: Großflächige Agrarstrukturen sollten geschaffen werden, was die Zerstörung der bäuerlichen Infrastruktur bedeutete. Dafür sollte weiträumiger Lebensraum im Osten entstehen …
Nach dem Krieg bringen Flüchtlinge aus dem Osten – auch aus Schlesien, wo Rudolf Steiner 1924 einen neuen landwirtschaftlichen Ansatz, die Biodynamie, vorgestellt hat – modernes Know-How nach Deutschland. Sie sind es allerdings gewohnt, auf großen Flächen zu wirtschaften, und hier aufgrund der Kleinteiligkeit erst einmal vor Probleme gestellt. Auch mit der Hügellandschaft in manchen Teilen Deutschlands hatten sie keine Erfahrung.
In der Nachkriegszeit wird die Kartoffel zum wichtigsten Lebensmittel. Maschinen stehen noch nicht ausreichend zur Verfügung, aber es erfolgt ein Technisierungsschub – und zwar auf dem Kartoffelacker, wegen der guten Nachfrage und den Absatzmöglichkeiten: die erste wirklich umfassende Rationalisierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg setzt bei der Kartoffelernte ein, wo man einen „Kartoffelroder“ verwendete (wobei noch von Hand aufgelesen wurde).
Oftmals wurden alte Militärmaschinen zu landwirtschaftlichem Gerät umfunktioniert. So wurden 1945 bereits 40.000 Traktoren angemeldet. Sie waren kraftsparend, wirtschaftlich und ertragreich. Im Weinbau hielten später Schmalspurschlepper Einzug, mit denen man zwischen den engen Rebzeilen fahren konnte. Spritzen waren allerdings die ersten technischen Geräte im Wingert. Mit ihnen wurden in erster Linie Pflanzenschutzmittel – noch von Hand – gespritzt. (Pflanzenschutz war eigentlich ein Zufall: Um Traubendiebe abzuhalten, wurden die Reben mit Kalk geschützt – erst später erkannte man, dass der Kalk auch Insekten abhielt). Die arsenhaltige Giftspritze wurde auch „kleine Bombe“ genannt, weil sie mit zehn Bar unter Druck stand – immer wieder kam es deshalb auch zu Unfällen.
Die Mechanisierung der Landwirtschaft hat auch eine Normierung des Stalls zur Folge: Industriestandarts machten vor dem Vieh nicht Halt, das heißt auch die Viehaltung wurde industriell – das einzelne Tier spielte keine Rolle mehr, der Tierarzt war nur noch ein Kostenfaktor. Nach wie vor fungierte der Stallmist als Dünger.
Mehr und mehr Maschinen kamen zum Einsatz – Mähdrescher beispielsweise mähten einen Hektar in 7 Stunden, wofür man ansonsten 100 Stunden benötigte. Solche Maschinen waren ursprünglich für große Felder konstruiert und oft US-Patente, weshalb sie in der Landbevölkerung der Nachkriegszeit auch als „Siegermaschinen“ galten, denen man mit Misstrauen begegnete. Trotzdem erfolgte ein Mechanisierungsboom in der Landwirtschaft und mehr und mehr Vollerwerbslandwirte mit ihren Traktoren treten zu den Nebenerwerbslandwirten mit ihren Pferden. (Bis heute sind weniger als 10 Prozent der Höfe in Frauenhand.)
Seit den 1950er Jahren hat sich die Industrialisierung der Landwirtschaft und des Weinbaus enorm beschleunigt. War der landwirtschaftliche Betrieb früher ein klassischer Mischbetrieb mit Acker-, Obst- und Weinbau sowie Nutztierhaltung, kam es nun zu einer Spezialisierung der Betriebe: Aus Gemischtbetrieben wurden so zum Beispiel Weingüter. Denn nach dem Krieg, weiß Romana Echensperger, „wurden die Wissensanforderungen an die einzelnen Betriebsbereiche so groß, dass eine Vielzahl von Betriebszweigen schwer zu managen war“.
