Essay

vom bodensee

Der Bodensee …

… liegt im äußersten Süden Deutschlands und ist mit insgesamt 536 Quadratkilometern Wasserfläche das größte Binnengewässer des Landes. Deutschland besitzt dabei mit 173 Kilometern den längsten Uferbereich des Sees, der Schweiz auf der gegenüberliegenden Seite des Sees gehören 72 Kilometer, die Österreichische Uferlänge beträgt nur 28 Kilometer. Dass der Bodensee Deutschlands größter Binnensee ist liegt auch daran, dass die drei Anrainerstaaten nie einvernehmlich eine Grenze im See festgelegt haben: völkerrechtlich handelt es sich beim Bodensee (zumindest beim Obersee) um ein sogenanntes Kondominium, das von allen gemeinsam (mit gleichen Rechten) verwaltet wird.

Gliederung des Bodensees

©Thomas Römer

Der Bodensee liegt im Bodenseebecken, einem Teil des nördlichen Alpenvorlands. Er ist insofern ein typischer Alpen- beziehungsweise Gletscherrandsee, der vor etwa 12.000 Jahren entstanden ist: Bis zum Ende der Eiszeit hobelte das Eis im Gebirge charakteristische Trog- oder U-förmige Gletschertäler aus. Gletscher wie der für den Bodensee bedeutende Rheingletscher vertieften bereits im Jura und im Tertiär, also vor über 150 Millionen Jahren, entstandene Flusstäler wie eben das des Rheins, indem sie im Lauf der Zeit enorme Mengen an Schutt vor sich her schoben. Die Steine verloren während des Eistransportes Ecken und Kanten und wurden zu runden Schottersteinen (Kies), während sich Eis und Schutt immer tiefer in die Gegend außerhalb der Gebirge eingruben. Auch dort formten sie tiefe, U-förmige Täler, die Gletscherzungenbecken, von denen sich später einige mit Wasser füllten – wie beim Bodensee: Auch er ist, wie die meisten Seen in Alpennähe, trotz seiner enormen Größe, ein typischer Zungenbeckensee (die oft eine langgestreckte Gestalt haben und – was allerdings für den Bodensee nicht zutrifft – von steil aufragenden Hügelzügen umgeben sind, so dass sie an Fjorde erinnern).

Der Bodensee vom Nordwesten aus fotografiert mit Blick Richtung Alpen.

Am Ende der Eiszeit (Würmeiszeit) zog sich der Gletscher immer weiter zurück: Ursprünglich hatte der Rheingletscher die Topographie bis weit nördlich des Bodensees beeinflusst. In einer späteren Phase war nur noch das Gebiet des heutigen Obersees vergletschert. In dieser Zeit – und durch den weiteren Rückzug des Rheingletschers – floss das Schmelzwasser zunächst aus dem sich herausbildenden Überlinger See durch das ältere, nördlich gelegene Hochrheintal – später bahnte sich der Rhein seinen weg durch den Untersee. Der Bodensee und auch der Verlauf des Rheins nahm langsam seine heutige Gestalt an, das heißt in die Flusstäler kehrte nun, nach den Jahrtausenden des Transports der großen Schmelzwassermengen, eine Phase relativer Ruhe ein, in der sich auch der Rhein einen gleichmäßigen Lauf suchen konnte.

Blick vom Pfänder, dem Bregenzer Hausberg, auf das Österreichische Bodenseeufer und die Appenzeller Berge in den Schweizer Alpen. Der 1.062 Meter hohe Pfänder fällt relativ steil zum Bodensee hin ab und läßt Richtung Deutschland nur einen schmalen Uferstreifen übrig – die sogenannte Pipeline. Sie verläuft vom Bregenzer Hafen bis fast nach Hörbranz an der Grenze zu Deutschland.

© SFH Archiv

Bregenz und der Bodensee

In Bregenz, wo ich aufgewachsen bin, blickt man von seinem östlichen Rand auf den Bodensee. Früher haben wir die Sommer hier gerne im sogenannten „Mili“ verbracht, einer 1825 auf Stelzen in den See gebauten nostalgischen Badeanstalt – der ältesten am Bodensee –, die ursprünglich vom Militär verwendet wurde, das hier die Rekruten einer nahe gelegenen Kaserne ausbildete.

Nur wenige Jahre vorher, 1810, gründete der preußische Offizier Ernst Heinrich Adolf von Pfuel die erste Militärschwimmschule der Welt – und kurz darauf, 1817, die erste zivile Flussbadeanstalt in der Spree in Berlin: wie das „Mili“ war auch die „Pfuelsche Badeanstalt“ ein Holzbau auf Pfählen im Fluss, welcher vor Blicken der Öffentlichkeit schützte. Pfuel gilt als Erfinder des Brustschwimmens – und ein „Diplom“ darüber erhielt, wer es in diesem Schwimmstil quer über die Spree hin und zurück schaffte „ohne abzusaufen“. Disziplinloser und halsbrecherischer dürften wir uns in dem Bad verhalten haben, wenn wir unser Vergnügen darin suchten – natürlich stets auf der Hut vor dem Bademeister –, kopfüber vom Dach oder mit Anlauf über die Brüstung der Sonnenterrasse oben und den in der ersten Etage darunter vorragenden Vorbau in das flache Wasser des Bodensees zu springen.

Das ehemalige Militärbad am neu gestalteten Bodenseeufer an der Pipeline in Bregenz mit dazugehöriger Kaserne (das langgestreckte, sandfarbene Gebäude im Bild links).

© Curd Huber (links) und Christiane Setz

Man suchte das Risiko … und freute sich aber auch an den schönen Sonnenuntergängen über dem See. Insbesondere in solchen Momenten erschien uns der Bodensee immer wie ein Meer: Bregenz besitzt zwar nur relativ wenig Bodenseeufer (Österreich hat mit nur 28 von insgesamt 273 Kilometern Länge den geringsten Anteil am Bodenseeufer), genießt aber das Privileg einer unendlich scheinenden Weite des Sees; denn aufgrund der Erdkrümmung reicht die Wasserfläche des Sees bis an den Horizont und man hat im Sommer den Eindruck – und zwar nur hier in Bregenz –, dass die Sonne direkt im Bodensee versinkt, das westliche Ende des insgesamt fast 70 Kilometer langen Sees bleibt dahinter verborgen …

Nichts als Wasser: Am Bregenzer Seeufer fühlt man sich wie am Meer. Die Wasserfläche des Bodensees reicht von Bregenz aus gesehen bis an den Horizont, die Erdkrümmung verhindert den Blick ans Ende des Sees. Grenzenlosigkeit herrscht auch auf dem Wasser, handelt es sich beim Bodensee doch völkerrechtlich gesehen um ein gemeinsam verwaltetes Kondominium.

© Christiane Setz

Lange war der Uferbereich beim „Mili“ beziehungsweise der schmale Uferstreifen des Bodensees zwischen dem Bregenzer Hafen und Hörbranz an der Grenze zu Deutschland zubetoniert, was an einer Ölpipeline lag, die hier direkt am Ufer entlang führte (in den Jahren zwischen ihrer Errichtung 1966 und der Stilllegung des Öltransports 1997 transportierte die Central European Line etwa 220 Millionen Tonnen Rohöl von Genua nach Ingolstadt). Erst nach dem Erwerb der letzten Uferbereiche 2009 konnte die Stadt Bregenz mit dem Umbau und der Begrünung der so genannten „Pipeline“ östlich des Hafengebietes beginnen (2011). Sieht man von einem kleinen Bereich an der Mündung der Leiblach, dem Grenzfluss zu Deutschland ab, der zur Gemeinde Hörbranz gehört, ist das gesamte Bodenseeufer zwischen Bregenz und Lindau seither im Besitz der Stadt Bregenz. Damit gehört das gesamte österreichische Bodenseeufer, anders als das der anderen Anrainerstaaten, der öffentlichen Hand – und ist entsprechend auch öffentlich zugänglich, sofern es nicht unter Naturschutz gestellt ist.

Karte des österreichischen Bodenseeufers

Die Umgestaltung der Pipeline, das heißt des schmalen Uferstreifens zwischen Bregenz und Hörbranz, ist gewissermaßen die letzte Etappe einer Entwicklung, die die Vorarlberger Landeshauptstadt bereits im Jahr 2000 mit der Umgestaltung, Renaturierung und dem Schutz des westlichen Uferbereichs zwischen Bregenzerachmündung, Mehrerauer Seeufer und der Seebühne der Bregenzer Festspiele mit den von der Stadtgärtnerei gestalteten Seeanlagen begann, dem dann noch weitere Gestaltungs- und Hochwasserschutzprojekte entlang des innerstädtischen Ufers (Seepromenade) bis zum Bregenzer Hafen folgten.

Blick von der Seepromenade in Bregenz nach Lindau.

