Im Rahmen der Ausstellung Swarms, Robots and Postnature im Art Laboratory Berlin präsentiert die Künstlerin Käthe Wenzel noch bis Ende Juni unter anderem ihre Bonebots, hybride elektronische Wesen an der Schnittstelle des Biologischen und Maschinellen. Am 20. Mai 2021 fand ein Künstlerinnengespräch mit Käthe Wenzel statt …
Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: A Space Odyssey“ (1968) beginnt mit einer prähistorischen Affenhorde, die den Anfang der Evolution der Menschheit markiert, „The Dawn of Man“. Einer der Affen entdeckt einen Knochen zunächst als Werkzeug, bevor er ihn als Waffe verwendet und einen Artgenossen damit erschlägt. Kubrick beendet diese Anfangsszene damit, dass der Affe den Knochen triumphal in die Luft schleudert – dem folgt ein legendärer Schnitt, ein sogenannter match cut, mit dem Kubrick den durch die Luft wirbelnden prähistorischen Knochen mit einer sich im Weltall drehenden Raumstation im 21. Jahrhundert verbindet. Kubricks match cut ist vermutlich der anspruchsvollste Schnitt der Filmgeschichte und stellt einen gewaltigen, transzendentalen Raum- und Zeitsprung dar: Von einem Bild auf das andere wird die Vorzeit mit der Zukunft der Menschheit, Jahrmillionen und räumlich weit Entferntes assoziiert.
Grundsätzlich handelt es sich beim match cut um eine dialektische Montagetechnik, bei der der Handlungsverlauf zwar unterbrochen ist, dennoch findet ein kontinuierlicher Übergang statt, indem zwei eigentlich unterschiedliche Szenen beispielsweise durch eine formale Ähnlichkeit, wie hier, zusammengefügt werden. Der Schnitt erinnert insofern an die Pfropfung in der Botanik, bei der zwei verschiedene Pflanzen über eine spezielle Schnitttechnik miteinander verbunden werden. Die Technik dient einerseits zur Vermehrung, andererseits modifiziert man damit den natürlichen Prozess des Werdens und Vergehens. Die Technik der Pfropfung wird so, worauf schon Goethe in seinen „Wahlverwandtschaften“ aufmerksam gemacht hat, zum Sinnbild für die zivilisatorische Gewalt an der Natur.
Die Pfropfung wurde erstmals im 4. Jahrhundert schriftlich erwähnt und ist eine Alternative zur vegetativen Vermehrung durch Klone unter Umgehung der mendelschen Vererbungsregeln. Sie stellt insofern eine Möglichkeit dar, den Entwicklungsprozess des organischen Lebens zu beeinflußen, der bis dahin allein von der natürlichen Auslese bestimmt war. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Homo sapiens dann sogar noch einen Schritt weiter gegangen und sprengt inzwischen auch, wie der Historiker Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ (2015) anmerkt, „seine biologischen Grenzen, er lässt die Gesetze der natürlichen Auslese hinter sich und ersetzt sie durch die Regeln des intelligenten Designs“.
Fast vier Milliarden Jahr lang unterlag die Entwicklung jedes Organismus der natürlichen Auslese, nun erlaubt die Biotechnologie und das intelligente Design, die Gesetze des Lebens neu zu schreiben. Biotech ist ein bewusster Eingriff auf der biologischen oder genetischen Ebene, um Fähigkeiten oder die Willensorganisation eines Organismus dahingehend zu verändern, dass er unseren kulturellen Vorstellungen entspricht. Noch werden nur Tieren Chips und Elektroden implantiert, um sie und ihr Verhalten (insbesondere für militärische Zwecke) zu steuern, aber Harari ist sich sicher, dass diese Entwicklung auch vor uns und unserer menschlichen Natur nicht Halt macht, sondern sich unsere Kultur auch von den letzten „Fesseln der Biologie“ befreien und letztlich unsere körperlichen, physischen und kognitiven Eigenschaften – das menschliche Bewusstsein und die menschliche Identität – massiv technisch umgestalten wird: „Was wäre“, fragt er im Hinblick auf bereits entwickelte Gehirn-Computer-Interfaces, „wenn man ein Gehirn über diese Schnittstelle direkt ans Internet anschließen, oder wenn man mehrere Gehirne miteinander vernetzen und eine Art neuronales Cybercafé schaffen würde? (…) Ein solcher Cyborg wäre kein Mensch mehr und nicht einmal mehr ein Organismus. Er wäre etwas völlig Neues.“
Auch wenn man nicht, wie Harari, davon ausgeht, dass diese Veränderungen so grundsätzlich sein werden, dass der Mensch seine Natur verliert, so sind wir doch, wie Käthe Wenzel in einem Gespräch mit Frank Kaspar bemerkt, längst angekommen „bei halb-organischen Maschinen, es gibt halb-organische Computer“, und es geht nicht mehr allein darum, Natur einfach nur zu imitieren um so Lösungen für technische Probleme zu finden, sondern, so könnte man vielleicht mit Donna J. Haraway sagen, um eine tiefergehende, nahtlose Verstrickung („entanglement“) von Mensch und Maschine, Natur und Technik beziehungsweise Elektronik im Zeitalter des Anthropozän.