Wer aber wachsen wollte, mußte das Dorf verlassen und sich außerhalb niederlassen, auf sogenannten Aussiedlerhöfen. Die Wiesen und Felder für die Landwirtschaft und den Weinbau lagen um die Siedlungen beziehungsweise Dörfer und waren aufgrund der existierenden Realteilung (der Erbteil wurde zu gleichen Teilen unter den Nachfahren aufgeteilt) in kleinste Parzellen zerstückelt (in einzelnen Fällen zum Beispiel nur 12 Zentimeter breit und 100 Meter lang). Für die Bearbeitung dieser Parzellen waren flexible Geräte vonnöten, mit (Groß-)Maschinen konnten sie nicht bewirtschaftet werden. Das wurde durch Flurbereinigungen korrigiert, wie dem Weingesetz von 1971, wo man die kleinen Parzellen zu größeren zusammenfaßte, die nun auch besser maschinell zu bewirtschaften waren.
Mit dem Beitritt zur EU und später der Ausdehnung der Rebflächen mit dem neuen Weingesetz im Jahr 1971 war die Konzentration auf Weinbau effektiver und lukrativer. So entwickelte sich in den goßen Qualitätsweinbaugebieten in Deutschland diese enorme Monokultur, wie sie noch heute besteht. Allgemein vollzieht sich in der Landwirtschaft in dieser Zeit die Trennung von Ackerbau und Viehzucht: Es enstehen spezialisierte Betriebe für die Massentierhaltung genauso, wie Betriebe, die sich auf den Anbau von wenigen oder manchmal, wie oft beim Wein, auf nur eine Kulturpflanze konzentrieren. Diese Trennung von Ackerbau und Viehzucht aber endet oft, darauf macht Echensperger aufmerksam, „in Ressourcenverschwendung und manifesten Umweltproblemen. Als zwei Beispiele seien Nitratbelastungen im Grundwasser sowie Humusverlust genannt“.
Durch den Wandel in den Fluren veränderte sich auch das Dorfleben langfristig – die Geselligkeit auf dem Dorf ist verloren gegangen, der Zeitdruck gewachsen. Heute produzieren immer weniger Landwirte auf immer größeren Flächen immer mehr. 1968 brauchte beispielsweise ein Mähdrescher für einen Hektar noch 2 Stunden, heute nur noch 20 Minuten. Und auch Kartoffeln wachsen heute vier Mal so viele auf dem Acker als noch Anfang des 20. Jahrhunderts. Ernährte ein Landwirt um 1900 noch drei Städter, sind es heute bereits 150. Eine solche Ertragssteigerung ist nur durch Chemie und Züchtung möglich.
Fußten die Entwicklungen in der Landwirtschaft und im Weinbau zunächst auf der Ertragssicherheit, bestimmt nun zunehmend die Ertragssteigerung die Bemühungen: Die Zielsetzung ist mehr und mehr die Ertragsmaximierung. Im Weinbereich ist, abgesehen von grundsätzlich veränderten Anbaumethoden (Einführung der Drahtrahmenerziehung als Voraussetzung der Mechanisierung beispielsweise) insbesondere ein vermehrter Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngermitteln zu beobachten. Und auch die Rebenzüchtung und Klonenselektion spielen eine wichtige Rolle – insbesondere seit Ende des 19. Jahrhunderts die Reblaus, ein aus Amerika eingeschleppter Schädling, den europäischen Weinbau fast zum Erliegen brachte.
Mit der Reblauskrise kommt es zu einem besonders großen Umbruch im Weinbau. Seither müssen europäische Edelreben wie der Riesling, die deutsche Leitrebsorte, auf Wurzeln von deutlich wüchsigeren amerikanischen Reben gepfropft werden, die gegen den Schädling resistent sind. Auch hierbei wurde auf Ertragsmaximierung geachtet. Und so wundert es nicht, dass auch die Erträge im Weinbau massiv gestiegen sind: Wenn man im 19. Jahrhundert in Deutschland schon bei 20 Hektoliter pro Hektar Ertrag von einer guten Lese sprach, ist heute das vier- bis fünfache selbstverständlich, auf jeden Fall möglich. Denn neuerdings ist auch ein Gegentrend unter den Winzern, den Landwirten insgesamt, zu beobachten. Wichtig wird zunehmend die Qualität der landwirtschaftlichen Produkte, es geht nicht mehr nur um den Ertrag.