© Bernd Fessler

Der Schutz des natürlichen Bodenseeufers aber setzte sogar noch früher ein – und hat seinen Ursprung vielleicht im Gewässerschutz: In der Zeit um 1970 drohte das „Umkippen“, das heißt der biologische Tod, des Bodensees. Bereits 1963 stellte die wenige Jahre zuvor gegründete Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) den menschlich bedingten Phosphateintrag als Hauptursache einer bereits erkennbaren Eutrophierung (Nährstoffanreicherung) fest: Phosphat ist ein Nährstoff, der das Wachstum von Algen und Plankton fördert, das den Fischen als Nahrung dient, weswegen allerdings auch der Sauerstoffgehalt im See sank, der deshalb ökologisch umzukippen drohte.

Fast vier Millionen Menschen leben an den dicht besiedelten Ufern des Bodensees und ihre Abwässer sorgten für diese Phosphatbelastung (das hydrologische Einzugsgebiet des Bodensees hat eine Fläche von über 11.000 Quadratkilometern und umfasst ein Gebiet bis zum Alpenhauptkamm). Erst der Bau von Kläranlagen führte zu einer Verbesserung der Wasserqualität. Die 1966 in Bregenz (im Mehrerauer Ufergebiet) errichtete Anlage war dabei die erste kommunale biologische Kläranlage am Bodenseeufer. (In Deutschland wurden 1975 Höchstmengen für Phosphate durch das „Wasch- und Reinigungsmittelgesetz“ verordnet, 1986 wurden dann durch den Einsatz von Zeolithen erstmals vollständig phosphatfreie Waschmittel auf den Markt gebracht).

Bregenzer Ach

Mit einer Länge von fast 70 Kilometern (der Bodensee erstreckt sich zwischen Bregenz und Stein am Rhein über 69,2 Kilometer), einer Breite bis zu 14 Kilometern sowie einer Wasseroberfläche von etwa 536 Quadratkilometer ist der Bodensee der drittgrößte Binnensee Europas. Zwar verliert der See durch den Abfluss bei Konstanz im Durchschnitt etwa 365 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, seine insgesamt zehn Zuflüsse kompensieren das jedoch mit einem mittleren jährlichen Wasserdurchfluss von 11,5 Milliarden Kubikmetern naturbelassenem Schmelz- und Regenwasser, was etwas weniger als einem Viertel des gesamten Wasserinhalts des Bodensees entspricht.

Nach seinem Hauptfluss, dem ebenfalls im Vorarlberger Ufergebiet in den Bodensee strömenden Rhein (der hier noch „Alpenrhein“ genannt wird), ist die Bregenzer Ach der größte Zufluss in den See, wobei allein vom Rhein weit über die Hälfte des in den See fließenden Wassers stammt, gemeinsam mit der Bregenzer Ach sind es sogar fast zwei Drittel des gesamten Wasserzuflusses in den Bodensee.

Der Zufluss der Bregenzer Ach in den Bodensee ist eine der naturnahsten Mündungsgebiete am See. Unmittelbar rechts neben der Mündung sieht man das Harder Hafengebiet, auf der linken Seite erstreckt sich das „Mehrerauer Seeufer“.

© Friedrich Boehringer

Die Bregenzer Ach ist ein wilder Alpenfluss mit etwa 67 Kilometern Länge und einer mittleren Wasserführung von etwa 41 Kubikmeter pro Sekunde der wichtigste Fluss im nördlichen Vorarlberg. Er entwässert bei einem Einzugsgebiet von rund 830 Quadratkilometern (der Rhein zum Vergleich hat ein Einzugsgebiet von über 6.100 Quadratkilometern) beinahe die gesamte Fläche des Bregenzerwaldes und mündet praktisch unmittelbar neben dem Rhein in den Bodensee.

Die naturnahe Mündungslandschaft an der Bregenzer Ach verändert sich ständig, da der Fluss große Mengen an Sedimenten und Kies aus seinem Einzugsgebiet im Bregenzerwald in den See schwemmt. Nachdem seit 1989 kein Kies mehr für die Bauwirtschaft aus dem Flussbett gebaggert wird und der natürliche Mündungsbereich gewissermaßen sich selbst überlassen bleibt, entstehen wieder ein natürliches Flussbett und neue Landflächen – eine Kiessandinsel sowie hektargroße Auwaldflächen und urwüchsige Schilflandschaften –, die sich allmählich immer weiter in den See hinein schieben.

Kies- und Sedimentablagerungen kurz vor der Mündung der Bregenzer Ach in den Bodensee (September 2021).

© Bernd Fessler

Die Mündung der Bregenzer Ach in den Bodensee gehört zu den wenigen naturbelassenen Flussmündungen in Mitteleuropa und ist bereits seit 1991 geschützt: Das Naturschutzgebiet „Mehrerauer Seeufer – Bregenzerachmündung“ befindet sich mit fast 120 Hektar Gesamtfläche im Stadtgebiet von Bregenz und ist inzwischen auch zum Europaschutzgebiet ernannt worden. Ausschlaggebend für diese Ernennung sind das Vorkommen von Hartholzauenwäldern, Niedermooren, Sümpfen, Streuwiesen und zumindest einem alpinen Fluss wie eben der Bregenzer Ach – die hier Zusammen eine ausgesprochen vielfältige Naturlandschaft schaffen.

Blick von der 2011 errichteten Fahrradbrücke zwischen Bregenz und Hard auf die Mündung der Bregenzer Ach. Zwischen den beiden Aufnahmen von August 2020 liegen nur wenige Tage, aber starke Regenfälle.

© Bernd Fessler

Ihre jährlichen Hochwasser verwandeln die Landschaft – der Fluss schafft ständig neue Lebensräume: Liegen die neuen Landflächen längere Zeit trocken, entwickeln sich Auwälder mit Weiden, Erlen und Pappeln. Der Entwicklungsgeschichte der Mündungslandschaft entsprechend können hier dabei alle Stadien eines Auwalds beobachtet werden – von Keimlingen bis zu ausgewachsenen Bäumen. Eine für mitteleuropäische Verhältnisse nahezu einzigartige Situation, unweit des Bregenzer Stadtzentrums und dem dicht besiedelten Rheintal.

Unterschiedliche Lebensräume im östlichen Mündungsgebiet der Bregenzer Ach: Oben links der Blick auf den Bodensee mit dem Rheindamm im Hintergrund, rechts davon ein Kanal im Mehrerauer Seeufergebiet. Unten links eine Aufnahme aus einer Bucht direkt neben der Mündung mit Blickrichtung Pfänder, dem Bregenzer Hausberg, der relativ steil zum Bodensee hin abfällt und nur einen schmalen Uferstreifen, die sogenannte Pipeline, läßt. Rechts unten der Blick in die andere Richtung, wo man am rechten Rand bereits den Rheindamm sehen kann.

© Bernd Fessler

Wenn im Frühjahr in den Bergen der Schnee schmilzt, beginnt das Wasser des Bodensees anzusteigen – bis zu eineinhalb Meter. Fällt zusätzlich noch viel Regen kann es am Bodensee zu Hochwassern in besiedelten Gebieten kommen (der höchste Wasserstand des Bodensees wurde 1817 mit 6,36 Metern am Pegel Konstanz gemessen, aber auch beim letzten großen Hochwasser im Mai 1999 mit 5,65 Metern trat der See weit über seine Ufer). Ansonsten überschwemmt der See jedes Jahr aufs Neue mehr oder weniger große Uferbereiche.

Für die seltenen Pflanzen in den Naturschutzgebieten am See sind die Überschwemmungen kein Nachteil – ganz im Gegenteil: Sie sind an die aquatischen Bedingungen gewohnt und sogar darauf angewiesen, weil sich dadurch keine Landpflanzen hier ansiedeln können. Allerdings dürfen die Überschwemmungen auch nicht so lange dauern, dass Wasserpflanzen wachsen könnten. Die etwa drei bis vier Monate dauernde Überschwemmungsphase während des Sommers ist daher ideal.

Eine dieser Pflanzen, die vom jährlichen Hochwasser profitiert, ist das Bodensee-Vergissmeinnicht (Myostis rehsteineri), ein extrem seltener Endemit, der (im Gegensatz zu einem Kosmopolit) weltweit fast nur noch in der räumlich abgegrenzten Bodensee-Region vorkommt – und hier vor allem auch in dem am Bodensee liegenden Naturschutzgebiet Mehrerauer Seeufer – Bregenzerachmündung. Das Bodensee-Vergissmeinnicht wächst hier auf regelmäßig überfluteten, nährstoffarmen, tonigen Sand- und Kiesböden. Jedes Jahr aufs Neue überzieht es im April mit seinem blauen Blütenteppich diese flachen Kiesufer. Sie ist zwar nur wenige Zentimeter groß, dennoch bietet das seltene Bodensee-Vergissmeinnicht so eines der spektakulärsten Naturschauspiele des Schutzgebietes.

Bodensee-Vergissmeinnicht (oben) und Strandschmiele, die beiden vom Aussterben bedrohten Endemiten, die praktisch nur noch am österreichen Bodenseeufer vorkommen.

