Weinglossar

Malvasia

Die englischen Plantagenets waren schon immer sehr weinaffin: Dass beispielsweise Weinbau in Bordeaux zum Erfolgsmodell wurde, hat seinen Ursprung darin, dass der englische Thronfolger Henri II. Plantagenet 1151 die Enkelin des Herzogs von Aquitanien, Alienor von Aquitanien, ehelichte. Durch diese Ehe geriet Bordeaux für etwa 300 Jahre unter englische Herrschaft – und mit ihr erst der Bordelaiser Wein nach England. Das war gewissermaßen der Anfang der Geschichte der Entwicklung des modernen Weinbaus im Bordelais.

Lange war es üblich, die Weine für die lange Schiffsreise nach England mit Branntwein aufzuspriten (ähnlich wie das heute beispielsweise bei Portwein gemacht wird) und damit überhaupt erst haltbar zu machen. Durch die Zugabe von Alkohol werden mikrobiologische Prozesse unterbrochen – aber auch die Gärung, sodass bisweilen nicht der ganze Zucker in Alkohol umgewandelt wird. Die exportierten Weine waren also durchweg süß. So war es auch mit den Weinen, die England seit den bis heute bestehenden Windsor-Verträgen von 1386 aus Portugal bezog – insbesondere auch von der 1419 von portugiesischen Seefahrern (wieder-)entdeckten Atlantikinsel Madeira.

Bis heute wird süßer Madeira hergestellt – und zwar auf Grundlage der weißen Rebsorte Malvasia (manchmal auch „Malvasier“ geschrieben). Süßer Madeira heißt deshalb immer noch „Malmsey“, nach dem englischen Begriff für Malvasia. Es ist also durchaus möglich, dass sich der wegen Hochverrat zum Tode verurteilte George Plantagenet (1449-1478), Bruder des englischen Königs Edward IV., als er sich bei der Wahl seiner Hinrichtungsart dafür entschied, in einem Fass Malvasia ertränkt zu werden, in einem Fass Malmsey aus Madeira starb …

George Plantagenets hatte die freie Wahl – und entschied sich der Legende nach für ein Fass vom „Wein der Könige“, wie man Malvasia damals nannte. Aber ob der Wein tatsächlich aus Madeira kam ist ungewiss – zu der Zeit dürfte dort noch gar kein Wein hergestellt worden sein (gespriteter ohnehin nicht). Wahrscheinlicher ist, dass ihn die Venezianer von einer ihrer griechischen Ägäisinseln nach England schifften: Wein war schon immer ein begehrtes Handelsobjekt im Mittelmeerraum, und da Venedig in der Zeit zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert die wichtigste Seemacht war, kontrollierte „La Serenissima“ , die Allerdurchlauchteste, auch den See- und damit den Weinhandel.

Von der engen Verbindung Venedigs zum Weinhandel und dessen Bedeutung zeugen noch heute etliche Straßennamen in der Stadt: „Riva del vin“ zum Beispiel, „Calle del Malvasia“ oder „Ponte de la Malvasia Vecchia“. Die „Riva del vin“, direkt an der Rialto Brücke gelegen, war gewissermaßen das Zentrum des Weinhandels in Venedig: Hier wurden Weine verschnitten, das war die Aufgabe der „Malvasiotti“, wie die Weinhändler damals genannt wurden, und in den Lagerhäusern dahinter gab es Küfer und andere Handwerker, die Geräte für die Weinproduktion herstellten. Meistens mußten die Fässer jedoch gar nicht umgeladen werden, sondern reisten auf denselben Schiffen weiter, auf denen sie in die Lagunenstadt gelangten, oft sogar bis nach England.

Bei den Straßennamen taucht immer wieder die Malvasia-Rebe auf. Und zwar auch deshalb, weil es sich bei „Malvasia“ um eine Chiffre für süße oder auch alkoholreiche Weine – für „Wein“ im allgemeinen – handelte. (Schon bevor der Arzt Arnaud de Villeneuve aus Montpellier die „mutage“, das heißt die Anreicherung des Traubenmostes mit destilliertem Alkohol und damit das Verfahren zur Herstellung süßer vin doux naturels entdeckte, war unter primitiven Methoden der Weinbereitung bei hohen Temperaturen eigentlich nur die Herstellung von süßen Weinen möglich.)