Die Weinrebe ist, anders als andere Kulturpflanzen wie Weizen, eine mehrjährige Pflanze die mitunter tief wurzelt. Wie bei kaum einem anderen landwirtschaftlichen Produkt macht sich bei Trauben die Art der Landwirtschaft deshalb auch im Geschmack bemerkbar. Um ihre Qualität zu verbessern, wird die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Umwelt- und Wachstumsbedingungen des Rebstocks gelenkt, und hier insbesondere auf den Boden. Eine Handvoll Erde kann bis zu einer Milliarde Organismen enthalten, wobei das komplexe Zusammenspiel zwischen Flora und Fauna dabei allerdings noch weitgehend unerforscht ist. Erst neuerdings rückt in Zusammenhang mit der biodynamischen Landwirtschaft auch der Boden in den Fokus des Interesses. Bis dahin hatte einzig und allein die Ertragssicherheit in der Landwirtschaft und im Weinbau Priorität – und das heißt, dass ohne Rücksicht auf ökologische Zusammenhänge Gift gespritzt wurde, wenn es denn half, eine sichere Ernte einzufahren.
Entwicklung der Agrarchemieindustrie
In der Landwirtschaft innerhalb der Europäischen Union macht Weinbau nur drei Prozent aus, aber zwanzig Prozent aller Pestizide werden hier verwendet. Dabei war das lange anders: Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war über synthetische Kunstdünger nichts bekannt. Und auch das fehlende Wissen über Fruchtfolgen, Pflanzenschutz und Pflanzenernährung sorgte lange dafür, ganz abgesehen von der natürlichen Unberechenbarkeit des Wetters, dass es regelmäßig zu Missernten beziehungsweise geringen Ernteerträgen kam. Insbesondere der Wunsch nach mehr Ertragssicherheit führte zu verstärkten Anstrengungen um eine Entwicklung der Landwirtschaft.
Systematische Überlegungen zur landwirtschaftlichen Praxis entstehen erstmals, wie Romana Echensperger ausführt, mit dem 1752 geborenen Albrecht Daniel Thaer, der sich insbesondere mit der in England propagierten Fruchtwechselwirtschaft auseinandersetzte, mit der beträchtliche Ertragssteigerungen erreicht werden konnten. Hier wurde der Anbau von Klee in die ackerbauliche Fruchtfolge integriert, weiß Echensperger, obwohl noch nicht bekannt war, dass der zu den sogenannten Leguminosen gehört, also zu jenen Pflanzen, die Stickstoff organisch im Boden binden und ihn damit düngen.
Klee diente zunächst als Futtermittel für die Nutztiere, deren Stallmist zusätzlich als Dünger genutzt wurde. Das sorgte für Humusaufbau, lockere Bodenstruktur und Fruchtbarkeit, wovon Kulturpflanzen wie Weizen profitierte oder auch die Kartoffel, die entgegen landläufiger Meinung nicht von Friedrich dem Großen in Deutschland eingeführt wurde, sondern schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Massen angebaut wurde, nachdem sie erstmals im Jahr 1647 von einem Bauer in Oberfranken angepflanzt wurde, der die Knollen im heutigen Tschechien von einem Niederländer bekommen hatte. (Diesem Bauern wurde im bayerischen Rehau ein Denkmal gesetzt.)
Mit der engen Verzahnung von Ackerbau und Viehwirtschaft wurde die Dreifelderwirtschaft (ein Feld für Sommer-, eines für Wintergetreide sowie ein Brachfeld als Weideland für das Vieh) und damit das ungenutzte Feld überwunden. Diese Wirtschaftsform hatte Karl der Große eingeführt und bestimmte dann für fast 1000 Jahre die Arbeit der Bauern. Überhaupt wurde die Verbindung von Ackerbau und Viehwirtschaft im Leitbild des „Ganzen Landwirtes“ zur Maxime, auch weil dadurch das wirtschaftliche Risiko vermindert werden konnte. Im Hinblick auf diesen wirtschaftlichen Aspekt sagt Thaer: „Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion … vegetabilischer und tierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben.“ Der komplette Betrieb sollte auf den wirtschaftlichen Nutzen hin ausgerichtet werden.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Agrarsektor von staatlicher Seite aufgewertet, was auch daran gelegen haben mag, dass man im Nahrungsmittelbereich autark sein wollte. So entstanden in dieser Zeit staatliche Einrichtungen im Agrarsektor wie beispielsweise die Landwirtschaftskammern mit Beratungen und landwirtschaftlichen Schulungsstätten. Auch die Agrarwissenschaften erstarkten in dieser Zeit und verschiedene Spezialdisziplinen entstanden. Für den Weinbau im deutschsprachigen Raum war die Gründung der Lehranstalten in Klosterneuburg (1860), Weinsberg (1868) und Geisenheim (1872) wichtig.