© Wolfgang von Brackel

Die Pegelstände des Bodensees variieren übers Jahr betrachtet: im Herbst sinkt der Wasserstand deutlich und zieht sich aus dem Schilfergürtel am Seeufer zurück – im Winter ist er am niedrigsten –, bevor er im Frühling in den Auen aufgrund des Schmelzwassers aus den Alpen wieder ansteigt. Diese speziellen Verhältnisse insbesondere im Mündungsgebiet von Alpenflüssen wie der Bregenzer Ach erhalten so den Lebensraum für das Bodensee-Vergissmeinnicht genauso wie für die zweite extrem seltene Pflanze in der Region: die Strandschmiele (Deschampsia rhenana), ebenfalls nur noch hier vorkommend. Auch sie ist vom Frühjahrshochwasser abhängig, das heißt die relativ hochwachsende Strandschmiele wächst in sogenannten Strandrasen in der Überschwemmungszone und ist optimal an die natürlichen Wasserstandsschwankungen des Bodensees angepasst. Ihr Fähigkeit scheinbar „lebend zu gebären“ (Pseudoviviparie) macht sie einzigartig: Anstatt ihre Samen der Hochwassergefahr auszusetzen, bildet sie junge Graspflänzchen etwas erhöht direkt auf ihren Blüten.

Sowohl das Bodensee-Vergissmeinnicht als auch die Strandschmiele sind jedoch aufgrund des Klimawandels und der mit ihm verbundenen Veränderung der Überschwemmungsdynamik gefährdet: Da durch die Erwärmung in den wärmeren Wintern nicht genügend Niederschlag als Schnee in den Alpen gebunden wird, fällt die frühjährliche Überschwemmung immer geringer aus. Hinzu kommt, dass inzwischen auch das winterliche Trockenfallen des Ufers ausbleibt und sich der Bodenseespiegel über die Jahreszeiten zunehmend auf einem stabilen Niveau einpegelt.

Geschützte Natur im östlichen Mündungsgebiet der Bregenzer Ach, in unmittelbarer Nähe zum Bregenzer Stadtgebiet.

© Bernd Fessler

Neben dem Bodensee-Vergissmeinnicht und der Strandschmiele leben noch zahlreiche weitere Pflanzen und Tiere im Naturschutzgebiet, die vielleicht weitaus weniger selten sind, aber dennoch auch des Schutzes bedürfen. Eine dieser Arten ist der Biber, der Ende des 17. Jahrhunderts in der Bodenseeregion bereits ausgerottet war – sich inzwischen aber wieder hier angesiedelt hat (Ansiedlungsprojekte an Zuflüssen brachten die Biber an den Bodensee zurück). Im Mündungsgebiet der Bregenzer Ach entfaltet sich eine Auenlandschaft, die für das dämmerungs- und nachtaktive Tier ideale Lebensbedingungen schafft.

Bodenseeschifffahrt

Die Bregenzer Ach bildet die Grenze zur Nachbargemeinde Hard. Die Marktgemeinde liegt ebenfalls am Ufer des Bodensees, eingebettet zwischen den Mündungen der Bregenzer Ach und der des Rheins (Alpenrhein) in den See. Mehrere kleine Häfen gibt es in der Harder Bucht, in einem von ihnen liegt die Hohentwiel vor Anker: der Schaufelraddampfer ist das einzige noch betriebene Dampfschiff und zugleich das älteste immer noch verkehrende Passagierschiff auf dem Bodensee (das tatsächlich älteste noch vorhandene Dampfschiff der Welt liegt als Industriedenkmal und Tauch-Hotspot in 40 Metern Wassertiefe auf dem Grund des Bodensees – der mit etwa 300 Wracks Europas größter Schiffsfriedhof ist – versunken: das Schweizer Motorschiff Jura). Mit der Hohentwiel werden allerdings nur noch Charterfahrten gemacht.

Der historische Schauffelraddampfer Hohentwiel im Harder Hafen, flankiert von Booten der österreichischen Wassersschutzpolizei.

© Bernd Fessler

Anders als die historische Hohentwiel bieten die Motorschiffe (MS) der sogenannten „Weißen Flotte“, womit die Gesamtheit der Anbieter im öffentlichen Schiffsverkehr bezeichnet ist, auch Kursfahrten (Personenverkehr) zwischen sieben Häfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz an. In Vorarlberg wird allerdings nicht Hard angelaufen, sondern der Hafen (Marina) in der Bregenzer Bucht.

Die Hohentwiel und Schiffe der „Weißen Flotte“ am Bodensee im Bregenzer Hafen (Marina) mit dem historischen Postamt, dem 1997 vom Schweizer Architekten Peter Zumthor errichteten Kunsthaus, dem Vorarlberger Landestheater und dem Vorarlberg Museum.

© Christiane Setz (oben links), Hohentwiel-Schifffahrtsgesellschaft mbH (oben rechts), Petra Rainer (unten)

Vier Betreiber solcher Kursschifffahrten mit insgesamt 33 Motorschiffen gibt es, die sich in den „Vereinigten Schifffahrtsunternehmen für den Bodensee und Rhein (VSU)“ zusammengeschlossen haben: die Deutsche „Bodensee-Schiffsbetriebe GmbH (BSB)“, die Schweizer „SBS Schiffahrt AG“ sowie die „Schweizerische Schiffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein (URh)“ und die Österreichische „Vorarlberg Lines Bodenseeschifffahrt“.

Schleienloch

Mit der Schneeschmelze steigt das Wasser im Bodensee jedes Jahr etwa eineinhalb Meter, wodurch sich die Augebiete und Rieden rund um den See füllen. Zu ihnen gehört auch das Schleienloch im Harder Rheindelta. Es ist Teil der weitläufigen Schilfzonen östlich der Rheinmündung und steht, wie weite Flächen am Vorarlberger Bodenseeufer, unter Naturschutz, da es als Rückzugsraum für viele Zug- und Standvögel dient.

Eine alte Holzbrücke führt über die kanalisierte Dornbirner Ach in das Schleienloch, einem idealen Brutgebiet für zahlreiche Wasservögel.

© Umweltbüro Grabher (UMG), Bernd Fessler (oben rechts)

Das Feuchtgebiet ist ein Paradies für verschiedenste Vögel – bis zu 340 Arten werden hier gezählt. Zu ihnen gehören beispielsweise die Lachmöwen (Chroicocephalus ridibundus), die das ganze Jahr über am Bodensee leben. Binnengewässer sind ihr bevorzugter Lebensraum – und das Schleienloch ist bei der kleinen Mövenart (die man im Frühjahr, bis zur Mauser, gut an ihrem dunklen Kopf erkennt) als geschützter Brutplatz besonders begehrt, auch wenn das Areal im Schleienloch für die relativ große Möwenkolonie eher von überschaubarer Größe ist. Nicht zuletzt auch deshalb werden alte Nester gerne wieder benutzt beziehungsweise deren Material wieder verwendet (ist der Nestbau Aufgabe der männlichen Lachmöve, das sich gegenüber dem Weibchen auch erst einmal als fähiger „Ernährer“ beweisen muss, indem er ihr einen Fisch fängt, ist die Fütterung der Jungen später dann Aufgabe von beiden). Wenn der Schwarzmilan (Milvus migrans) – ein mäusebussardgroßer Greifvogel, der sein Winterquartier in Marokko aufschlägt und am Bodensee brütet – die Lachmöwen bedroht, geht die ganze Kolonie in die Luft und verteidigt sich als Schwarm, was den Milan überfordert und ihn bisweilen dazu bringt, von den Möwen abzulassen.

Fischweiher im Schleienloch

© Bernd Fessler

Nicht nur Vögel finden hier ideale Brutbedingungen, sondern dank seiner geschützten Lage und dichten Ufervegetation bietet das Schleienloch auch für viele seltene Pflanzen und andere Tiere, die hier leben und überwintern, beste Bedingungen. Entsprechend ist das Naturschutzgebiet Schleienloch auch nach der Fischart Schleie benannt, die sich hier einen Lebensraum erobert hat. Die Schleie (Tinca tinca), auch der Schlei genannt, ist ein karpfenartiger Süßwasserfisch und lebt als Einzelgänger überwiegend am Grund langsam strömender oder stehender, schlammiger Gewässer, wo sie zwischen Muschelbänken und Steinen auf der Suche nach Insektenlarven und Würmern ist. Die Schleie wird etwa 50 Zentimeter lang und hat dann ein Gewicht von etwa zwei Kilogramm. Pro Weibchen und Saison legen Schleie bis zu 300.000 Eier an Wasserpflanzen ab.

Die Schleie ist mit ihrem fettarmen, festen Fleisch ein äußerst wohlschmeckender Speisefisch (mit nussigen Aromen), schmackhafter als beispielsweise der Karpfen (Cyprinus carpio). Karpfen sind etwas größer als die Schleie und wurden im Mittelalter von Zisterziensermönchen aus der Pontosregion zu uns gebracht. Karpfen können über 50 Jahre alt werden und laichen bei Wassertemperaturen von 18 bis 20 Grad Celsius an Wasserpflanzen.

Sowohl Schleien als auch Karpfen stehen aber wohl nicht ganz oben auf der Liste der begehrtesten Bodenseefische bei den etwa 150 Berufsfischer*innen am Bodensee.

Zahlreiche Fischerboote liegen im Harder Kleinboothafen, dem der Grüne Damm vorgelagert ist, der auch gerne zum Angeln genutzt wird.