Malvasia selbst kann, wie in den meisten Fällen, weiß sein mit tiefer Färbung, es sind aber auch helle Rotweine darunter – auf jeden Fall Weine, die von den venezianischen Kolonien nach Venedig geliefert wurden. Insbesondere auf Kreta (damals noch „Candia“ genannt) und Zypern pflanzte man die Reben, die man in der Lagune nicht kultivieren konnte: Beide Inseln waren für Venedig wichtig, weil sie die Versorgung sicher stellten. Da der Seemacht ein ausreichend großes Hinterland fehlte, beutete es die Mittelmeerinseln aus, insbesondere mit Getreide und Öl – aber eben auch mit Wein.

Zypern kam erst 1489 durch dynastische Verbindungen zur Republik Venedig, Kreta (Candia) aber war bereits seit dem Jahr 1204 eine venezianische Kolonie und wurde von Anfang an auch, mehr als bei den anderen Kolonien, von Venezianern besiedelt, so dass um das Jahr 1500 etwa 200.000 Menschen auf der Insel lebten. Seit dem 14. Jahrhundert wurde Malvasia verstärkt über Kreta gehandelt und erhielt den Namen „Malvasia di Candia“. Die Insel wurde im Verlauf zu einem Schnittpunkt wichtiger Handelsrouten im Mittelmeer.

Wein war (neben Öl) das Hauptexportgut der Insel und kretischer Wein löschte auch nach der Übernahme der Herrschaft auf der Insel durch die Türken im Jahr 1536 (beziehungsweise endgültig im Jahr 1669) den Durst von Konsumenten im Niltal und der osmanischen Ägäis. Über die Ägäis regierte seit dem Tod Suleymans des Prächtigen im Jahr 1566 Sultan Selim II., der auch „Selim der Säufer“ genannt wurde – und obwohl der Konsum von Wein nicht im Einklang mit dem islamischen Gesetz steht, wurde er von einem Vertrauten, Joseph Nasi, der ein Monopol auf den Transport von Wein aus Kreta hatte, versorgt. (Nasi erhielt dafür den Titel „Herzog von Naxos“, das schon seit der klassischen Antike als Insel des Dionysos bekannt war.) Selbst die Ausbreitung des Islam setzte dem Weinanbau auf Kreta also kein Ende.

Die Straßennamen erinnern insofern an das einst weite Handelsnetz Venedigs: In ihrer Glanzzeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert herrschte die Republik über den gesamten östlichen Mittelmeerraum, sie war der Marktplatz, auf dem sich Orient und Okzident trafen – und auf dem auch der „Malvasia“ genannte Wein aus den besetzten Gebieten in Griechenland gehandelt wurde. Obwohl man wohl mehrere verschiedene Sorten handelte, die Rede ist von bis zu 18 Rebsorten, hat sich „Malvasia“ dabei als Synonym für alle gehandelten Weine durchgesetzt.

Schon damals also gab es unter dem Namen Malvasia zahlreiche Rebsorten – und das hat sich im Grunde bis heute nicht geändert: Mindestens 25 Rebsorten sind heute bekannt, in deren Namen sich irgendwie „Malvasia“ wiederfindet, gleichwohl sind sie nicht alle miteinander verwandt, sondern es handelt sich eher um einen ähnlichen Typus von süßem Wein, wie er sich in der Zeit des von Venedig dominierten Mittelalters herausgebildet hat – nicht um eine genetische Verwandtschaft.

Erstmals namentlich erwähnt wird „Malvasia“ 1326 in einem Gesetzestext, in dem Qualitätskriterien für den Wein geregelt wurden. Den Namen selbst hat der Malvasia vermutlich von der seit langem unter venezianischer Herrschaft stehenden Stadt „Monemvasia“ im Südosten des Peloponnes, von wo aus er den mediterranen Raum eroberte und bald überall angebaut wurde.

Schon zur Zeit des antiken Griechenlands gelangte Malvasia so beispielsweise nach Sizilien – und auch auf die Liparischen Vulkaninseln nördlich von Sizilien gelangten Rebstöcke. Die Weinkultur auf den Inseln hat antike Wurzeln und wurde bereits im fünften Jahrhundert vor Christus von griechischen Siedlern eingeführt – ob sie auch Malvasia mitbrachten ist allerdings unklar, obwohl es dort für die Rebsorte noch heute eine eigene „Denominazione di Origine (DOC)“ gibt, die Malvasia delle Lipari, die für ihren süßen Wein aus rosinierten Trauben der Rebsorte Malvasia di Lipari bekannt ist. Sie ist heute die bedeutendste Rebsorte der Insel, wurde aber erst im Mittelalter von den Venezianern hier angepflanzt. DNA-Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass dieser Klon, die Malvasia di Lipari, kretische Wurzeln hat und auch in Spanien, auf den Kanarischen Inseln (Lanzarote), auf den Balearen (Mallorca) und am Balkan vertreten ist. Überall dort wird heute noch süßer Wein aus Malvasia hergestellt – und so letztlich das Erbe des Malvasia aus der Zeit der venezianischen Seefahrer fortgeführt.