Auch bei Käthe Wenzels Bonebots (2010) sind die Grenzen zwischen Natur und Technologie verwischt: Es handelt sich bei ihnen um Kreaturen an der Schnittstelle zwischen Biologischem und Maschinellem, bei denen Knochen mit Zahnrädern, Kabeln, Elektronikbauteilen und einem batteriebetriebenen Motor in einem durchsichtigen Plexiglasgehäuse miteinander zu einem hybriden Wesen zusammengefügt respektive -geschraubt wurden. Sie sind insofern, wie Wenzel sagt, „Cousins von Experimenten der Synthetischen Biologie und halb-lebenden Maschinen“, im Gegensatz zu ihren nahen Verwandten jedoch völlig zweckfrei und ohne bestimmte, definierte Funktion. Auch wenn sie ernste Fragen aufwerfen, fungieren sie als komplett nutzlose, aber durchaus humorvolle Anschauungsobjekte in einem gänzlich ästhetischen Zusammenhang.
In der Artificial-Life-Forschung hat man erkannt, dass auch künstliche Intelligenz, wie der Mensch, einen Körper braucht, um Erfahrungen zu machen. „Die kognitive Robotik“, bemerkt Frank Kaspar, „baut nach dieser Devise intelligente Maschinen, die sich ähnlich orientieren und bewegen können wie Insekten.“ Käthe Wenzels kinetische Konstruktionen hingegen, bei denen die Knochen von unzähmbaren Wildtieren wie beispielsweise dem Coyoten (den schon Joseph Beuys als zivilisationsfernes Wesen verstand) als Beine fungieren, staksen im Vergleich dazu nicht gerade elegant, sondern ungelenk durch den Raum und wirken eher wie fehlerhafte oder widerständige Cyborgs: Sie folgen keinem Programm, bewegen sich nicht zielgerichtet und sind in ihrem Bewegungsablauf auch nicht von Außen gesteuert. Dennoch evoziert gerade diese Unvollkommenheit, dieses Unperfekte der kleinen Bewegungsautomaten den Eindruck von Leben. Käthe Wenzel bemerkt in diesem Zusammenhang: „Wenn die Skulptur anfängt, sich zu bewegen, dann ist es irgendwie komisch – Bewegung ist halt Lebendigkeit.“
Unterstützt wird der Eindruck von Vitalität dadurch, dass die Knochen der verschiedenen Wildtiere unterschiedlich groß sind und sich die Bonebots deshalb – und je nach Batteriefüllstand – auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. Im Gespräch mit Regine Rapp vom Art Laboratory Berlin zur Eröffnung der Ausstellung macht Käthe Wenzel außerdem darauf aufmerksam, dass zwar für alle Bonebots die gleiche Konstruktion verwendet wurde, der komplizierte Bewegungsmechanismus aber bei jedem Bot zu einem individuellen, eigenwilligen Verhalten führt.