© Bernd Fessler

Wie die geschützten Gänsesäger (Mergus merganser), die sich zur Mauser am Bodensee aufhalten, oder die Kormorane (Phalacrocorax carbo) und Graureiher (Ardea cinerea), auch Fischreiher genannt, die in den seichten Stellen am Seeufer ideale Jagdgründe vorfinden und sich deshalb ganzjährig hier aufhalten, lebten auch die Menschen am Bodenseeufer schon immer nicht primär ländlich orientiert, sondern insbesondere auch vom Fischfang, als Fischer*innen. Seit 1909 sind sie – wie alle Berufs- und Angelfischer*innen aus den Anrainerstaaten – im Internationalen Bodensee-Fischereiverband (IBF) organisiert, der ihre Interessen gegenüber der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) vertritt. Ihre Zahl allerdings ist seit Jahren rückläufig (in Vorarlberg sind es, Stand 2017, noch etwa zehn Berufsfischer, davon einer in Hard, wo sich auch das Vorarlberger Fischereizentrum befindet).

Seit Jahren gehen die Fänge zurück: Haben im Jahr 1997 noch 158 Fischer etwa 1.219 Tonnen aus dem Obersee gefischt, waren es 2017 gerade noch 65 Berufsfischer mit 298 Tonnen. Der Rückgang der Fischereierträge liegt auch an der stetig besser werdenden Wasserqualität und der damit verbundenen Nährstoffarmut: Seit dem Bau von Kläranlagen, hat sich der Bodensee wieder zu dem nährstoffarmen Voralpensee entwickelt, der er ursprünglich einmal war. So gibt es insgesamt weniger Fische im Bodensee und einzelne Exemplare werden auch nicht mehr so groß wie früher, was geringere Erträge bedeutet – auch wenn die bestehenden Fischpopulationen sich stabilisieren.

In Harder Hafengebiet befindet sich auch das Vorarlberger Landesfischereizentrum.

© Bernd Fessler

Rund 45 Fischarten leben im Bodensee, besonders begehrt sind Seesaiblinge (Salvelinus alpinus) und Felchen (Coregonus spec.), die aufgrund der abnehmenden Population im See inzwischen allerdings auch aus Fischfarmen stammen. Das Bodenseefelchen (Coregonus wartmanni), das aufgrund seines einst großen Vorkommens nach dem Bodensee benannt wurde, wird oft ganz (geräuchert) angeboten oder als Filet (nach Müllerin Art) zubereitet, ähnlich wie die sonst bekannten Forellen. Die Seeforelle ist dabei ein Indiz für die zunehmende Gesundung des biologischen Gleichgewichts im See, haben sich ihre Bestände doch mit verbesserter Wasserqualität merklich erhöht.

Die Bodenseeforelle (Salmo trutta) wird in den Wintermonaten aktiv. Sie lebt in den tieferen Regionen des Bodensees und ernährt sich hier hauptsächlich von Krebsen und kleineren Fischen. Ihre Geschlechtsreife erlangt sie erst im Alter von vier Jahren – dann beginnt sie mit dem Aufstieg in ihre Heimatgewässer (ins Gebirge), erst dort wird sie Laichen: den idealen Laichgrund findet sie am flachen Kiesgrund gut durchströmter und naturbelassener Flüsse wie der Bregenzer Ach; denn die Eier der Seeforelle können sich nur entwickeln, wenn das Wasser über einen hohen Sauerstoffgehalt verfügt und idealerweise zwischen zwei und sechs Grad Celsius kalt ist. Hat sie ein geeignetes kleinkörniges Kiesbett gefunden, gräbt das Weibchen mit heftigen Schägen der Schwanzflosse eine Laichgrube und legt etwa 2.000 Eier darin ab, die vom Männchen sofort mit seinem Samen befruchtet und zugedeckt werden. Nach etwa dreißig Tagen schlüpfen dann die jungen Forellen.

Ihr erstes Lebensjahr verbringen die jungen Seeforellen immer in ihrem Laichgewässer, erst dann ziehen sie in den Bodensee. Dort sind die Seeforellen nicht zu verwechseln mit der Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss): Seit Jahren siedeln sich nicht ursprünglich zur heimischen Fauna gehörende Neozoen im Ökosystem Bodensee an und gefährden oder verdrängen zum Teil einheimische Arten. Auch die Regenbogenforelle (die man gut an ihrem roten Streifen in der Körpermitte erkennt) zählt nicht dazu, sondern wurde um 1880 zur Bereicherung der heimischen Artenvielfalt und aus wirtschaftlichen Überlegungen im Bodensee ausgesetzt. Sie gehört zur Gattung der Pazifischen Lachse, ihre ursprüngliche Heimat ist in den Flüssen Nordamerikas. Gegenüber der empfindlicheren Bodenseeforelle hat die Regenbogenforelle den Vorteil, dass sie robuster ist und auch mit schlechteren Sauerstoff- und Temperaturverhältnissen zurecht kommt. Geichwohl zählt auch sie – anders als der wärmeliebende Karpfen – zu den Verlierern der Klimaveränderung.

Neozoen werden im Bodensee seit 1955 und von Jahr zu Jahr mit mehr Arten nachgewiesen. Wurden beispielsweise die Körbchenmuscheln zur Jahrhundertwende erstmals im Bodensee festgestellt, wo sie sich seither auf dem sandigen Seeboden rasant verbreiten, kam die Dreikantmuschel bereits in den 1960er-Jahren in den See, vermutlich als Anhaftung auf einem Schiffsrumpf. Sie hält sich mit Sekretfäden an Gegenständen fest und überwuchert Äste – so wie heimische Muscheln, die jedoch langsam aus dem See verschwinden.

Durch die Muscheln ergeben sich neue Ökosysteme: Die Exkremente der Dreikantmuscheln sind für die kräftig gedeihenden Algen im Bodensee – von denen sich im Frühjahr wiederum die Kaulquappen ernähren – ein perfekter Dünger, während den Blesshühnern wiederum die exotische Muschel schmeckt. Das Plätschern ihrer Jungen kann der Wels gut wahrnehmen: Seine langen Fühler – die Barteln – tragen Geschmacksknospen, außerdem kann er die Schallwellen der Küken wahrnehmen et cetera.

Gelangte die Dreikantmuschel wohl eher unbeabsichtigt in den See, wurden andere Arten wie beispielsweise die Rotwangenschildkröten hier ausgesetzt (sie überleben den Winter, indem sie am Seegrund in eine Winterstarre mit einem reduzierten Stoffwechsel verfallen). Inzwischen werden auch Aale, die als Jungfische an der französischen Atlantikküste gefangen werden, im Bodensee ausgesetzt. Ursprünglich aber war der Aal die einzige Fischart, die die für andere Fische unüberwindliche Kaskade des Rheinfalls bei Schaffhausen überwinden konnte: Als Wanderfisch, der sich gerne in Fließgewässern aufhält, kam er als Jungtier über die Niederländische Nordsee-Mündung in den Rhein und schwamm (früher zu Tausenden) unaufhaltsam Stromaufwärts (über Nieder-, Mittel-, Ober- und Hochrhein) bis in den Bodensee.

Der Rheinfall bei Schaffhausen ist der größte Wasserfall in Europa und ein unüberwindliches Hindernis für Fische.

© Jochen Ihle

Geboren werden Aale im Atlantik, in der Sargassosee Nahe den Bermudas. Von dort wandern sie (oder treiben mit den nordatlantischen Strömungen) unvorstellbare 5.000 Kilometer bis in europäische Gewässer, wo sie als erwachsene Aale von Salz- zu Süsswasserfischen werden. Die Wanderung in den Bodensee gelang ihm auch deshalb, weil der Aal sich an Land über Feuchtwiesen schlängeln kann (er kann Sauerstoff über seine Haut aufnehmen) – so konnte er früher auch den Rheinfall überwinden. Diesen Weg versperren ihm heute jedoch Uferbebauungen und Kraftwerke – übrigens auch zurück: Aale können bis zu 50 Jahre alt werden und würden am Ende ihres Lebens tatsächlich wieder zurück in ihre Laichgebiete in der Sargassosee schwimmen, würden sie die Möglichkeit dazu haben …

Alpenrhein

Der insgesamt 1.230 Kilometer lange Rhein ist einer der bedeutendsten europäischen Flüsse und mit großem Abstand der wichtigste Fluss für den Bodensee. Diese Bedeutung kommt auch darin zum Ausdruck, dass alle Wortbedeutungen des Rheins mit „Fließen“ zu tun haben (aus der selben indogermanischen Wortwurzel entstand unter anderem auch das deutsche Verb rinnen).

Karte des Alpenrheins mit seinen beiden Ursprüngen: Vorder- und Hinterrhein.

