Carignan ist eine dunkle, kräftige Rebsorte, die vornehmlich im französischen Midi verbreitet ist – und hier insbesondere im Languedoc. Ihren Ursprung aber hat Carignan tatsächlich in Spanien, vermutlich in der Gegend um die Ortschaft Cariñena in der Provinz Aragón, von wo aus sie sich ab dem 12. Jahrhundert zunächst nach Rioja ausbreitete und schließlich praktisch im gesamten Mittelmeerraum. In Rioja wird die Rebsorte „Mazuelo“ genannt, nach der Ortschaft Mazuelo de Muñó in der benachbarten Provinz Burgos, auf der iberischen Halbinsel gebräuchlicher aber ist die Bezeichnung „Cariñena“ nach dem vermeintlichen Anfang ihrer Verbreitung.
Obwohl die Rebsorte also ziemlich sicher aus Aragón stammt, wird sie dort, am Alta Ebro, praktisch nicht mehr verbreitet angebaut – in dem Wein der nach ihr benannten Appellation Cariñena ist sie sogar noch nicht einmal die bestimmende Rebsorte (sondern Garnacha). Stattdessen wird die Rebsorte in Spanien – abgesehen von Rioja – heutzutage hauptsächlich in Katalonien kultiviert, das heißt im Priorat und den umgrenzenden Weinanbaugebieten.
In Katalonien ist Cariñena die mit Abstand häufigste Rebsorte. Aber Weinbau im Priorat ist aufwändig: die Weinberge liegen in einem hügeligen Gebiet im Landesinneren in bis zu 900 Meter Höhe und auf steilen, vulkanischen Hanglagen mit dem „llicorella“ genannten Boden aus dunkelbraunem Schiefer und glitzerndem Quarzit. Der speichert die dringend notwendige Wärme in den kühlen Nächten und auch noch ausreichend Wasser – was bei einem jährlichen Niederschlag von kaum 400 Millimeter wichtig ist. Allerdings lassen der geringe Nährstoffgehalt und mitunter das Alter der Reben nur geringe Erträge zu (teilweise nur zwölf Hektoliter pro Hektar bei einer Rebdichte von durchschnittlich 5.000 Stöcken pro Hektar). Deshalb sind Weine aus dem Priorat grundsätzlich teuer.
Das ist in Südfrankreich anders: Im Midi hat Carignan vor sechzig Jahren die heutzutage völlig unbekannte Rebsorte Aramon als meistangebaute Rebsorte verdrängt, als man darum bemüht war, die im Juli 1962 durch die Unabhängigkeit Algeriens hinterlassene Lücke bei ertragreichem Verschnittwein aufzufüllen. In Algerien wuchs Carignan damals auf etwa 140.000 Hektar – nun sollte die von den heimgekehrten Algerienfranzosen, den sogenannten „pieds-noirs“ („Schwarzfüßen“) bereits im kolonisierten Maghreb angebaute Rebsorte auch massenhafte Verbreitung im Languedoc finden.
Das Ende des Algerienkriegs war in Südfrankreich gewissermaßen der Beginn einer wahren Explosion des Weinbaus – die schließlich dazu führte, dass die Europäische Union in zwei Programmen (1988 und 2007) neben Apulien auch im Languedoc Prämien für die Trockenlegung des europäischen „Weinsees“ bezahlte, mit der Folge, dass zehntausende Hektar Rebstöcke ausgehauen wurden („arrachage“ genannt) und die Anbaufläche so von über 400.000 Hektar auf die heutige Größe halbiert wurde. War Carignan in den 1960er Jahren in Frankreich noch die meistangebaute Rebsorte, liegt sie heute, was ihre Rebfläche anbelangt, hinter Merlot, Grenache, Syrah und Cabernet Sauvignon.
Obwohl Carignan spät austreibt und dadurch in kühleren Klimata seltener von Spätfrosten betroffen wäre, wird er praktisch nur in wärmerem Klima angebaut, weil er auch ausgesprochen spät reift. Carignan braucht insofern eine warme, mediterrane Umgebung – und zwar auch deshalb, weil er für eine Vielzahl von Rebkrankheiten anfällig ist, insbesondere auch für Fäulnis (nicht zuletzt deshalb war es insbesondere auch Carignan, der zur Entwicklung und weiten Verbreitung der Agrarchemieindustrie im südfranzösischen Weinbau ab den 1960er Jahren beitrug).
