Als Venedig seine Bedeutung als Seemacht verliert, beginnt es, sein Hinterland, das heutige Prosecco-Gebiet, zu entwickeln. Ein Essay zur venezianischen Weinkultur …
„Fragt man mich, was ich am Land tu, antworte ich: Nur wenig.“
Leon Battista Alberti (1404-1472) zitiert den römischen Dichter Marcus Valerius Martialis, genannt Martial (40-103/04)
Etwa 80 Kilometer nördlich von Venedig liegt das Ursprungsgebiet und die Heimat des Prosecco. Inmitten einer idyllischen Hügellandschaft wächst hier der Wein für den Prosecco aus der Rebsorte Glera. Die Weingärten dafür liegen oberhalb der weiten venezianischen Po-Ebene und schmiegen sich eng an das Dolomitenmassiv im Norden. Die Region macht schon einen etwas alpinen Eindruck mit ihren steilen und kargen Abhängen, auf denen die Reben wachsen. Der Boden ist ein durchlässiger Lehm-Kalkboden und bildet einen idealen Untergrund für Reben, während die Fallwinde aus den Bergen für kühle Nächte in der mediterranen Gegend und für ausreichend Säure und Frische in den Trauben sorgen.
Prosecco jedoch wird inzwischen nicht nur in dieser idyllischen Hügellandschaft produziert, sondern in einem ausgedehnten Gebiet, das sich über Venetien bis ins Friaul erstreckt. „Prosecco“ war lange der Name für eine Rebsorte, zum Schutz vor Plagiaten änderten die Produzenten im Jahr 2009 den Namen der verantwortlichen Rebsorte jedoch in „Glera“ und registrierten deren ursprünglichen Namen „Prosecco“ als Bezeichnung für das Weinanbaugebiet: „Prosecco“ ist also seither nicht mehr der Name einer Traubensorte, sondern bezeichnet das Produktionsgebiet – das in diesem Zusammenhang auf Gebiete im Friaul erweitert wurde. Von dort stammt auch der neue Name „Glera“: Er fungierte im Friaul schon immer als Synonym und stammt aus einer kleinen Region in der Nähe von Triest, in der auch eine Ortschaft existiert, die „Prosecco“ heißt. Wein wurde dort schon von den Römern produziert (sie nannten die Ortschaft „Pucinum“ und den Wein „vinum Pucinum“) – aber „Prosecco“ dürfen die Winzer der Region ihren Schaumwein erst neuerdings nennen.
Während die Weinproduktion schon wesentlich älter ist, wird der Schaumwein Prosecco im Veneto erst seit dem Jahr 1876 produziert. Seit diesem Jahr kommt eine Methode zur Anwendung, die sich „Metodo Italiano“ oder „Metodo Martinotti“ nennt und von Antonio Carpenè als „Metodo di Spumantizzaione Conegliano Valdobbiadene“ eingeführt wurde. Er gilt somit als Begründer des italienischen Schaumweines Prosecco.
Bei der von Carpenè eingeführten Methode zur Schaumweinproduktion handelt es sich um eine sogenannte Tankgärung, bei der neben echtem Schaumwein (spumante) auch nur leicht perlende Versionen (frizzante), mit weniger Kohlensäure, erzeugt werden. Im Unterschied zur traditionellen Flaschengärung wie bei Champanger, findet zwar auch hier eine zweite Gärung des Weines aus der Glera-Traube statt, allerdings in einem geschlossenen Drucktank, der die im Gärungsprozess entstehende Kohlensäure auffängt. In diesem Tank wird die Gärung etwas früher als bei Champagner durch Kühlung unterbrochen. Dadurch wird nicht der ganze Zucker von der zugegebenen Hefe in Alkohol umgewandelt, weshalb Prosecco etwas süßer schmeckt. Anschließend wird dann die Hefe, die die zweite Gärung in Gang gesetzt hat, herausgefiltert (es findet also kein langer Hefekontakt statt, entsprechend schmeckt man bei Prosecco, anders als bei Champagner, auch keine Hefe- oder Briochearomen) und der Schaumwein unter Druck in Flaschen abgefüllt. Durch das Kühlen und Filtern wird versucht, die blumig-fruchtigen Aromen der Glera-Traube zu bewahren. Neben diesem fruchtigen Charakter hat Prosecco typischerweise auch immer etwas mehr Süße als Champagner oder Sekt, dafür eine etwas mildere Kohlensäure.