In seinem Quellgebiet im Schweizer Kanton Graubünden (unweit des Gotthardmassivs, der Hauptwasserscheide Europas) unterscheidet man zwei Ursprünge des Flusses: Beim Thomasee entspringt der Vorderrhein, der sich wenige Kilometer vor Chur mit dem Hinterrhein zum sogenannten „Alpenrhein“ vereint, wie der Fluss bis zu seiner Mündung in den Bodensee genannt wird. Hier in Graubünden, direkt am Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein, befindet sich das Schloss Reichenau (nicht zu verwechseln mit der Insel Reichenau im Bodensee), wo die Familie von Tscharner ein Weingut betreibt und aus elf Traubensorten 19 verschiedene Weine erzeugt – sozusagen als erste Winzer am Rhein. Dass hier sogar Pinot Noir ausreift liegt an dem einzigartigen Mikroklima, dass der Föhn mit seinen warmen Fallwinden verursacht.

Unmittelbar am Zusammenfluß von Vorder- und Hinterrhein, wenige Kilometer vor Chur in Graubünden, liegt Schloss Reichenau, das Weingut der Familie von Tscharner.

© Von Tscharner

Ist der Rhein in den Alpen bis Chur gewissermaßen noch ein einer echter Wildbach mit großer Kraft, ist sein Verlauf ab Chur begradigt und sein Flussbett mit soliden Deichen eingedämmt. Der Rhein fließt hier als Grenzfluss zwischen der Schweiz, dem Fürstentum Liechtenstein und Österreich durch die Ebene des dicht besiedelten Rheintals, in dem etwa 500.000 Menschen leben – und die Rheinregulierung, im Zuge derer auch die Begradigung des Flusses erfolgte, geschah insbesondere im Hinblick auf die Verminderung der Hochwassergefahr für die hier lebendene Rheintalbevölkerung sowie den Schutz der ansässigen Industrie (das Alpenrheintal ist eine der wirtschaftlich dynamischsten Regionen in Europa).

Blick vom Bregenzer Gebhardsberg auf das dicht besiedelte Rheintal. In Österreich ist die Besiedlungsdichte nur in Wien größer.

© Bernd Fessler

Seit jeher transportiert der Rhein Unmengen von Geröll (Stein, Kies, Sand und Sedimente) aus den Alpen mit sich, man geht von etwa drei Millionen Kubikmeter Material jährlich aus. Je näher der Alpenrhein der Mündung kommt, desto geringer ist auch das Gefälle des Flusses. Während im Oberlauf eines Flussbettes deshalb gewöhnlich gröbere Steine dominieren – aufgrund des starken Gefälles ist hier die Transportkraft des Flusses viel höher –, dominieren in seinem Unterlauf, in dem Fall ab Chur, feines Material wie Sand. Natürlicherweise verliert ein Fluss wie der Rhein zuerst seine schwere Stein- und Kiesfracht, dann Sand, schließlich feinen Ton. Entsprechend vertieft er im Oberlauf fortwährend sein Bett, während er es im Unterlauf mit Sedimenten auffüllt, wobei sich die Erosion normalerweise immer weiter rückwärts in Richtung Quelle ausbreitet (man nennt das „rückschreitende Erosion“).

Nach dem Rückzug des Rheingletschers am Ende der letzten Eiszeit bildete sich der Bodensee, gleichzeitig begann an der Einmündung des Alpenrheins in den See eine Deltabildung: Die Versandungen im Unterlauf des Rheins führten dazu, dass der Rhein ursprünglich, vor der Regulierung, als Delta mit Kurven und mehreren Flussarmen in den Bodensee floss – was früher regelmäßig zu Rückstauungen und Überschwemmungen im Rheintal führte („Der Rhein kommt!“), insbesondere im Frühjahr, wenn der Rhein das Schmelzwasser aus den Alpen mit sich führte. Um diese permanente Gefahr zu bannen und das Rheintal als Lebensraum sicherer zu machen, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts (1892) in einem Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich die Regulierung des Alpenrheins (Begradigung und Eindeichung) beschlossen: Zwei Durchstiche sollten den Flusslauf begradigen und die damit verbundene Verkürzung von rund zehn Kilometern die Schubkraft des Wassers vergrößern, um zukünftig Geschiebeablagerungen und damit verbundene Überschwemmungen im Siedlungsgebiet des Rheintals zu vermeiden. Entsprechend wurde schon wenige Jahre später, im Jahr 1900, der Durchstich im Vorarlbergischen Fußach eröffnet, 1923 folgte das Schweizerische Diepoldsau.

Der begradigte und eingedämmte Rhein – randvoll am 12. Juni 2019. Am nächsten Tag war die Hochwassergefahr im Rheintal gebannt und der Pegel sank wieder.

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Schon 1910 wurde der Vorarlberger Rheintalbinnenkanal fertiggestellt, welcher der Entwässerung des Gebietes um die Dornbiner Ache diente. Das und die Rheinregulierung veränderte die gesamte Uferlandschaft zwischen Bregenz und der Schweizer Grenze – insbesondere auch, weil in diesem Zusammenhang die Mündung des Alpenrheins in den Bodensee ein ganzes Stück nach Osten verlagert wurde: Der Rhein hat sich im Lauf der Jahrhunderte durch die Ablagerung großer Geschiebemassen immer wieder verlagert, bis 1900 jedoch mündete er beim Rheinspitz in den Bodensee. An dieser ursprünglichen Stelle mündet seit dem Rheindurchstich der seither so bezeichnete Alte Rhein (mit dem die bei den Durchstichen abgetrennten Gewässer, die durch die Begradigung entstanden sind, gemeint sind). Die Mündung des Neuen Rheins in den Bodensee hingegen liegt seither östlich des Rohrspitzes zwischen Hard und Fußach. Gleichzeitig wurde auch der Vorarlberger Rheintalbinnenkanal mit der stark korrigierten Dornbirner Ach verbunden, die seit dieser Zeit parallel zum Neuen Rhein kanalartig verläuft und unmittelbar neben ihm in den Bodensee fließt.

Die Hochwassergefahr war bis zur Rheinregulierung ein ständiges Problem für die Menschen im Rheintal. Der Rhein zählt in Mitteleuropa zu den Flüssen mit dem größten Gefälle, das heißt die Kraft des Wassers, die ihm von den Gebirgen her zukommt, ist besonders groß – insbesondere zur Zeit der Hochwasserspitzen während der Schneeschmelze. Sie verursachte etwa alle drei Jahre großflächige Überschwemmungen. Durch die Begradigung Anfang des 20. Jahrhunderts konnte diese Gefahr gebannt werden, das Wasser des Alpenrheins fließt seither ohne Hindernisse in den Bodensee, der dadurch zu einem riesigen Rückhaltebecken wurde. So ungehindert allerdings wie der Alpenrhein, so ungehindert gelangen seither auch die Sedimente in den See, die sich nun direkt im Mündungsgebiet des Rheins ablagern (sedimentieren). Die Sedimentablagerung wurde insofern nur verlagert: vom Unterlauf des Rheins, dem Rheindelta, direkt in den Bodensee.

Wie auch die Bregenzer Ach, nur in wesentlich größeren Dimensionen, transportiert der Rhein Unmengen von Sedimentmaterial aus den Alpen mit sich, die er in seinem Mündungsgebiet ablagert. Das führt dazu, dass die Bregenzer Bucht und irgendwann auch der Bodensee komplett verlanden werden.

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Vielleicht wird die Reibung zwischen Natur und Zivilisation nirgends deutlicher sichtbar als beim Rhein, entsteht durch seine Regulierung doch eine gänzlich neue Landschaft – die aus ökologischer Sicht jedoch auch Chancen bietet: Der Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffene Rheindurchstich ist zwar kein ursprünglicher Deltaarm, nichtsdestotrotz verläuft die Hauptdeltabildung seitdem unmittelbar an der Mündung des neuen Rheindurchstichs zwischen Fußach und Hard. Zwei bis drei Hektar neue Landfläche beziehungsweise Lebensräume – Auwälder und Schilfröhrichte – entstehen hier jedes Jahr durch die Sedimentablagerungen des Flusses – das ist einzigartig in Mitteleuropa. Die Sedimentation jedoch führt dazu, dass die Bregenzer Bucht in einigen Jahrhunderten völlig verlanden wird – und in geologisch naher Zukunft schließlich der Bodensee insgesamt, wie letztlich jeder glaziale See (für die Verlandung des gesamten Bodensees schätzt man einen Zeitraum von zehn- bis zwanzigtausend Jahren).

Um den Verlandungsprozess im Mündungsgebiet des Alpenrheins zu verhindern, oder wenigstens die rasche Verlandung des Bodenseeufers, hat man folgende Maßnahmen ergriffen: Da sich ständig im Mündungsbereich ablagernde Sedimente den Fluss irgendwann aufstauen würden, wird der Bereich kontinuierlich das ganz Jahr über ausgebaggert, obwohl das Geschiebe nur etwa zehn Prozent hochwertige, das heißt verwertbare Sande und Kiese enthält (derzeit bringt der Rhein etwa 3.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde mit sich, durch die Ausbaggerungen und den Ausbau des Gerinnes soll es bald Platz für etwa 4.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde geben); Außerdem wird seit den 1970er-Jahren ein schlangenförmiger, inzwischen rund fünf Kilometer langer Damm in den Bodensee hinein gebaut, der die Mündung des Alpenrheins weit in den See hinein verlagert. Da sich die Mündung des Neuen Rheins von Jahr zu Jahr weiter in die Bucht hinaus schiebt, werden auch die Dämme laufend verlängert. Binnen eines Jahrhunderts hat sich der Rhein – trotz der Gegenmaßnahmen – so weit in den See vorgeschoben, dass er die Bucht zwischen Bregenz und Lindau inzwischen bereits fast zur Hälfte abgetrennt hat.

