Weinglossar

Zweigelt

Mit Blaufränkisch und Zweigelt hat Österreich zwei autochthone Rotweinrebsorten, die sich auch im etwas kühleren Klima wohl fühlen und sich durch ihre lebhafte Säure auszeichnen. Auch wenn Zweigelt dabei sein Terroir vielleicht nie so gut wird abbilden können wie Blaufränkisch – im Hinblick auf die Anbaufläche ist Zweigelt mit 6.500 Hektar deutlich vor ihm und insofern Österreichs meistangebaute Rotweinsorte. Allein in den letzten zwanzig Jahren ist die Rebfläche für ihn um fast die Hälfte gewachsen – während umgekehrt jene des Grünen Veltliners, immerhin die erfolgreichste österreichische Rebsorte, in der gleichen Zeit um mehr als zwanzig Prozent abnahm.

Dabei hat die Rebsorte noch gar keine lange Geschichte: Sie wurde nämlich erst 1922 von Fritz Zweigelt, dem Leiter der Rebenzucht in der Weinbauforschungsanstalt Klosterneuburg, gezüchtet und ist aus einer Kreuzung von Blaufränkisch und St. Laurent hervorgegangen. Es war die 71. Kreuzung, die Zweigelt vornahm – und sollte seine erfolgreichste werden.

Zweigelt übernahm die Rebenzüchtung an der 1860 gegründeten, ältesten Weinbauschule der Welt nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Zeit, als die aus Amerika eingeschleppte Reblaus die europäische Reblandschaft fast völlig zerstört hat. In die österreichischen Weinberge gelangte sie unter anderem dadurch, dass August Wilhelm von Babo (1827-1894), der erste Leiter der Weinbauschule, befallene Reben aus New Jersey anpflanzte – mit der Folge, dass wenige Jahre später praktisch alle Weinberge unwiderbringlich zerstört waren.

Die Reblauskrise änderte den Weinbau auch in Österreich von Grund auf: Für die Neubestockung der Weinberge griff man auch hier auf das in Frankreich entwickelte Verfahren zurück, Rebsorten von Vitis vinifera auf das Wurzelwerk reblausresistenter amerikanischer Unterlagsreben zu propfen. Das allerdings war sehr aufwändig und natürlich mit erheblichen Kosten verbunden, weshalb zahlreiche österreichische Weinbauern auf sogenannte „Direktträger“ zurückgriffen, das heißt Amerikanische Rebsorten wie Delaware, die man einfach in den Boden pflanzen konnte.

Vehement und unermüdlich setzte sich Zweigelt in zahlreichen Vorträgen und wissenschaftlichen Publikationen gegen diese Direktträger ein – und erarbeitete sich so bald einen Weltruf als Önologe: Nicht nur, weil sie aufgrund ihres „fuchsigen“ Aromas – dem sogenannten „Foxtone“ – geradezu „ungenießbar“ seien, sondern auch, um eigene österreichische Sorten wie den Grünen Veltliner oder die Blaufränkisch zu schützen. Schließlich setzte sich Zweigelt im österreichischen Weinbauauschuss gegen die Direktträger durch – nur noch im Burgenland werden sie gepflanzt: Weine aus den Rebsorten Noah oder Delaware beispielsweise heißen dort „Uhudler“.

Die ohnehin bereits vorhandenen österreichischen Rebsorten wollte Zweigelt selbst noch um neue Züchtungen erweitern: „Tatsache ist, dass keine der hierzulande gebräuchlichen Sorten in jeder Hinsicht befriedigt; entweder lässt der Ertrag zu wünschen übrig, oder das gilt besonders für die feineren Sorten – die Trauben reifen zu spät oder auch die Fäulnisempfindlichkeit bedrohen alljährlich den Ertrag“, schreibt er in diesem Zusammenhang 1927. Um das zu ändern experimentierte er mit der Kreuzung verschiedener Genotypen von Vitis vinifera – aber auch mit Kreuzungen von Reben amerikanischer und europäischer Genetik, weil solche Hybriden letztlich resistenter sind.

