Weinglossar

Primitivo (Zinfandel)

Nach der Entstehung der Republik Kroatien vor etwa dreißig Jahren – als der moderne, privatisierte Weinbau überall im Land seinen Anfang nahm – ist insbesondere der Anbau einer Rebsorte quasi explodiert: der Tribidrag. Ever heard of Tribidrag?

„Tribidrag“ ist ein Synonym für die „Crljenak-Kastelanski“-Traube, die „Rote Traube von Kastela“, einer kleinen Stadt nahe Split und Ursprung der Rebsorte, die man wohl eher unter dem Namen „Primitivo“ beziehungsweise „Zinfandel“ kennt. Den Namen „Zinfandel“ bekam die „Crljenak-Kastelanski“ wegen einer Fehllieferung aus dem Habsburgerreich nach Amerika: Eine Lieferung mit Wein aus der kroatischen Rebsorte wurde irrtümlich als „Zierfandler“, eine Rebsorten-Spezialität aus Österreich, beschriftet und dann im New Yorker Hafen als „Zinfandel“ entziffert.

Missverständnis über Missverständnis – bis schließlich über DNA-Analysen in den 1990er Jahren festgestellt wurde, dass die Zinfandel mit der in Apulien beheimateten „Primitivo“ identisch ist, von der aus man wiederum die Verbindung nach Dalmatien zog. (Unter dem Namen „Kratosija“ ist die Rebsorte auch in Montenegro und Nord-Mazedonien verbreitet.) Mittlerweile gilt als gesichert, dass die Rebsorte aus Kroatien kommt und über Italien den Weg in die USA und insbesondere nach Kalifornien fand, von wo aus sie international bekannt wurde.

Unter dem Namen Primitivo wird sie in Italien erstmals 1799 erwähnt – und heute hauptsächlich in Apulien angebaut. Dort wird sie traditionell im westlichen Salento kultiviert, vor allem auf den kalk– und eisenhaltigen Böden in Manduria, ihrer vielleicht bekanntesten Herkunft: Primitivo di Manduria DOCG.

Ihren Namen hat sie aufgrund des Umstands erhalten, dass sie selbst für italienische Verhältnisse früh ausreift, nämlich bereits im August. Ihre Bezeichnung ist ein Verweis auf diese relativ frühe Reife der Traube im Vergleich zu anderen süditalienischen Sorten, bedeutet „„primeuve“ doch nichts anderes als „frühe Traube“ im Sinne von „als erste reifend“. Später wandelte sich der Name dann in „Primitivo“. Die Rebsorte ist jedenfalls eine spätreifende Sorte und insofern ideal geeignet für ein warmes, mediterranes Klima – und folglich auch für alle genannten Anbaugebiete. Als wuchskräftige Pflanze fühlt sie sich insbesondere auch auf kargen Böden mit einer guten Drainage wohl. Sie kann dabei aber unter Trockenstress leiden – und ist andererseits bei zu viel Feuchtigkeit anfällig für Pilzerkrankungen und Fäulnis.

Eine Besonderheit der Rebsorte ist – ähnlich wie bei Chenin Blanc – der unterschiedliche Reifegrad der einzelnen Beeren innerhalb einer Traube: die Beeren reifen unterschiedlich aus, sodass sich reife und weniger reife Beeren in einer Traube bisweilen nebeneinander befinden. Deshalb sind mehrere Lesedurchgänge von Hand nötig, um unreife Trauben nicht mitzulesen, was natürlich sehr aufwändig ist.

Außerdem verwandeln sich reife Trauben – anders als bei Cabernet Sauvignon, mit dem er manchmal verglichen wird – relativ schnell in Rosinen, wenn sie nicht zügig geerntet werden. Nicht zuletzt deshalb sind für die Rebsorte zwar warme, aber nicht zu heiße Bedingungen perfekt – idealerweise etwas in der Höhe (wo Mourvèdre vielleicht nicht mehr ausreifen würde), wo die Witterung etwas kühler ist und sich der Wachstumsverlauf dadurch etwas verlangsamt. In Kalifornien praktiziert man das nördlich des warmen Napa Valley, wo die für Feuchtigkeit empfindliche Zinfandel, beispielsweise in der Appellation Dry Creek Valley, an den Bergflanken oberhalb der Nebellinie angepflanzt ist, wo sie von den kühleren Temperaturen profitiert.