Abendstimmung am Bodensee, vom Bregenzer Gebhardsberg aus gesehen. Deutlich erkennt man, wie weit der Rheindamm bereits in den See hineingebaut wurde.

© Bernd Fessler

Durch die Ausbaggerungen und die Errichtung eines langen Damms (eine Schmalspurbahn, die „Bahn der internationalen Rheinregulierung“, transportierte ursprünglich Material für den Deichbau auf den Rheindamm) sollen die Sedimentmassen, die der Rhein mit sich führt, nicht mehr im flachen Wasser des Uferbereichs abgelagert werden, sondern können weiter seewärts in tiefere Bereiche geführt werden – bis zum Steilabfall des Seeufers, der sogenannten Halde (Halde wird die steil abfallende Moränenflanke im Bodensee genannt, die bis etwa 100 Meter Seetiefe folgt; ab etwa 150 Meter wird der Seegrund Schweb genannt, ab 200 Meter Tiefe spricht man von der Tiefhalde und der unterste Seegrund bei rund 250 Metern – die tiefste Stelle des Bodensees bei Fischbach und Uttwil misst 251,14 Meter, er ist damit der tiefste See Deutschlands – heißt Tiefer Schweb.)

Ist der Rhein an seinem Oberlauf in den Alpen noch ein ungebändigter, kräftiger Wildfluss mit großer Kraft, fließt er im Bodensee, trotz der Begradigung seines Unterlaufs, fast überhaupt nicht mehr. Allerdings endet er mit seiner Mündung nicht, sondern fließt durch den Bodensee hindurch: Das kältere Wasser des Alpenrheins sinkt im See in tiefere Schichten ab und steuert langsam auf den Konstanzer Trichter zu. In Konstanz allerdings, einer der wichtigsten Städte des Mittelalters, hat sich die Schubkraft des Rheins verloren – und auch das Gefälle zwischen Ober- und Untersee, den beiden Teilen des Bodensees, reichte lange gerade nur zum Betrieb einer Mehlmühle (obwohl der Abfluss des Bodensees bei Konstanz im Durchschnitt bei etwa 365 Kubikmeter Wasser pro Sekunde liegt). Von der weiteren technischen Entwicklung (wie in späterer Zeit etwa Wasserturbinen zur Stromerzeugung) war die Stadt damit abgekoppelt und verlor ab dem ausgehenden Mittelalter auch zunehmend an Bedeutung. Hansjörg Küster bemerkt in seiner „Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa“ (2010) in diesem Zusammenhang: „Besonders viele und vielfältige Mühlen drehten sich an Flüssen und Bächen, die zum Flusssystem des Rheines gehörten. (…) Am Rhein und seinen Nebenflüssen entwickelten sich in der frühen Neuzeit ganze Mühlendistrikte, die später zu wichtigen Industriegebieten wurden (…) Viele Mühlenbetriebe wurden zu Keimzellen moderner Industrie, lange bevor die Industrielle Revolution Mitteleuropa erfasste. (…) Wo die Wasserkraft [jedoch] nur für den Betrieb von Mühlen ausreichte, die Mehl zur Versorgung der Bevölkerung bereitstellten, führte kein Weg in die Industrialisierung“, schreibt Küster.

Der Rhein fließt als „Alpenrhein“ in den Bodensee, wo er am Ende des Obersees bei Konstanz als „Seerhein“ in den Untersee fließt, bevor er bei Stein am Rhein den See verlässt und als „Hochrhein“ in westlicher Richtung zum Rheinfall, Europas größtem Wasserfall, und weiter nach Basel fließt, wo er schließlich nach Norden abbiegt und als „Oberrhein“ die Schweiz verlässt (über den weiteren Verlauf und die Bedeutung des Rheins – insbesondere des „Mittelrheins“ – in Deutschland, siehe den Essay rheinmythen).

Lauteracher Ried

Die Rheinregulierung Anfang des 20. Jahrhunderts hat das Landschaftsbild am österreichischen Bodenseeufer westlich von Bregenz noch einmal erheblich verändert. Ursprünglich geformt wurde das Gebiet bereits, als sich die Gletscher nach dem Ende der letzten Eiszeit vor über 10.000 Jahren zurückgezogen hatten: Zurück blieb damals der nacheiszeitliche „Rheintal-Bodensee”, der sich bis weit in das heutige Rheintal erstreckte.

Schon früh hielten sich Menschen in solchen eiszeitlich geprägten Landschaften auf, also dort, wo nach dem Abschmelzen der Gletscher besonders viele Gewässer neu entstanden waren wie eben am Bodensee. An seinen Ufer lebten die Menschen nicht primär ländlich orientiert, sondern als Fischer: Fische, Muscheln und andere Wassertiere sowie Vögel dienten als Nahrung. Menschen ließen sich hier am See bereits im Neolithikum (8000-5500 v.u.Z.) nieder, und um 4300 v.u.Z. begann sich das Phänomen der Pfahlbausiedlungen rund um die Alpen auszubreiten (Ufersiedlungen lassen sich am Bodensee hauptsächlich am Überlinger See und der Konstanzer Bucht nachweisen, beispielsweise bei Unteruhldingen. Während einzelne Gebäude – Pfahlbauten – hier auf Stelzen gestanden haben, lagen andere – Feuchtbodensiedlungen – sicherlich ebenerdig auf dem Seeton auf, in den allerdings Pfähle zur Fundamentierung der Gebäude getrieben werden mussten.)

Die Möglichkeiten des Lebens an offenen Gewässern wurden aber in der frühen Nacheiszeit dadurch eingeschränkt, dass viele Seen damals verlandeten und zu Niedermooren wurden. Das gilt auch für den „Rheintal-Bodensee“: Hier sorgte insbesondere der Rhein mit seinen enormen Ablagerungen von Kies und Sand dafür, dass der See im Verlauf der Jahrtausende kontinuierlich verlandete und allmählich schrumpfte. Wo das Wasser einst hoch stand, blieben flache Gewässer und sumpfige Senken: Riede und Niedermoore mit reichem Pflanzenwuchs entstanden. Die Sauerstoffarmut in diesen Mooren verhinderte, dass sich abgestorbene Pflanzen zersetzten, wodurch im Laufe der Zeit allmählich Torf entstand.

Eines der größten dieser Riede in Vorarlberg ist das Lauteracher Ried südlich von Hard. In ihm sind, insbesondere in seinem südlichen Teil – einer weitläufigen, gehölzarmen Moorlandschaft –, die größten Torflager des Landes erhalten. Ihre Schichten reichen in bis zu sechs Meter Tiefe und so wundert es kaum, dass das Lauteracher Ried zu einem der wichtigsten Zentren des Torfabbaus in Vorarlberg zählte, obwohl die Lebensbedingungen hier, wie Pflanzenanalysen ergeben haben, noch vor 150 Jahren feindlich waren und das Ried nur bei gefrorenem Boden begangen werden konnte.

Das Lauteracher Ried

© Land Vorarlberg

Das Lauteracher Ried ist eine alte Kulturlandschaft, die heute ein Europaschutzgebiet ist und durch eine extensive landwirtschaftliche Nutzung erhalten wird. Etwa 90 Hektar Streu- und Feuchtwiesen werden dabei noch immer nicht gedüngt und jeweils nur einmal jährlich im Herbst gemäht. Früher lebten hier noch Birkhühner als Brutvögel, die man auf den Gestellen sitzend erleben konnte, die eigentlich für die Trocknung der Torfschollen gedacht waren. Sie sind genauso verschwunden wie der Torfabbau. Dafür bietet die heute auf den Streu- und Feuchtwiesen praktizierte extensive Bewirtschaftung einen wertvollen Lebensraum für Pflanzen und Wiesenbrüter wie beispielsweise den Wachtelkönig (Crex crex). Seine ersten, nicht gerade melodiösen Rufe sind nach seiner Rückkehr aus dem afrikanischen Winterquartier im Mai zu hören. Im Lauteracher Ried hat der vom Aussterben bedrohte Wachtelkönig eines der letzten Refugien in der Region gefunden. Auf den Riedflächen und im Schilf am Seeufer sammeln sich im Frühjahr in der Dämmerung auch tausende Stare (Sturnus vulgaris) auf ihrem Weg vom Süden kommend zu ihren Brutplätzen im Norden.

Riedlandschaft im Rheindelta mit gemähter Wiese, auf der man – wie auch in den Weilern um den Bodensee – immer wieder auch Weißstörche nach ihrer Rückkehr aus dem Winterquartier in Afrika auf Futtersuche (begehrt sind Mäuse und Wasserfrösche) sieht.

© Bernd Fessler

Rheindelta

Der Bodensee ist altes Kulturland mit wildem Leben: Das Nebeneinander von weitgehend unberührter Natur und behutsamer Landwirtschaft prägt auch heute noch die Landschaft im Lauteracher Ried – und das gilt auch für das auf der anderen Seite des Rheins liegende Naturschutzgebiet Rheindelta, ebenfalls eine charakteristische Riedlandschaft.