Dass Carignan trotz seiner Anfälligkeit dennoch verbreitet angebaut wurde, liegt daran, dass er beträchtliche Erträge von 200 Hektoliter pro Hektar und mehr bringt und sich insofern ideal zur lange gewinnbringenden Herstellung von Masserzeugnissen eignete. Und das, obwohl er für die maschinelle Bearbeitung insofern eigentlich ungeeignet ist, als dass sich die Trauben nur sehr widerständig von den Reben lösen (bei der maschinellen Lese wird der Rebstock mechanisch gerüttelt, woraufhin die Trauben abfallen). Carignan wird jedoch auch meist nicht am Drahtrahmen, sondern wächst in Buschform, was zur Handlese zwingt.
Wie in Rioja, wo Tempranillo und Garnacha den Wein dominieren und die dunkelhäutige Mazuelo nur als farbintensiver, säure- und tanninreicher „grober Klotz“ (David Schwarzwälder) für den Verschnitt fungiert, wird Carignan auch im Languedoc selten sortenrein gekeltert. Stattdessen wird er hier in größerem Umfang insbesondere als Verschnittwein für die vielen Cuvées der Region angebaut. Weine aus den zahlreichen Appellationen der Region sind praktisch immer Verschnitte von Grenache, Syrah, Mourvèdre, Cinsault und eben auch Carignan – und zwar in jeder Appellation anders beziehungsweise in einem anderen Verhältnis zueinander. Dabei bringt Carignan – die besser mit der Hitze zurecht kommt als beispielsweise Grenache, die manchmal etwas zu fruchtig- und alkoholbetont ausfällt – auch hier reichlich Säure, Tannin und Farbe in die Cuvées ein – aber praktisch kaum Aroma oder Charme, wird er im Ertrag nicht reduziert.
Um seine ausgepägten herben Tannine und seine geringe Aromatik auszugleichen, erfolgt bei Carignan hier im Midi oft eine „Máceration Semi-Carbonique„, bei der grundsätzlich ein geringerer Alkoholgehalt und wesentlich weniger Phenole beziehungsweise Tannine erzeugt werden, aber dafür fruchtigere, schlichtere Weine als bei der traditionellen Maischegärung.
Ansonsten aber versuchen inzwischen zunehmend mehr Winzer, auch reinsortige, lagerfähige Carignans herzustellen – dann allerdings fast durchweg aus alten Reben in besten Lagen und mit geringen Erträgen. Nicht selten werden solche Carignans, wie beispielsweise auch im Priorat, aufgrund ihres hohen Tanningehalts im Barrique ausgebaut, wo sie sich bisweilen auch als außerordentlich entwicklungsfähig erweisen (lagerfähig sind sie ohnehin). Im Priorat entstehen so wuchtige und muskulöse Weine, die in der Regel dunkelrot und tanninstark sind – und oft mit Aromen französischer Eiche (während man im übrigen Spanien gerne auf die günstigere amerikanische Eiche setzt).
So erlebt Carignan also gerade eine Art Wiederentdeckung – und das nicht nur im Priorat oder Languedoc, sondern auch in Südafrika oder Südamerika entstehen immer mehr Weine aus teils uralten Weinbergen. In Chile beispielsweise stehen im ältesten Anbaugebiet des Landes, Valle del Maule, in der Subregion Valle Central ganz im Süden, alte Carignan-Reben. Da der Niederschlag hier etwas höher ist als weiter nördlich in Santiago und es insgesamt etwas kühler ist, setzt man anstatt auf Masse darauf, das Potenzial der alten, bewässerungsfrei in kleinen Trockenrebbau-Parzellen als Buschreben kultivierten, ertragsarmen Carignan-Bestände auszuschöpfen.
Als „Carignano“ ist die Rebsorte darüber hinaus aber auch noch in Italien verbreitet, wo sie beispielsweise auf Sardinien eine eigene Appellation hat: Im heißen und trockenen Sulcis-Gebiet, einer Insellandschaft im Südwesten der Insel, wird der DOC Carignano del Sulcis gemacht, ein relativ tannin- und alkoholreicher Wein. Der Ertrag der sehr alten Carignan-Buschreben gilt mit 105 Hektoliter pro Hektar dabei durchaus noch als akzeptabel.
Neben Katalonien und dem Languedoc ist Sardinien sicherlich eine der vielversprechensten Regionen für Carignan. Ansonsten finden sich Bestände von ihm noch in Anbaugebieten mit wärmerem Klima in der ganzen Welt wie zum Beispiel etwa in Israel, dem Libanon oder Australien – und sogar in Polynesien.