Neu, Theater

Correctiv enthüllt: Rechtsextremer Geheimplan gegen Deutschland

In einer szenischen Lesung am 17. Januar 2024 im Berliner Ensemble hat die Rechercheplattform Correctiv über ihre bereits veröffentlichten Erkenntnisse hinaus weitere Details zu dem jüngsten Treffen von Politikern und Rechtsextremisten in Potsdam präsentiert …

Wie Adorno bereits 1967 in einem Vortrag zu „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ in Zusammenhang mit der Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) 1964 feststellte, scheinen die Menschen in Deutschland „in einer immerwährenden Angst um ihre nationale Identität zu leben, eine Angst, die zu der Überwertigkeit des Nationalbewußtseins sich das Ihrige beiträgt.“ Was ist Heimat? Was ist Nation und Patriotismus? – dieses „Geraune“, wie der Schriftsteller Michael Köhlmeier es in „Wenn ich WIR sage“ (2021) nennt.

Es sind in der Vergangenheit vor allem Konservative, die beanspruchen, die richtigen Antworten auf diese Fragen zu haben. Entsprechend ist eine politische Haltung lange Konservativ und Rechts – das gehörte zum Grundkonsens der demokratischen Gesellschaft. Inzwischen allerdings hat sich das politische Koordinatensystem verschoben, das heißt, wer sich heute demonstrativ Rechts verortet – wie die Neue Rechte um Patrioten wie Martin Sellner – zieht die demokratische Grundordnung und mit ihr verbundene universale Grundwerte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus oder Demokratie offen in Zweifel oder lehnt sie rundweg ab. Ausdruck findet diese Ablehnung in Begriffen wie Enthnopluralismus, Umvolkung oder eben auch Remigration. Alles relativ neue Begriffe, die aber allesamt zur Rückeroberung Deutschlands von der muslimischen Bevölkerung aufrufen und eine längst überholt geglaubte fremdenfeindliche, völkische Ideologie propagieren. Allesamt also Begriffe, hinter denen sich ehemals eindeutig extrem rechte Positionen und Haltungen verbargen – eine „Blut und Boden“-Ideologie, bei der der Begriff Rasse inzwischen einfach durch ethnokulturelle Identität ersetzt wird. Die Nähe zum biologistischen Denken der Nazis aber ist offensichtlich.

Längst haben diese Begriffe Eingang in den konservativen politischen Diskurs gefunden, wie Correctiv nun beweist. Genau das zeigt, folgt man der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl, dass das Erstarken der Neuen Rechten „zu Erosionsprozessen innerhalb der konservativen Milieus“ geführt habe, wie sie in „Radikalisierter Konservatismus“ (2021) schreibt. Konservatismus, so ihre These, sei inzwischen vom Rechtsradikalismus kaum noch zu unterscheiden. Ein Teil der Konservativen „popularisierte sukzessive Positionen, die zuvor nur in der extremen Rechten zu hören waren“, so Strobl.

Aber so hohl und leer die von den Nationalisten dabei beanspruchten Begriffe auch sein mögen – dass sie es sind, zeigt Michael Köhlmeier beispielhaft am Wir auf –, so anachronistisch und unzeitgemäß diese Positionen im Zeitalter des Anthropozän auch erscheinen mögen – Adorno warnte bereits 1967: „Man sollte diese Bewegungen nicht unterschätzen wegen ihres niedrigen geistigen Niveaus und wegen ihrer Theorielosigkeit. Ich glaube, es wäre ein völliger Mangel an politischem Blick, wenn man deshalb glaubte, daß sie erfolglos sind. Das Charakteristische für diese Bewegungen ist vielmehr eine außerordentliche Perfektion der Mittel, nämlich in erster Linie der propagandistischen Mittel in einem weitesten Sinn, kombiniert mit Blindheit, ja Abstrusität der Zwecke, die dabei verfolgt werden. Und ich glaube, daß gerade diese Konstellation von rationalen Mitteln und irrationalen Zwecken … in gewisser Weise der zivilisatorischen Gesamttendenz entspricht, die ja überhaupt auf eine solche Perfektion der Techniken und Mittel hinausläuft, während der gesamtgesellschaftliche Zweck dabei eigentlich unter den Tisch fällt. Die Propaganda ist vor allem darin genial, daß sie bei diesen Parteien und diesen Bewegungen die Differenz, die fraglose Differenz zwischen den realen Interessen und den vorgespiegelten falschen Zielen ausgleicht. Sie ist wie einst bei den Nazis geradezu die Substanz der Sache selbst. Wenn Mittel in wachsendem Maß für Zwecke substituiert werden, so kann man beinahe sagen, daß in diesen rechtsradikalen Bewegungen die Propaganda ihrerseits die Substanz der Politik ausmacht. Und es ist ja kein Zufall, daß die sogenannten Führer des deutschen Nationalismus … eben in erster Linie Propagandisten waren und daß ihre Produktivität und Phantasie in die Propaganda hereingegangen ist.“

Wie bereits in einem anderen Essay ausgeführt, ist für Adorno „Rechtsradikalismus kein psychologisches und ideologisches Problem, sondern ein höchst reales und politisches“. Das sich daran offensichtlich nichts geändert hat – das haben die Investigativjournalistinnen und -journalisten der Plattform Correctiv heute in einer szenischen Lesung im Berliner Ensemble gezeigt, bei der sie über ihre jüngst veröffentlichten Recherchen zu einem Treffen von Politikern und Rechtsextremisten hinaus weitere erschreckende Details bekannt gemacht haben. Eine Aufzeichnung des Abends sowie eine gekürzte Textfassung stellen sie auf ihrer Webseite zur Verfügung.

Top
Standard