Zweigelt setzt dabei auf die sogenannte Auslesezüchtung – und versuchte aber auch, durch aufwändigere Kreuzungen mehrerer Sorten eine neue, qualitativ und quantitativ verbesserte genetische Identität zu schaffen. Als Nachfolger von Babo fühlte er sich auf jeden Fall berufen, exakte Methoden auf der Basis der Vererbungsgesetze von Gregor Mendel (1822-1884) anzuwenden. Dazu werden männliche Blüten kastriert, indem die Rebenhütchen entfernt werden um die Pollen freizulegen. Anschließend wird die Blüte mit einem Papiersäckchen umschlossen, das verhindern soll, dass es zu unerwünschten Befruchtungen kommt.

Die Kreuzung „Nr. 71 St. Laurent x Blaufränkisch“ – sie sollte Zweigelts erfolgreichste Rebsorte werden. Die zunächst nur mit der Züchtungsbezeichnung angegebene Rebsorte (dafür, dass ihr Zweigelt den Namen „Rotburger“ gegeben haben soll, gibt es keine Belege) treibt früh aus und benötigt auch etwas Zeit, um auszureifen – jedoch nicht so lange wie Blaufränkisch. Außerdem ist die Rebsorte nicht frostanfällig und stellt auch nur geringe Ansprüche an Boden und Standort im allgemeinen. Gefahr droht allenfalls durch Pilzerkrankungen wie den Falschen Mehltau. Ansonsten jedoch zeichnet sie sich durch ziemlich hohe Erträge aus, sodass ein gewissenhaftes Laubwandmanagement („Canopy Management“) notwendig ist, um sie im Wuchs zu regulieren und hochwertiges Traubenmaterial zu erhalten. Auch ein frühzeitiges Ausdünnen der Trauben (Grüne Lese) hilft, damit der Wein nicht zu „dünn“ ausfällt.

Ansonsten ergibt die Rebsorte, reinsortig ausgebaut, einen farbintensiven und vollfruchtigen Wein (Sauerkirsche) mit weichen Tanninen – er eignet sich aber auch gut für den Ausbau im Barrique, wo er dann vielleicht einen etwas traditionelleren Stil erhält.

Nach der erfolgreichen Züchtung 1922 geriet die neue Rebsorte allerdings in Vergessenheit – und als nach dem Zweiten Weltkrieg das Zweigelt`sche Rebenzüchtungssortiment zerstört und verloren geglaubt war, entdeckte man doch noch ein etwa 2.100 Rebstöcke umfassendes Neuzuchtfeld mit sogenannten Edelraisern, das unbeschadet den Krieg überstanden hatte. Insbesondere der damalige Rebenzüchter Lenz Moser machte sich in der Folge an die Rettung der Rebsorte: Unter seiner Leitung beginnt ab 1950 eigentlich erst die weitere Vermehrung der Rebe.

Der Züchter selbst allerdings, Fritz Zweigelt, war zu dieser Zeit schon nicht mehr öffentlich tätig – und das hatte auch seine Gründe, wie Daniel Decker in einem Beitrag in „Wein in Österreich“ ausführt und Gerald Teufel in einem Dokumentarfilm zeigt. Denn Zweigelt war ein strammer, überzeugter Nationalsozialist und schon von Anfang an, seit 1933, Mitglied der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)“, wie außer ihm auch noch etwa 50.000 andere sogenannte „Illegale“ in jenen Jahren bis zum Anschluß Österreichs als „Ostmark“ an das Deutsche Reich 1938. Schon damals verteilte er Flugblätter, nutzte seine Kontakte zur nationalsozialistischen Propaganda – und bezeichnete sich selbst als „alten Kämpfer“. 1937 sagte er auf einer Reichstagung in Heilbronn unter anderem: „Der Wille des Führers ist uns heiliges Gebot. (…) Die planmäßige Ernährungswirtschaft, die reichen Ernten der letzten Jahre im Feldbau, im Getreidebau, im Obstbau werden alle Hoffnungen unserer Gegner zunichte machen, jemals dieses Deutsche Volk in die Knie zu zwingen. Jüdischem Spekulationsgeist ist für alle Zeit der Boden entzogen.“ Es war noch eine der harmloseren „oratorischen Entgleisungen“, wie man das später entschuldigte …