Schon in dieser Zeit gewinnen Agrikulturchemie und Düngerlehre an Bedeutung, insbesondere deshalb, weil man sich davon die größten Ertragssteigerungen erhoffte. Mit verbesserten naturwissenschaftlichen, chemischen Methoden und Laboranalysen sollte dem Vorwurf entgegnet werden, Agrarwissenschaften seien nur „auf Feldern zusammengeklaubtes Wissen“, wie Echensperger weiß, die im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen im biologischen Weinbau außerdem schreibt: „Bald schon entstand erstmals eine Verbindung zwischen agrarwissenschaftlicher Forschung und Industrie, vor allem der Kunstdüngerindustrie“.
Tatsächlich schon seit dem 17. Jahrhundert gab es Studien zum Nitratgehalt des Bodens, aber erst jetzt formuliert Justus von Liebig in Anlehnung an ältere Arbeiten von Carl Sprengel das „Gesetz vom Minimum“. Es besagt, wie Echensperger weiß, „dass es die Verfügbarkeit von löslichem Phosphor, Stickstoff, Kalium und anderen Elementen ist, die das Pflanzenwachstum bestimmen“. Sprengel schreibt: „Als Prinzip des Ackerbaus muss angenommen werden, dass der Boden in volllem Maße wieder erhalten muss, was ihm entnommen wird …“ Nach ihm entstand der Gedanke, den Boden nach dem Nähstoffentzug der Pflanze zu düngen: Um die Bilanz ausgeglichen zu halten, sollten Eisen, Kalium, Phosphor, Stickstoff, Kalk, Magnesium und Spurenelemente dem Boden entsprechend zugeführt werden.
Mit Liebig veränderten sich Vorstellungen von der Düngung grundlegend, weil mit ihm deutlich wird, dass es nicht unbestimmbare Kräfte sind, die auf das Pflanzenwachstum wirken (wie beispielsweise noch in Goethes Metamorphosenlehre), sondern man versteht, dass es konkrete Stoffe sind, die diese Wirkung zeitigen. Mit entsprechender Düngung wurde das Jahr Brache jedenfalls endgültig obsolet.
Vor diesem Hintergrund verloren andere Forschungsrichtungen als die Agrarchemie merklich an Bedeutung: Humus zum Beispiel wurde kaum erforscht, auch Bakteriologie und Bodenökologie, weiß Echensperger, wurden völlig vernachlässigt. So galt zum Beispiel bis in die 1870er Jahre der Regenwurm als Schädling. Selbst heute noch, bemerkt Echensperger des weiteren, „weiß man noch wenig über das Thema Boden“. Wenn überhaupt, werden extrem abgegrenzte Flächen untersucht und Erkenntnisse gewonnen, die kaum verallgemeinerbar sind – wenn die Bodenkunde nicht sogar gänzlich in die Geologie gerutscht ist und man nicht mehr in der Lage ist, der landwirtschaftlichen Praxis verständliche Empfehlungen zu geben. Stattdessen wurden eher komplexe Klassifizierungen unzähliger verschiedener Bodentypen gegeben, ein Phänomen, dem man heute noch weitverbreitet begegnet.
So hatte die Agrikulturchemieindustrie also beste Voraussetzungen, sich in der Landwirtschaft als nicht zu übersehender Faktor zu etablieren. Waren um das Jahr 1800 noch etwa 45 verschiedene Düngemittel aufgelistet, darunter Exkremente, Schlachtabfälle, Straßenkehricht, Seemuscheln, Gips und Kalk, veränderte sich das ab 1845 zusehends: Zu dieser Zeit begann man mit Chilesalpeter zu experimentieren, der dann allerdings nicht nur als Stickstoffdünger, sondern auch für die Sprengstofferzeugung genutzt wurde.