Noch immer verbindet man mit einem Malvasia heutzutage einen Süßwein – und in fast allen europäischen Weinbaunationen gibt es auch eine Tradition solcher Weine. Der Madeira ist dabei vielleicht noch etwas bekannter, aber auch zum Beispiel in der Basilikata, auf Sardinien (Malvasia Sarda), Korsika (Malvoisie de Corse), oder eben in Istrien (Malvazija) gibt es süße Malvasia-Varianten. Selbst der Vin Santo aus der Toskana wird, neben Trebbiano, aus Malvasia hergestellt. Und sogar in Rioja war Malvasia lange die wichtigste Rebsorte – aus ihr wurde Malvasía de Rioja hergestellt -, auch wenn sie seit geraumer Zeit von der frischeren und säurebetonteren Viura (Macabeo) als meistangebaute weiße Rebsorte verdrängt wurde.

So wie in Rioja sind süße weiße Malvasia inzwischen überall etwas aus der Mode gekommen – Süßweine überhaupt beinahe vom Verschwinden bedroht. Immer öfter wird Malvasia deshalb auch trocken ausgebaut, in der Toskana beispielsweise Malvasia Toscana als Landwein aus Galestro. Dieser Klon wird überall in Mittelitalien angebaut und traditionell mit Trebbiano verschnitten, der aufgrund seiner hohen Erträge fast noch beliebter ist als die Malvasia. Dennoch bildet Malvasia – meistens Malvasia di Candia – den typischen Bestandteil vieler italienischer Weißwein-Cuvées wie beispielsweise beim Frascati im Latium.

Gerade auch beim Frascati wird deutlich, dass Malvasia eine aromatische Rebsorte (Bittermandel) mit nur geringer Säure ist, was Wein aus ihr grundsätzlich anfällig macht für Oxidation. Malvasia sollte deshalb am Besten frisch getrunken werden – wie der Frascati in den römischen Tavernen. Vielleicht ist der Anbau der Rebsorte auch deshalb schon seit den 1970er Jahren rückläufig, jedenfalls wurde Malvasia in vielen Regionen in Italien seit dieser Zeit durch charaktervollere internationale Rebsorten ersetzt. Besonders deutlich war das in der Toskana zu beobachten, wo Weine aus internationalen Sorten (die sogenannten „Supertoskaner“) zeitweise erfolgreicher waren als Chianti.

Der Bedeutungsverlust von Malvasia in der Toskana wird auch daran deutlich, dass 2006 die Zugabe der Rebsorte zum Chianti verboten wurde, nachdem Malvasia seit Ende des 19. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der sogenannten „Chianti-Formel“ war und dem Sangiovese beigemengt wurde, um dessen rauhen Tannine zu mildern. Dafür wird Malvasia heute wieder mehr für die Erzeugung von Vin Santo verwendet.

Es gibt aber auch Regionen, wo Malvasia wieder eine Neuentdeckung erfährt. Im Friaul, wo die Rebsorte durch venezianische Seefahrer von Griechenland aus in die Weinanbaugebiete Collio und Isonzo gelangt sein soll, wächst die Überzeugung, dass sich Malvasia aufgrund seiner floral-fruchtigen Aromatik durchaus hervorragend zur Herstellung von Naturwein eignet. Das gilt ebenso für die Romagna, wo aus ihr auch Schaumweine hergestellt werden. Verbreitet ist dort die Variante Malvasia Istriana, auf die bereits Dokumente aus dem 14. Jahrhundert verweisen. Auch sie hat ihren Ursprung im antiken Griechenland, von wo aus sie sich bis in die nördliche Adria verbreitet hat. Im Friaul wird sie von einigen Winzern zur Produktion von Orange Wine verwendet, indem sie die Malvasia lange mazerieren lassen. Diese Weine zeichnen sich dann durch eine typische, der Malvasia Istriana eigene, salzige Mineralität aus. Es gibt also durchaus noch spannende Entdeckungen zu machen mit dieser Rebsorte.

Top
Standard