Mit der Gesetzesänderung von 2009 verhinderte man, dass Prosecco auch in anderen Regionen hergestellt werden kann, denn seither darf der Schaumwein nur noch unter kontrollierten Bedingungen in neun genau umrissenen Provinzen erzeugt werden, die zur „Geschützten Herkunft“, DOC, aufgewertet wurden. Das bedeutet, dass nur noch der Most von Glera-Trauben aus diesen neun Provinzen zu „Prosecco“ verarbeitet werden darf. Die DOC Prosecco umfasst dieses Gebiet.
Innerhalb der neun Provinzen des Proseccogebietes gibt es verschiedene geschützte Herkunftsbereiche für den Schaumwein, die wichtigste ist sicherlich die DOCG Conegliano-Valdobbiadene, die das ursprüngliche Kernland, die Heimat des Prosecco zwischen den Ortschaften Conegliano und Vadobbiadene. Hier gelten noch strengere Vorschriften für die Herstellung eines Prosecco als in der DOC Prosecco.

Blick über die idyllische Hügellandschaft des Prosecco-Gebietes in Venetien
© Italy Cycling
Die hügelige Region der DOCG Conegliano-Valdobbiadene befindet sich in der Provinz Treviso und gehört seit 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Insgesamt 15 Gemeinden befinden sich hier mit 180 Kellereien, die etwa 7.500 Hektar Rebfläche bewirtschaften. Die Rebsorte Glera wächst hier in einer von den Venezianern als „la marca gioiosa“ („freudvolle Gegend“) genannten Region, jedoch auf steilen Kalksteinhängen, weshalb man auch von „viticultura eroica“, „heldenhaftem Weinbau“ spricht.
Bewirtschaftet wird das traditionsreiche Rebland von Weinbauern mit kleinen Parzellen, oft nur wenige Hektar oder noch kleiner, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie verarbeiten die Ernte nicht selbst, sondern verkaufen sie an Kellereien, die die Trauben zu Prosecco weiterverarbeiten. Diese Prosecco-Händler haben sich hier auf dem Land niedergelassen, nachdem Venedig seit dem Ende des 15. Jahrhunderts seinen jahrhundertelangen Einfluss im Mittelmeerraum zu verlieren beginnt. Endgültig zu Ende geht die venezianische Epoche zwar erst mit der Niederlage gegen die Osmanen auf Kreta 1669, aber schon vorher haben sie damit begonnen, ihr Hinterland, die Terra ferma, systematisch zu kultivieren und zu bewirtschaften. Es ist der Beginn des Weinbaus im Veneto …
Venedig und der Wein
Heute blickt man auf eine jahrhundertealte Weinbautradition in Venetien zurück, zunächst jedoch war Venedig keine Territorialmacht, sondern eine Lagunenstadt, gegründet vielleicht im Jahr 421, vor 1.600 Jahren, wenn man Martino da Canal glauben schenkt, der das Chronicon Venetum, eine Kompilation von Legenden zur Entstehung Venedigs, in die offizielle Geschichtsschreibung übernommen hat. Weinbau ist in dieser vom Wasser geprägten Landschaft nicht möglich – und so war Venedigs größter Beitrag zur Weinkultur lange zweifelsohne nur das Kristallglas von Murano.