Stickstoff ist ein zentraler Bestandteil allen Lebens und kann von der Pflanze nicht über die Luft, sondern nur aus dem Boden aufgenommen werden. In der konventionellen Landwirtschaft greift man bisweilen auf künstliche Stickstoffdünger zurück. Der kann hergestellt werden, seit Carl Bosch und Fritz Haber um 1910 ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Stickstoff im industriellen Maßstab erfunden haben, die sogenannte katalytische Ammoniak-Synthese, mit deren Hilfe Stickstoff aus der Luft mit Wasserstoff zu Ammoniak verbunden werden konnte. War Stickstoffdünger bis dahin nur teuer und aufwendig zu besorgen, nimmt die Bedeutung der Kunstdüngerindustrie von nun an enorm zu.
Ammoniak dient als Grundstoff für Künstdünger, mit dem Verfahren konnte jedoch auch Salpeter produziert werden, der als Grundsubstanz von Explosivstoffen dienen konnte. Diese Vorstellung weckte Begehrlichkeiten im Kriegsministerium und man einigte sich auf einen Handel: Zunächst sollte der erzeugte Stickstoff für die Sprengstoffproduktion verwendet werden (Haber ist außerdem seit 1911 verantwortlich für die Produktion chemischer Kampfstoffe für den „Gaskrieg“ und in den 1920er-Jahren an der Entwicklung des Giftgases „Zyklon B“ beteiligt), nach dem Ersten Weltkrieg konnte Stickstoff dann in großen Mengen der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden.
Der Erste Weltkrieg führte die Landwirtschaft in eine große Krise, hinzu kam, dass der Selbstversorgungsgrad schon vor dem Ausbruch des Krieges nur bei etwa 80 Prozent lag. Nun kam auch noch die britische Seeblockade hinzu, die Importe von Nahrungsmitteln verhinderte. Weil man davon ausging, dass die etwa 25 Millionen Schweine in den heimischen Ställen die Nahrungsmittelknappheit noch zusätzlich verschärften, beschloss man 1915 über acht Millionen Schweine zu schlachten. Das allerdings führte dazu, woran offenbar niemand gedacht hat, dass nun Stallmist als Dünger fehlte. Zudem konnte Deutschland aufgrund der Blockade auch keinen Salpeter aus Chile mehr importieren, die noch vorhandenen Vorräte beschlagnahmte das Militär zur Herstellung von Sprengsstoffen und Munition.
Nicht nur der Wegfall von Düngemitteln erschwerte die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln – man geht davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Düngewirkung durch den Wegfall des Schweinemistes verloren gingen –, sondern es fehlten natürlich auch dringend benötigte Arbeitskräfte. Zudem führte, wie Echensperger bemerkt, „die Expansion des Anbaus von stark zehrenden Hackfrüchten, wie Stecküben oder Kartoffeln, zu einer Verschlechterung des Humusgehaltes des Bodens“. Der Krieg war insofern auch für die Ackerböden eine Katastrophe.
Auch deshalb wurde nach dem Ersten Weltkrieg von staatlicher Seite erstmal nach dem Motto: „viel hilf viel“, wie Echensperger schreibt, der exzessive Einsatz von synthetischem Dünger propagiert, um die Erträge in der Landwirtschaft zumindest wieder auf das Vorkriegsniveau zu bringen. Während sich der Bedarf an Dünger vor dem Ersten Weltkrieg auf etwa 200.000 Tonnen Reinstickstoff im Jahr belief, standen nun mehr als das Doppelte, etwa 460.000 Tonnen, zur Verfügung. Und vor allem der Stickstoff stand im Mittelpunkt der Empfehlungen. Mit diesem synthetisch hergestellten Düngemittel hat die Chemie endgültig Einzug in die Landwirtschaft gefunden. Stickstoff wird dann später in systemisch wirkende Kunstdünger eingebaut (systemischer Dünger vereint verschiedene Wirkstoffe in einem Spritzmittel und muss entsprechend nur ein Mal ausgebracht werden), zunächst jedoch konnte sich die Agrikulturchemie, sagt Echensperger, mit dem Haber-Bosch-Verfahren als „Retter in der Not“ präsentieren.