Das Naturschutzgebiet Rheindelta im Detail: Etwa zwei Drittel des Gebiets sind Wasserfläche, Rhein- und Rohrspitz sowie Gebiete des Gaißauer- und Höchster Riedes bilden die Landfläche.

© Bernd Fessler

Das Rheindelta ist ein über 2.000 Hektar großes Flussdelta und umfasst das Mündungsgebiet des Alpenrheins in den Bodensee, wobei der Rhein ein gemeinsames Deltagebiet mit der Dornbirner- und der Bregenzer Ach bildet. Das Rheindelta ist das größte Süßwasserdelta Mitteleuropas – ein aquatisches Feuchtgebiet, das zu zwei Drittel aus Wasser- und nur zu einem Drittel aus Landfläche besteht. Zu ihnen gehören die Halbinseln Rhein- und Rohrspitz – beides in den See reichende Landzungen, wobei es sich beim Fußacher Rohrspitz um den verbliebenen Rest eines alten Mündungskegels des Rheins handelt, während beim Gaißauer Rheinspitz heute der Alte Rhein in den See fließt.

Das Ufer des Bodensees besteht überwiegend aus Kies, an einigen Stellen findet man aber auch echten Sandstrand, so wie hier am Rohrspitz im Naturschutzgebiet Rheindelta. Das umgestürzte Totholz schafft neuen Lebensraum für Insekten.

© Bernd Fessler

Rheindeltagemeinde Fußach –

Das Rheindelta erstreckt sich über das gesamte österreichische Gebiet westlich der Rheinmündung und umfasst insofern auch die komplette Fußacher Bucht – nach der Bregenzer- und Harder- die dritte Bucht des Vorarlberger Bodenseeufers. Der Name der Fußacher Bucht stammt vermutlich vom ehemaligen Namen Fussach für den Fluß, der heute als Dornbirner Ach in den Bodensee fließt: vor dem sogenannten Fußacher Durchstich im Zuge der Rheinregulierung im Jahr 1900 mündete diese bei Fußach in den Bodensee. Mit der Schaffung des Fußacher Rheindurchstiches jedoch wurde die Gemeinde um die direkte Verbindung zum Bodensee gebracht, denn die Dornbirner Ache, bis dahin Zufahrt zum Fußacher Hafen, wurde in ein anderes Bett gelegt und fließt seither parallel zum neuen Rhein in den Bodensee. Wo ehemals der See eine Tiefe von 40 Metern hatte, entwickelte sich seither ein geschützter Auwald. Dabei fallen große Teile der Fußacher Bucht bei Niedrigwasser trocken und legen große Schlickflächen frei. Diese sind gemeinsam mit den Flachwasserzonen wichtige Rast- und Nahrungsplätze für durchziehende Wasser- und Watvögel.

Die Wappen der Gemeinden Fußach (links) und Hard. Obwohl das Dorf seit der Rheinregulierung 1900 vom direkten Zugang zum See abgeschnitten ist, spielt der Bodensee auch heute noch eine wichtige Rolle in Fußach.

Mit dem Rheindurchstich war ein gewisser Bedeutungsverlust für Fußach verbunden, darauf verweist auch eine gerade erst errichte Stelenausstellung im Dorf (drei von insgesamt zehn geplanten Informationstafeln zur Geschichte der Gemeinde wurden bei der Eröffnung im September bereits präsentiert und sind an verschiedenen Standorten im Dorf verteilt): Zu seiner Hochblüte im Mittelalter war das erstmals im Jahr 840 erwähnte Dorf einer der wichtigsten Warenumschlagplätze im Bodenseeraum, wurde seit dem 15. Jahrhundert doch von Fußach aus der Transport von Waren und Reisenden zwischen Lindau und Mailand organisiert (von der Fußacher Botenanstalt Spehler & Vis [Weiss], aus der dann die bekannte Spedition Gebrüder Weiss hervorging). Einer der berühmtesten Fahrgäste war sicherlich Johann Wolfgang von Goethe, der 1788 mit dem Mailänder Boten von seiner ersten Italienreise zurückkehrte und in diesem Zusammenhang in Fußach übernachtete.

Erst der Ausbau des Bregenzer Hafens zwischen 1842 und 1892, insbesondere aber die Fertigstellung der Arlbergbahn 1883 warf die Gemeinde wirtschaftlich entscheidend zurück – Landwirtschaft und Fischerei wurden nun zu den hauptsächlichen Erwerbsquellen. Mit dem Rheindurchstich 1900 verlor die Gemeinde dann zusätzlich noch ihre direkte Anbindung an den Bodensee und liegt seither etwas landeinwärts, auch wenn dadurch zumindest die stets drohende Gefahr von Überschwemmungen gebannt werden konnte.

Naturschutz –

Im Siedlungsgebiet von Fußach, aber auch in den anderen Rheindeltagemeinden Höchst und Gaißau, grenzen landwirtschaftlich genutzte Flächen an heute geschützte Gebiete. Als Naturschutzgebiet gibt es das Rheindelta bereits seit 1942, als erstmals eine Verordnung über den Schutz der Rheinau – einem etwa ein Kilometer breiten Wasserstreifen zwischen Rheinmündung und Rheinholz – verordnet wurde. Das Rheindelta wurde damit zum ersten Naturschutzgebiet in Vorarlberg erklärt und insbesondere auch die landwirtschaftliche Nutzung – ausdrücklich einschließlich der Errichtung von Entwässerungsanlagen, des Holzschlags, Rohrschnitts und der Viehweide – verboten.

Wurden Anfangs noch immer wieder Ausnahmegenehmigungen beantragt, beschloss die Vorarlberger Landesregierung 1957 schließlich, im Rheindelta keine Bewilligungen mehr zu erteilen. Gewissermaßen um das zu manifestieren wurde 1956 mit der Errichtung eines Polderdammes entlang des Bodenseeufers begonnen, der schließlich 1963 fertiggestellt war. Alles was sich seeseitig von diesem Damm befand fiel unter die Naturschutzverordnung – während die Absenkung des Wasserspiegels durch Pumpwerke und die Rodung von Au- und Bruchwäldern (was natürlich auch den Verlust des Lebensraums für viele Wildtiere im Rheindelta wie beispielsweise Rehe bedeutete, die hier Futter und Deckung fanden) dafür sorgten, dass die Flächen hinter dem Polderdamm intensiver landwirtschaftlich genutzt werden konnten.

Im Rheindelta trifft also Ackerland auf Naturschutzgebiet: Einerseits wurden durch den Polderdamm und die damit verbundene Entwässerung landwirtschaftliche Flächen geschaffen – andererseits aber wurde bald klar, dass nicht nur die Gebiete auf der Seeseite des Damms geschützt werden sollten, sondern zumindest auch ein Teil der Feuchtwiesen hinter dem Damm, um die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten. Seltene Arten wie die Sibirische Schwertlilie (Iris sibirca), die im Juni die Feuchtwiesen blau färbt – die Blütenpracht dauert nur kurz: gleich nach der Bestäubung verblüht die Pflanze –, haben bereits 1976 dazu geführt, dass das Naturschutzgebiet Rheindelta um wertvolle Bereiche erweitert wurde.

Größere Flächen hinter dem Polderdamm wurden allerdings erst später in das Naturschutzgebiet integriert: Erst 1992 kamen die Flachmoore des Gaißauer- und des Höchster Riedes dazu – beide nicht unmittelbar am Bodenseeufer gelegen. Mit der Bewirtschaftung dieser Wiesen, insgesamt etwa 300 Hektar Gesamtfläche, wurde der offene Charakter der Riedlandschaft des Rheindeltas geschaffen. Zu diesen Landflächen kommen noch der Rheinspitz und die neu aufgelandeten Flächen an der Mündung des sogenannten Neuen Rheins mit kleinflächigen, weidendominierten Wäldern, sowie der Gaißauer Rheinspitz mit seinem Hartholz-Auwald, das sogenannte Rheinholz (etwa 60 Hektar). Der Rheinspitz ist mit dem Mündungsgebiet des alten Rheins, wo außer den naturnahen Auwaldflächen auch Röhrichte und den Seespiegelschwankungen voll ausgesetzte Streuwiesen erhalten blieben, das wichtigste Laichgebiet und der bedeutendste Lebensraum für Amphibien in Vorarlberg.

Neben diesen Landflächen, die insgesamt etwa ein Drittel des Naturschutzgebietes ausmachen, prägen aber insbesondere die Wasserflächen die Landschaft: Hier liegen die ausgedehntesten Flachwasserbereiche des Bodensees, die für die Vogelwelt von enormer Bedeutung sind. Etwa zwei Drittel des Rheindeltas nimmt die Wasserfläche (1.300 Hektar) ein, die meist eine Tiefe von nur wenigen Metern aufweist.