Die Weingläser von der Glasbläser-Insel, das sogenannte cristallo, war ein fester Bestandteil eines luxuriösen Tafelgeschirrs und wurde insbesondere bei repräsentativen Anlässen gerne verwendet. Vielleicht erst wegen Murano hat sich das Glas als Trinkgefäß für Wein weltweit etabliert. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich das persönliche, individuelle Glas im 16. Jahrhundert und in Venedig durchsetzte: Gab es bis dahin vornehmlich große Gläser oder solche ohne Standfuß, die dafür gedacht waren, in einer geselligen Runde herumgereicht zu werden, gewinnt nun in der modernen Kultur der Renaissance das Individuum, der Einzelne, insgesamt an Bedeutung, und damit setzten sich auch die nur für eine Person gedachten, kleineren venezianischen Weingläser aus Murano – wenn auch langsam – durch. Die Glasherstellung ist eines der wenigen Gewerbe, die in der Krise des 16. Jahrhunderts in Venedig noch expandieren.
Die Verbindung Venedigs zum Wein beschränkt sich jedoch nicht allein auf das Weinglas, sondern reicht noch viel tiefer: Wein war schon immer ein begehrtes Handelsobjekt im Mittelmeerraum, und da Venedig in der Zeit zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert die wichtigste Seemacht war, kontrollierte „La Serenissima“ , die Allerdurchlauchteste, auch den See- und damit den Weinhandel. Von der engen Verbindung Venedigs zum Weinhandel und dessen Bedeutung zeugen noch heute etliche Straßennamen in der Stadt: „Riva del vin“ zum Beispiel, „Calle del Malvasia“ oder „Ponte de la Malvasia Vecchia“.
Die „Riva del vin“, direkt an der Rialto Brücke gelegen, war gewissermaßen das Zentrum des Weinhandels in Venedig: Hier wurden Weine verschnitten, das war die Aufgabe der „Malvasiotti“, wie die Weinhändler damals genannt wurden, und in den Lagerhäusern dahinter gab es Küfer und andere Handwerker, die Geräte für die Weinproduktion herstellten. Meistens mußten die Fässer jedoch gar nicht umgeladen werden, sondern reisten auf denselben Schiffen weiter, oft sogar bis nach England.
Bei den anderen Straßennamen taucht immer wieder die Rebsorte Malvasia auf. Und zwar auch deshalb, weil es sich bei „Malvasia“ um eine Chiffre für süße beziehungsweise alkoholreiche Weine im allgemeinen handelt – Weine, die von den venezianischen Kolonien nach Venedig geliefert wurden. Insbesondere auf Kreta und Zypern pflanzte man die Reben, die man in der Lagune nicht kultivieren konnte. Die Straßennamen erinnern insofern an das einst weite Handelsnetz Venedigs: Obwohl man wohl mehrere verschiedene Sorten handelte, die Rede ist von bis zu 18 Rebsorten, hat sich „Malvasia“ als Synonym für den importierten Wein durchgesetzt und verweist auf die Weinanbaugebiete Venedigs auf den griechischen Mittelmeerinseln.
In ihrer Glanzzeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert herrschte die Republik Venedig über den gesamten östlichen Mittelmeerraum, sie war der Marktplatz, auf dem sich Orient und Okzident trafen, und auf dem auch der „Malvasia“ aus den besetzten Gebieten in Griechenland gehandelt wurde. Erstmals namentlich erwähnt wird er 1326 in einem Gesetzestext, in dem Qualitätskriterien für den Wein geregelt wurden. Den Namen selbst hat der Malvasia vermutlich von der seit langem unter venezianischer Herrschaft stehenden Stadt „Monemvasia“ im Südosten des Peloponnes, von wo aus er den mediterranen Raum eroberte und bald überall angebaut wurde (zum Beispiel auch auf den Liparischen Inseln bei Sizilien, wo es für die Rebsorte eine eigene Appellation gibt, die DOC Malvasia delle Lipari).