Das Vorkriegsniveau wurde damit aber trotz der verstärkten Anstrengungen nicht erreicht, was möglicherweise daran gelegen hat, dass das experimentell in Versuchsparzellen gewonnene Wissen über die Düngemittel in der landwirtschaftlichen Praxis versagte. Jedenfalls wurde die Kritik an der Agrikulturchemie lauter und führte im Jahr 1924 dazu, dass der Anthroposoph Rudolf Steiner in Breslau einen neuen biologisch-dynamischen Ansatz für die Landwirtschaft entwickelte, der auch den weitestgehenden Verzicht von synthetischen Düngemitteln vorsieht.
Ein entscheidendes Problem für die Agrikulturchemie war, dass sie nicht sagen konnte, wie viel von welchem Dünger ein Acker und eine bestimmte Pflanze wirklich benötigte. Synthetische Düngemittel waren teuer und die Kosten konnten oft nicht zurückerwirtschaftet werden. Erst mit der Erfindung des idiotensicheren Volldüngers „Nitrophoska“ durch BASF, der 1927 auf den Markt kam und die drei Hauptnährstoffe Stickstoff, Phosphat und Kalim chemisch zu einem Düngemittel verband, konnte das Vertrauen der Landwirte in die chemische Düngung zurückgewonnen werden.
Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen gab es zwar zunächst, wie Romana Echensperger bemerkt, durchaus ein Interesse an alternativen Landwirtschaftskonzepten: So sympathisierten einige hochrangige Nazis wie Rudolf Heß oder Heinrich Himmler mit der Anthroposophie und Biodynamie, letzerer hatte im Konzentrationslager Dachau sogar einen biologisch-dynamischen Garten anlegen lassen, wie Echensperger weiß; und umgekehrt gab es auch unter den Biodynamikern glühende Hitler-Anhänger, wie auch einige Aussagen Rudolf Steiners, wie Echensperger weiters feststellt, „nicht mit dem damaligen Zeitgeist oder Sprachgebrauch zu entschuldigen sind, sondern ganz einfach als rassistisch bezeichnet werden müssen“. (So verkündet er beispielsweise: „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse“, und dass „man eigentlich die ganze Geschichte und das ganze soziale Leben, auch das heutige soziale Leben nur versteht, wenn man auf die Rasseneigentümlichkeiten der Menschen eingehen kann. Und dann kann man ja auch erst im richtigen Sinne alles Geistige verstehen, wenn man sich zuerst damit beschäftigt, wie dieses Geistige im Menschen gerade durch die Hautfarbe hindurch wirkt“.)
In den Reihen der Nazis gab es von Anfang an aber auch große Skeptiker. Schließlich wurde erst die Anthroposophie und später die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise verboten, es war letztlich auch einfacher, auf die Kunstdünger-Karte zu setzen. Schon im Jahr 1934 wurde der Kunstdünger von der Umsatzsteuer befreit und dessen Gebrauch mit weiteren Subventionen gefördert, woraufhin sich der Mineraldüngerverbrauch bis zum Jahr 1938 verdoppelte.
Schon jetzt zeichnete sich ein Trend ab, der dann nach dem Krieg noch beschleunigt wurde: Zunehmend wurden die praktischen Erfahrungen der Landwirte zugunsten wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse entwertet: Laboranalysen, Bodenuntersuchungen und Beraternetzwerke der Agrarchemieindustrie höhlten die landwirtschaftlichen Erfahrungen aus der Praxis aus – der Bauer wurde, wie Echensperger sagt, „zum Empfänger externer Anweisungen“ der Agrarchemieindustrie degradiert.
Externe Berater entschieden fortan, welche Chemikalien in den Weinbergen gespritzt werden sollten – oft wussten die Winzer gar nicht, mit was sie hier hantierten. So berichtet Echensperger zum Beispiel über den Entscheidungsprozeß des jungen Clemens Busch als einer der ersten in Deutschland zum biologischen Weinbau zu wechseln: „Mit der Buckelspritze läuft er durch die Steilhänge und spritzt im Frühjahr ein sogenanntes Vorauflaufmittel auf den noch blanken Schieferboden. Mit dem Pestizid wird verhindert, dass Unkräuter überkaupt keimen können. `Dann hast du gesehen, dass die Würmer nach oben kamen und verendeten´, erzählt er und macht eine Pause, als wäre er immer noch fassungslos. In der örtlichen Berufschule fragt er die Lehrer, ob das denn so richtig sei, und bekommt nie eine befriedigende Antwort. `Die haben selbst nicht so viel gewusst. Die haben halt das erzählt, was denen die Industrievertreter gesagt haben´. (…) Zwei Jahre macht er das so und hat dann keine Lust mehr auf Herbizide. `Mein Vater sagte nur – na gut, dann musst du halt zusehen, wie du die Wingerte sauber hältst´, erzählt er.“ Das macht er 1986.