Abgesehen von den Schutzmaßnahmen des Landes Vorarlberg, hat sich die Republik Österreich 1982 mit einem im iranischen Ramsar abgeschlossenen Abkommen darauf verpflichtet, den Schutz von „Feuchtgebieten mit internationaler Bedeutung“ – also auch des Rheindeltas – zu fördern. Die sogenannte „Ramsar-Konvention“ ist insofern ein völkerrechtlicher Vertrag insbesondere zum Schutz des Lebensraums von Wasser- und Watvögeln. Seit 1995 ist das Naturschutzgebiet Rheindelta zudem auch ein ausgewiesenes „Natura-2000-Gebiet“ (auch Europaschutzgebiet genannt) wodurch es Teil des EU-weiten Schutzgebiet-Systems ist.

Durch den Schilfgürtel am Bodenseeufer führt am Fußacher Polderdamm ein Steg hindurch zu einer kleinen, verdeckten Aussichtsplattform von der aus man die Wasservögel im Rheindelta beobachten kann, ohne sie zu stören. Der Schilfgürtel selbst wird von vielerlei Arten genutzt, auch der Zwergmaus bietet er Schutz, Nahrung und Baumaterial. Sie wird nur 5-7 Gramm schwer und hat eine Lebenswartung von nur etwa einem Jahr. Ihre mit zerbissenen Schilfhalmen gepolsterten Kugelnester befinden sich zwischen den Schilfhalmen in ausreichender Höhe. Ährensamen des Schilfs dienen ihr als Nahrung. Mit ihrem beigefarbenen Fell hat sie sich perfekt an den Lebensraum im Schilf angepasst und ist selbst für den Schwarzmilan kaum zu erkennen.

© Bernd Fessler

Rast der Zugvögel –

Seit dem Naturschutzgebiet Rheindelta internationale Bedeutung zukommt, wurden dort 340 Vogelarten beobachtet (in Deutschland zum Vergleich gibt es nur 247 Vogelarten). Als größtes Feuchtbiotop-Schutzgebiet am Bodensee ist es ein europaweit bedeutendes Brutgebiet für Wasser- und Wiesenvögel (etwa 90 Arten). Außerdem ist das Rheindelta das bedeutendste Rast- und Überwinterungsgebiet für Wasservögel in Österreich, etwa eine Viertelmillion Vögel bevölkern dann den vergleichsweise milden See: Im Winter 2014 wurden im Rheindelta 56.798 Reiherenten, 51.713 Blesshühner und 43.938 Tafelenten gezählt, zudem etwa 10.000 bis 15.000 Kolbenenten und etwa 10.000 Haubentaucher, außerdem 200-300 Gänsesäger, Singschwäne, Alpenstrandläufer, Kiebitze und auch zahlreiche Seetaucher (Pracht-, Stern- und einzelne Eistaucher) wurden hier auf ihrem Zug im Spätherbst gesehen, sowie jedes Jahr etwa 1.000 Große Brachvögel.

Der Große Brachvogel (Numenius arquata) findet auf den Feuchtwiesen in der Rheintalriede ein ideales Rastgebiet. Dank seines langen, stark gekrümmten Schnabels ist er kaum mit anderen heimischen Wiesenvögeln zu verwechseln. Brachvögel werden bis zu 30 Jahre alt und kehren alljährlich an ihren Brutplatz zurück. Geeignete Lebensräume sind weite, gehölzarme Streuwiesen mit hohem Grundwasserspiegel, wo sie im Frühjahr mit ihrem melodischen Ruf auf sich aufmerksam machen.

Tonaufnahme des Großen Brachvogels auf einer Riedfläche im Rheindelta.

© Bernd Fessler

Weinbau

Am Bodensee dauern die Sommer lange: Die gewaltigen Wassermassen speichern die Wärme der Sonne und geben sie nur langsam wieder ab, was für milde Temperaturen in der kalten Jahreszeit sorgt. Der mitunter wochenlange Dauernebel im Herbst und Winter verhindert die Abstrahlung von Wärme noch zusätzlich. Der See beeinflusst insofern durch die Temperaturverzögerungen das regionale Klima ausgleichend und sorgt für gemäßigte Verläufe – auch wenn es aufgrund des ganzjährigen Föhneinflusses (einem warmen Fallwind aus den Alpen, der durch das Rheintal auf den Bodensee weht) und der hohen Luftfeuchtigkeit (Schwüle) im Sommer relativ häufig zu heftigen Gewittern kommt.

Auch der Klimawandel mit seinem Temperaturanstieg macht sich am Bodensee bemerkbar: So stieg etwa in Konstanz im Zeitraum von 1990 bis 2014 die Oberflächentemperatur des Sees um fast 1°C und die durchschnittliche Lufttemperatur im gleichen Zeitraum um 1,3°C. Wie warm es am Bodensee ist, sieht man auch auf der Insel Mainau: Die sogenannte Blumeninsel ist der einzige Ort in Mitteleuropa, an dem zahlreiche wärmeliebende Gewächse die Winterkälte der nördlichen Breiten auch ohne aufwendige Schutzmaßnahmen überstehen.

Wenn der Bodensee komplett zufriert, wird das Seegfrörne genannt. Ob das angesichts des mit dem Klimawandel verbundenen Temperaturanstiegs irgendwann mal wieder geschieht? Zuletzt gab es jedenfalls 1963 die letzte Seegfrörne – die viele Menschen auf den See trieb, unter anderem auch diese Dreizehnjährigen. Man sieht sie nach der Schule mit ihren Rädern zwischen Bregenz und Lindau, etwa auf Höhe des heutigen Seehotels am Kaiserstrand in Lochau (Kaiserin Zita war hier 1917 mit Gemahl Karl I. zu Gast), das man im Hintergrund links sehen kann (direkt hinter dem sportlichen Jungen mit der coolen Sonnenbrille in der Mitte).

© H. Fessler

Die milden Temperaturen in den Wintermonaten sind nicht nur der Grund, weshalb die vielen Wasservögel am Bodensee überwintern, sondern auch perfekt für den Weinbau. Der hat am Bodensee, wie der Obstbau insgesamt („Obstregion Bodensee“), eine lange Tradition und hatte im Mittelalter sogar eine größere Verbreitung als heute: Weinberge gab es damals nicht nur am Rhein und am Bodensee, sondern auch im Alpenvorland. Aber auch der Obstbau war schon immer bedeutend, wegen ihm wurde sogar extra eine Eisenbahnverbindung über den See auf die Insel Lindau geführt, die das Bodenseeobst rasch auch in solche Städte bringen sollte, in deren Umgebung sich kein großflächiger Obstbau installieren ließ (München).

Trotz der Alpennähe hat der Weinbau am Bodensee Tradition, wie hier auf den sanft abfallenden Hängen bei Meersburg. Dass selbst Rotweinreben gut ausreifen, liegt an den wärmespeichernden Eigenschaften des Sees.

© Winfried Heinze

Dass in der Bodenseeregion Obst angebaut und in der Gegend um Meersburg und Wasserburg am deutschen Bodenseeufer – in der Nähe der Gletscherbedeckten Alpen – Wein gelesen werden kann, liegt nicht nur an der Südausrichtung der Weinberge, sondern insbesondere auch am See, der zur Lesezeit im Herbst die Temperaturen konstant hoch hält und zusätzlich wie ein Spiegel für das einfallende Sonnenlicht funktioniert. Dadurch gedeihen hier Reben in einer Höhe, die in Deutschland sonst nicht mehr für Weinbau geeignet ist: Liegt der Bodensee selbst schon 400 Meter über dem Meeresspiegel, wachsen die Reben entsprechend bis 500 Meter Höhe. Und das, obwohl in Deutschland über 350 Meter normalerweise keine Rebsorte mehr ausreift.

Weinanbau im deutschen Bereich Bodensee verteilt sich auf zwei Bundesländer und zwei Weinanbaugebiete – Baden (Meersburg) im Westen und Württemberg (Wasserburg) im Osten des Sees, zu dem auch der Weinbau am bayerischen Bodensee bei Lindau gezählt wird. Allerdings beträgt die Rebfläche am badischen Bodensee 400 Hektar und ist damit erheblich größer als die in Württemberg (19 Hektar) und Bayern (59 Hektar).

Aber nicht nur am deutschen Bodenseeufer wird Wein angebaut, sondern auch in wenigen Betrieben in Vorarlberg, das als Weinbauregion Bergland Österreich fungiert (zu nennen wäre hier insbesondere das Weingut Möth in Bregenz, der einzige hauptberufliche Winzer am österreichischen Bodenseeufer), sowie in der Schweiz: in den Regionen Rheintal im Kanton St. Gallen und Untersee im Thurgau. Aus dem Thurgau stammte auch Professor Hermann Müller, der von 1850 bis 1927 lebte und im deutschen Weinbauzentrum Geisenheim forschte. Dort züchtete er die nach ihm benannte Rebsorte Müller-Thurgau aus den Rebsorten Riesling und Madeleine Royal, die inzwischen auch von vielen Winzern am Bodensee angebaut wird. Außer ihr sind auch noch die Burgundersorten verbreitet, wobei nicht nur Weiß- und Grauburgunder, sondern auch Spätburgunder ausreift und immer wieder überraschend gute Ergebnisse zeitigt.

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