Bleibt die Rebsorte zu lange zu viel Wärme ausgesetzt, bildet sie zum Beispiel beim Primitivo di Manduria in den vielen Sommerstunden Apuliens durch die Fotosynthese sehr viel Zucker auf, der dann während der Gärung in hohe Alkoholwerte metabolisiert (umgewandelt) wird. Oftmals jedoch hat die Rebsorte schon so viel aufgebaut, dass nicht der gesamte Zucker umgewandelt wird. Die Weine bleiben folglich süss. Das ist früher durchaus öfter passiert – so ist etwa der Primitivo Dolce naturale DOCG entstanden.

Heute liest man zwar früher, dennoch entstehen aus Primitivo fruchtige, körper- und alkoholreiche Weine, die kaum Säure aufweisen (insbesondere die vielen Landweine, die als IGT Puglia vermarktet werden). Etwas weniger wuchtig, dafür etwas würziger und aromareicher sind sie, wenn Primitivo im Ertrag reduziert wurde und aufgrund des Ausbaus im Barrique, der auch etwas weiche Tannine beisteuert. Mitunter werden Primitivo auch mit etwas Malvasia Nera verschnitten, durch den insbesondere florale Noten hinzukommen. Grundsätzlich sind die kellertechnischen Methoden und Möglichkeiten bei den zahlreichen Genossenschaften in Apulien zwar nicht so ausgefeilt wie in den vielen modernen „Wineries“ in Kalifornien, dennoch werden auch hier mitunter charaktervolle Weine gemacht.

Zinfandel wird heutzutage überwiegend in Kalifornien kultiviert, wo sie auf etwa 13.000 Hektar wächst und aus ihr sowohl kraftvolle, komplexe Weine hergestellt werden, als auch – in der Masse – eher schlichte (sogar halbtrockene Rosés, „White Zinfandel“ und „Blush Zinfandel“ genannt, findet man). Folgt man dem Historiker Charles Sullivan, wurde die Rebsorte 1825 unter den oben geschilderten Umständen in den USA eingeführt – und war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Ostküste bekannt, zumindest erfuhr sie in den 1840er und 1850er Jahren Aufmerksamkeit in landwirtschaftlichen Publikationen. Um 1860 taucht sie dann auch in Kalifornien auf, vermutlich weil Stecklinge von der Ost- an die Westküste gelangten. (Folgt man hingegen den Angaben eines Rebschulbesitzers aus San José, wurde die Rebsorte 1852 unter dem Namen „Black St. Peters“ direkt aus Frankreich nach Kalifornien importiert.)

An der Westküste hat der Zinfandel schnell ein Renommee als ertragreiche Rebsorte gewonnen und sich im kalifornischen Weinbau etabliert, wo er den 1848 ausgebrochenen Goldrausch gewissermaßen begleitete. Galt Zinfandel aber um die Jahrhundertwende noch als der kalifornische „Claret“ („Bordeaux„), verlor er diese Wertschätzung dann im 20. Jahrhundert und wurde zum Massenwein – ihm widerfuhr dasselbe Schicksal wie dem Shiraz in Australien, der dort zur selben Zeit die meistangebaute Rebsorte wurde: Auf Qualität wurde weniger geachtet, oft wurde er auch in zu warmen und eigentlich ungeeigneten Lagen angepflanzt – Hauptsache, die Erträge waren hoch.

Das hat sich inzwischen geändert, das heißt, es gibt inzwischen auch ein Bewußtsein dafür, dass man mit Zinfandel feine Weine machen kann, wenn der Standort geeignet ist und man die Erträge entsprechend reduziert. Es bleibt abzuwarten, wohin die Entwicklung geht, jedenfalls wird die Rebsorte nicht nur in Kroatien wieder vermehrt angebaut, sondern erfährt in Kalifornien genauso zunehmendes Interesse wie inzwischen auch in Australien oder Südafrika.

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