Weinglossar

Naturwein

Bis zur Novellierung des Weingesetzes in Deutschland 1971 galten alle Weine als Naturweine, bei deren Herstellung auf Chaptalisierung verzichtet wurde. Lange wurde dieser Verzicht – wie möglichst jeder Verzicht auf kellertechnische Eingriffe – nur bei perfekt ausgereiftem Traubenmaterial in außergewöhnlich guten Jahren praktiziert. Naturweine waren insofern der Inbegriff von Qualität. Das allerdings änderte sich 1971 mit dem neuen Weingesetz – zumindest rechtlich: denn seither bezieht sich Qualität im deutschen Weinrecht nicht mehr auf den Herstellungsprozess des Weines – es geht nicht mehr um seine Naturbelassenheit -, sondern als entscheidendes Kriterium fungiert nun allein das in Oechslegraden gemessene Mostgewicht des Leseguts beziehungsweise dessen Zuckergehalt.

An die Stelle des „Naturweins“ rückte der Gesetzgeber die Begriffe „Qualitäts- und Prädikatswein“ und führte in diesem Zusammenhang die Bezeichnungen „Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete (QbA)“ sowie „Qualitätswein mit Prädikat“ für nicht chaptalisierte Weine ein. Prädikatsweine haben in diesem Sinne die Nachfolge des früheren Naturweins angetreten: Ungezuckerte Weine durften fortan nicht mehr als Naturwein bezeichnet werden – und auch das in diesem Zusammenhang gebrauchte Attribut naturrein wurde verboten (weshalb sich der „Verband Deutscher Naturweinversteigerer“ 1972 auch in „Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP)“ umbenannte).

Der Begriff Natur verschwand also 1971 aus dem Weingesetz, seine Verwendung wurde sogar völlig verboten: Man ging davon aus, dass Wein prinzipiell ein Naturprodukt sei und die Werbung mit der Bezeichnung Naturwein insofern irreführend. Auch wenn der Begriff heutzutage wieder in Mode gekommen ist, hat er seither zumindest keine weinrechtliche Bedeutung mehr – und das ist gleichsam auch die Crux, denn was ist nun ein Naturwein?

Kaum ein Begriff hat in der Weinszene der jüngeren Vergangenheit mehr Aufmerksamkeit erfahren als der des Naturweins, allein es gibt keine Gesetze oder Verordnungen zu seiner Definition. Denn während die einen – wie auch der Gesetzgeber – Wein als Naturprodukt betrachten, verweisen andere im Gegenteil darauf, dass Wein stets ein Kulturprodukt sei, das es ohne menschliche Eingriffe nicht gäbe. Das gelte nicht nur für die Kellerarbeit, sondern bereits für die Tätigkeit im Weinberg, wo die Weinrebe zuallerst einmal kultiviert werden muss, um Trauben auszubilden, die zu Wein verarbeitet werden können.

Gleichwohl hat sich insbesondere unter den biologisch oder biodynamisch arbeitenden Winzer*innen eine Position dazwischen entwickelt: Im Gegensatz zu industriellen Methoden im Weinbau und der -herstellung, geht es diesen Winzern darum, Weine möglichst ohne, auf jeden Fall aber nur mit unbedingt notwendigen technischen und chemischen Interventionen herzustellen. Naturweine sollen möglichst naturbelassen enstehen, auf Zusatzstoffe – insbesondere synthetische, wie sie das EU-Recht für den konventionellen Weinbau dutzendfach erlaubt, ohne dass sie irgendwo deklariert werden müssten – soll verzichtet werden.

Naturwein ist hier begriffen als ein Wein, dem möglichst nichts entnommen oder hinzugefügt werden soll – der möglichst rein bleiben soll. (Anreicherung ist überhaupt kein Thema mehr.) Das allerdings macht seine Herstellung nicht unaufwändiger, im Gegenteil: Naturwein herzustellen erfordert ein ausgesprochen sauberes Arbeiten, um spätere Fehler im Wein zu vermeiden. Darüber hinaus hat man sich auf folgende Kriterien weitestgehend geeinigt:

  • Biologischer oder biodynamischer Weinbau: Für die meisten Winzer, die Naturweine machen, ist biologischer beziehungsweise biodynamischer Weinbau die Voraussetzung. Im Gegensatz zum biologischen Weinbau gibt es für die Herstellung eines Naturweins keine weinrechtlich definierten Produktionsvorgaben. Ein Biowein ist insofern zwar nicht unweigerlich immer ein Naturwein – auch beim Bio-Weinbau ist der Einsatz chemischer Mittel erlaubt -, ein Naturwein ist aber umgekehrt immer ein Biowein – und geht sogar noch darüber hinaus, ist also quasi noch mehr „bio“.
  • Handlese: Unabdingbar für die Herstellung eines Naturweins ist ein völlig gesundes Traubenmaterial. Gewissheit darüber erhält man nur bei der persönlichen Lese von Hand.
  • Spontangärung: Da industriell oder konventionell hergestellte Weine jedes Jahr immer möglichst gleich und wiedererkennbar schmecken sollen, verwendet man Reinzuchthefen für die kontrollierte Gärung. Bei Naturweinen hingegen wird der Most spontan mittels der in der Luft natürlich vorhandenen wilden Hefen vergoren. So entstehen individuelle Weine – Unikate -, die jeweils sehr unterschiedlich schmecken können.
  • Verzicht auf Filtration und Schönung: Die Feinhefe von der Gärung bleibt im Wein und wird nicht abgefiltert, wodurch Naturweine bisweilen trüb sind und womöglich etwas cremiger schmecken. Bei konventionell hergestellten Weinen wird der Wein überdies mittels (tierischem) Eiweiss oder Gelatine geschönt, das heißt geklärt, da so die Trübstoffe gebunden werden. Bei Naturweinen hingegen bleiben durch den Verzicht Enzyme, Proteine und andere Inhaltsstoffe erhalten.
  • Möglichst keine oder nur geringe Schwefelung: Bei konventionell erzeugtem Wein dient die Schwefelung der Konservierung und mikrobiologischen Stabilisierung des Weines, der dadurch haltbarer wird. Deshalb verzichtet man auch bei Naturweinen oft nicht gänzlich darauf, hält sich bei der Zugabe dann aber zurück.

All diese Kriterien zusammen bedeuten gewissermaßen ein „zurück“ zu jener historischen Methode Wein herzustellen, wie sie beispielsweise bei den „Quevriweinen“ in Georgien noch immer praktiziert wird. Diese jahrtausendealte Art der Weinbereitung in Tonamphoren ist vielleicht der Inbegriff für einen naturbelassenen Wein – genauso wie der traditionell im Friaul hergestellte Orange Wine. Auch er gilt als Naturwein – seine Bezeichnung wiederum ist allerdings unumstritten. Und auch die nach der im Languedoc schon lange für den Schaumwein praktizierten „méthode ancestrale“ hergestellten PetNats wären in diesem Zusammenhang noch zu nennen.

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