Clemens Busch ist eine Winzerlegende, er arbeitet bereits seit 1986 nach ökologischen Kriterien, womit er sicherlich einer der ersten Biowinzer in Deutschland ist – und inzwischen auch Mitglied im VDP. Sein Weingut liegt in Pünderich am Anfang der Terrassenmosel. Hier bearbeitet er etwa 18 Hektar vornehmlich Riesling und hauptsächlich in der Lage Pündericher Marienburg (die bis zur neuen Weingesetzgebung 1971 aus etlichen kleinen Einzellagen bestand, die dann zusammengefasst wurden).
Der „Riesling LS“ steht für „low sulfit“, also einen naturbelassenen Wein, der ohne die übliche Schwefelung zur Stabilisierung auskommt. Wie alle Weine von Busch ist er spontanvergoren und unfiltriert auf die Flasche abgefüllt. Der „Riesling LS“ ist keine klassische Fruchtbombe, sondern eher komplex mit bitteren Noten (Grapefruit, Organgenhaut) und von mineralischer Art. Durchaus mit zurückhaltender Frische, aber dennoch wesentlich cremiger als der Basis-Riesling. Vielleicht ein Wein für den verregneten Sommerabend, wenn einem der Wind das kühle Nass ins Gesicht weht … ich würds machen!
Wer sich nicht losreißen kann, der ist noch heute in ein externes Beratersystem der Agrarindustrie eingebunden. „Kognitive Abhängigkeiten“, bemerkt Echensperger, werden auch durch Spritzmittel-Apps und Pflanzenschutzempfehlungen geschaffen, die so ins Haus flattern. So wird der eigenen Erfahrung immer weniger getraut und mehr und mehr Angst und Unsicherheit geschürt, Fehler zu machen, die sich wirtschaftlich auswirken. Zu diesem schlechten Gefühl kommt noch die Mechanisierung, die den Winzer und Landwirt auch physisch immer weiter von seinem Boden entfernt: In einem luftgefederten, vollklimatisierten und computerisierten Traktor ist die Gefahr sicherlich hoch, dass mit der Zeit jeder sinnliche Bezug, jede Sensibilität für den Boden verloren geht.
„Agrarindustrie, Bauernlobby und mittlerweile auch Handelsriesen begünstigten diese Entwicklungen“, sagt Echensperger. Aber wenn bislang eine ressourcenverschwendende Subventionspolitik und günstige klimatische Verhältnisse in Deutschland die Vorraussetzung für eine unproblematische Landwirtschaft respektive eine „brutale Bodenbehandlung“, wie Echensperger es ausdrückt, geschaffen haben, dann kommt inzwischen beides an ein Ende. Bodenverdichtung und -erosion, Verlust von Biodiversität, Insekten- und Artensterben, Humusverlust et cetera sind heute wieder öffentlich diskutierte Themen. Insbesondere der Klimawandel macht sich in der Landwirtschaft und im Weinbau bemerkbar, und „(w)o beispielsweise kaum noch Humus im Boden ist und das Bodenleben durch Herbizide und Mineraldünger geschädigt ist, gibt es enorme Probleme mit zunehmenden Wetterextremen. Die Winzer merken das sofort in der Weinqualität“, sagt Echensperger.
Für sie steht deshalb fest, dass „gerade die Zukunftsfähigkeit in Zeiten des Klimawandels der Grund (ist), auf Bioanbau umzustellen“. Die Ansätze der Biodynamie, so Echensperger, könnten „als eine von vielen hilfreichen Ergänzungen zur Naturwissenschaft verstanden werden. Sie können dabei helfen, respektvoll mit dem vielen Nichtwissen umzugehen, das uns immer noch umgibt“, auch im Hinblick auf den Boden. In diesem Sinne!