Insgesamt sind die Bonebots also Low-Tech-Modelle und Lichtjahre entfernt von dem, was heute bereits realisierbar ist. Sie hinterfragen so jedoch auch die Bemühungen der Bionik, Phänomene der Natur in Technik zu übertragen, das heißt, wie die Kunstwissenschaftlerin Jessica Ullrich in Käthe Wenzels Einzelkatalog „Mixed Systems“ (2019) feststellt, „die gängige Wissenschaftspraxis, etwas Lebendiges zu opfern, um daraus etwas ganz und gar Künstliches herzustellen, was Lebendiges nur nachahmt“. So humorvoll die Bonebots vielleicht auch erscheinen mögen – möglicherweise rufen sie, beziehungsweise ein „durch Bionik, Robotik und Artificial Life propagiertes mechanistisches Weltbild“, aber auch „Ängste vor einer zunehmenden Autonomie zukünftiger, komplexerer Robotersysteme auf und schließen so an die derzeit geführten Debatten um den ethischen Status von künstlichen Intelligenzen an“.
Vielleicht bieten Biotech und Synthetische Biologie auch Chancen und, wie Käthe Wenzel schreibt, „rettende Lösungen und Neuschöpfungen von Mensch und Natur“ angesichts des weltweiten Artensterbens. Spätestens dann allerdings, wenn die menschliche Natur in Frage steht, stößt der technische Fortschritt an einen Punkt, wo er fragwürdig wird. Schon vor längerer Zeit hat der Schriftsteller Rolf Hochhut einmal die Frage gestellt: „Was nutzt uns die Eroberung des Planeten Mars, wenn es dort kein Wasser gibt?“ ….
Swarms, Robots and Postnature –
Kaethe Wenzel | So Kanno | Sofia Crespo
30 April 2021 – 27 June 2021
Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34
13359 Berlin
Die Ausstellung Swarms, Robots and Postnature präsentiert Positionen aus der künstlerischen Forschung zum Schwarmverhalten, stellt das traditionelle Konzept der „Natur“ in Frage und erforscht Schnittstellen des Biologischen und Maschinellen.
Käthe Wenzel hat in ihrem Projekt Bone Bots Schnittstellen zwischen dem Biologischen und Maschinellen hergestellt: Die hybriden elektronischen Tiere, Roboter aus Tierknochen, verwischen traditionelle Kategorien von „Technologie“ und „Natur“, da sie als Experimente auf der Grundlage von synthetischer Biologie basieren und halb-lebende Maschinen darstellen. Wenzels Bone Costumes thematisieren den Massenkonsum von Lebewesen und die tägliche Tötung tierischer Körper und die normierten Formen, in die wir versuchen, unsere eigenen Körper hinein zu pressen. Die Arbeiten entstanden aus der Recherche historischer Korsett-Techniken; in Verbindung mit modernen Fashion-Technologien entwickeln sie sich zu Exo-Skeletten, halb organischen und halb mechanischen apokalyptischen Outfits.
So Kanno verbindet Design Informatik mit digitaler Kunst und hat sich in den letzten Jahren intensiv mit Robotersystemen und Schwarmrobotik auseinander gesetzt. Lasermice ist eine Schwarmroboteranlage, die aus 60 kleinen Robotern besteht, die durch das synchrone Verhalten von Insekten wie Glühwürmchen inspiriert wurde. Normalerweise ist das Netzwerk des Schwarms unsichtbar, aber in diesem Fall erstellen diese Roboter ein sichtbares Netzwerk mittels Laser-Licht-Photodetektor-Kommunikation. Dadurch erzeugen sie einen Rhythmus, durch Elektronmagneten akustisch wahrnehmbar, der sich ständig ändert. Die aktualisierte Fassung Lasermice Dyad, geht ebenfalls der Idee, natürliche Phänomene künstlich sichtbar zu machen, und weist noch mehr Parameter auf.
Sofia Crespo arbeitet an der Darstellung künstlichen Lebens und generativer Lebensformen. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Art und Weise, wie organisches Leben künstliche Mechanismen nutzt, um sich selbst zu simulieren und sich zu entwickeln. Dies impliziert die Idee, dass Technologien ein verzerrtes Produkt des organischen Lebens sind, das sie hervorgebracht hat, und nicht ein vollständig getrenntes Objekt. Ihr Projekt Neural Zoo ist eine Recherche darüber, wie Kreativität funktioniert. Computersehen und maschinelles Lernen könnten eine Brücke zwischen uns und einer spekulativen „Natur“ schlagen, die nur durch ein hohes Maß an parallelen Berechnungen zugänglich ist.
Kuratiert von Regine Rapp & Christian de Lutz