Während die jüdischen Weinhändler enteignet wurden, setzte sich Zweigelt als neuer Direktor an die Spitze der Weinbauschule in Klosterneuburg und machte sich dort an die Säuberung der Anstalt. Sogleich entfernte er alle missliebigen Kollegen – nicht alle aus politischen Gründen. Ihm selbst wäre dabei beinahe zum Verhängnis geworden, dass er unter anderem jahrelang in der Zeitschrift eines jüdischen, mittlerweile arisierten und gleichgeschalteten, Verlags publiziert hat. Nichtsdestotrotz führt an Zweigelt zu der Zeit kein Weg in der „ostmärkischen Weinlandschaft“ vorbei – 1944 wird er sogar, „im Namen des Führers“, mit dem Professorentitel geehrt.

Nach dem Krieg liegt Zweigelts Weinschule in Trümmern – und er selbst wird zwar wegen Volksverhetzung angeklagt, das Verfahren gegen ihn jedoch bald eingestellt. Zweigelt war – wie offenbar so viele – unabkömmlich für die Weinwirtschaft, wird sogar Oberregierungsrat. Es ist dann 1958, als Lenz Moser aus Anlass von Fritz Zweigelts siebzigstem Geburtstag unter der Überschrift „Ab 1960: Zweigelt-Kreuzungen im Verkehr“ nicht ohne tiefe Bewunderung schreibt: „(D)ieser Doktor Zweigelt gehört zu jenen Menschen, von denen jenes gewisse Etwas ausgeht, dass wir mit einem Fremdwort als das ,Fluidum‘ bezeichnen und das nur wirklichen Persönlichkeiten eigen ist.“ Zweigelt habe „weit über 1000 Kreuzungen zwischen europäischen Reben untereinander sowie auch zwischen europäischen und amerikanischen Reben durchgeführt“, eine davon sei jene von St. Laurent x Blaufränkisch, „die zu Ehren des Züchters Zweigelt-Rebe benannt wurde.“

Schon 1956 habe Lenz Moser deshalb beim Züchter selbst angefragt, ob er seine Züchtung „Blaue Zweigelt-Rebe“ nennen dürfe, was Zweigelt offenbar bereitwillig angenommen hat (ähnlich wie bei der Scheurebe in Deutschland, deren Züchter ebenfalls eine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied hatte). Zweigelt selbst hat sich dazu allerdings wohl nur ein einziges Mal geäußert – aus Anlass einer Dankesrede bei einer Medaillenverleihung: „Zur Neuzüchtung von Sorten sind Tausende von Kreuzungen durchgeführt worden und nur einige wenige haben m. E. die Erwartungen erfüllt – so die blaue Zweigelttraube (…) Dass es die Zweigelttraube gibt, weckt in mir gemischte Gefühle – einerseits die Hoffnung, dass sie mich wahrscheinlich überleben wird, und andererseits die Hoffnung, dass sich manch einer an diesem Wein berauschen wird, wie ich mich seinerzeit berauscht habe an der Freude der gelungenen Züchtung.“

Als Zweigelt 1964 stirbt, zeichnet sich der Erfolg der Rebsorte noch nicht ab – erst 1975 erfuhr der „Zweigelt“ endgültig seine Markteinführung. Dann jedoch ging es schnell, das heißt, insbesondere der hohe Ertrag der Zweigelt-Rebe führte dazu, dass immer mehr österreichische Weinbauern sie anpflanzten. Die neue Rebsorte habe, so Lenz Moser, den Vorteil, dass sie erheblich früher reife als beispielsweise der damals häufig angebaute Blaue Portugieser und noch dazu gegenüber dem Echten Mehltau unempfindlich sei.

Schon seit 1972 ist sie als „Zweigeltrebe Blau“ offiziell ins Rebsortenverzeichnis für Qualitätsweine aufgenommen. Heute, genau hundert Jahre nach ihrer Züchtung, ist Zweigelt die meistangebaute rote Rebsorte in Österreich – und sorgt ob ihres Namens wieder für Kontroversen. Verschiedene neue Bezeichnungen werden für die vielgeliebte Rebsorte vorgeschlagen, allein, durchgesetzt hat sich bislang noch keine so wirklich. Was lange währt …

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