Kreta war seit dem Jahr 1204 eine venezianische Kolonie und wurde von Anfang an auch, mehr als bei den anderen Kolonien, von Venezianern besiedelt, so dass um das Jahr 1500 etwa 200.000 Menschen auf der Insel lebten. Seit dem 14. Jahrhundert wurde Malvasia verstärkt über Kreta gehandelt, das im Verlauf zu einem Schnittpunkt wichtiger Handelsrouten im Mittelmeer wurde. Wein war (neben Öl) das Hauptexportgut der Insel und kretischer Wein löschte auch nach der Übernahme der Herrschaft auf der Insel durch die Türken im Jahr 1536 (beziehungsweise endgültig im Jahr 1669) den Durst von Konsumenten im Niltal und der osmanischen Ägäis. Über die Ägäis regierte seit dem Tod Suleymans des Prächtigen im Jahr 1566 Sultan Selim II., der auch „Selim der Säufer“ genannt wurde – und obwohl der Konsum von Wein nicht im Einklang mit dem islamischen Gesetz steht, wurde er von einem Vertrauten, Joseph Nasi, der ein Monopol auf den Transport von Wein aus Kreta hatte, versorgt. (Nasi erhielt dafür den Titel „Herzog von Naxos“, das schon seit der klassischen Antike als Insel des Dionysos bekannt war.) Selbst die Ausbreitung des Islam setzte dem Weinanbau auf Kreta also kein Ende.
Zypern kam 1489 durch dynastische Verbindungen zur Republik Venedig. Beide Inseln waren für Venedig wichtig, weil sie die Versorgung sicher stellten. Da der Seemacht ein ausreichend großes Hinterland fehlte, beutete es die Mittelmeerinseln aus, insbesondere mit Getreide und Öl, aber eben auch mit Wein. Die einzige bedeutende Getreideanbaufläche auf dem italienischen Festland befand sich in Treviso, die Region ging für Venedig aber nach einem Konflikt mit dem Rivalen Genua Ende des 14. Jahrhunderts zunächst verloren.
Als Handelszentrum wurde Venedig zum Sammelbecken verschiedener Völker und Kulturen, aber auch von Konsumgütern und Trends – und Wein war ein solcher Trend: Er war die wahrscheinlich begehrteste Handelsware damals. Die Venezianer dominierten den Weinhandel, weil sie viele Mittelmeerinseln besetzten und dort auch selbst Wein produzierten wie auf Kreta. Und Malvasia war seit dem 13. Jahrhundert die vielleicht begehrteste Rebsorte weltweit und brachte der „Serenissima“ enorme Profite ein, denn in Venedig waren hohe Zölle fällig, bevor der Wein zu seinem Endabnehmer weiterreisen durfte. Er war für die Stadtepublik eine der Haupteinnahmequellen und spielte im Vergleich zu anderen Handelsware eine herausragende Rolle.
Und nicht nur in Venedig, auch in anderen Ländern war der Handel mit den sogenannten Südweinen wie Malvasia fest in italienischer Hand: Über Southampton gelangte der Wein beispielsweise nach London, wo er von italienischen Kaufleuten gehandelt wurde, also von „alien hands“, wie zeitgenössische Berichte verdeutlichen, was die Xenophobie der lokalen Händler erregte, ohne dass es jedoch zu gravierenden Vorfällen gekommen ist.
In Venedig selbst ließ der Handel eine erfolgreiche Kaufmannsklasse (cittadini) entstehen, stärkte aber auch die Macht der adligen Patrizierfamilien (nobili) – die einträglichsten Handelsrouten beherrschten sie. Nur den weniger einträglichen Handel überließ man den zur Mittelschicht gehörenden Kaufleuten – und dazu gehörte auch der Weinhandel. Etwa 200 Familien, darunter viele führende Kaufmannsfamilien, bestimmten, wohin die Galeerenkonvois segelten und mit welchen ausländischen Königen man Verträge abschloss. Allerdings blieb der importierte, alkoholreiche süße Malvasia, der als edelste Traube galt und eine Art Luxusgut darstellte, entgegen dem sonstigen Weinhandel, allein den Adligen und Patriziern vorbehalten: Alle Anderen, das gemeine Volk (populari), durften nur Weine aus dem Umland konsumieren oder solchen aus dem Stadtgebiet selbst, wo es ein paar vereinzelte Rebgärten gab, die teilweise noch heute bestehen (und der Kirche gehören, die damit immer noch Messwein machen). Die Rebsorten, die dort angebaut wurden, gab es auch im Hinterland von Venedig, insbesondere Verduzzo und Friulano.
Ein Wein aus der Region war der aus der im Veneto gelegenen Ortschaft Bassano del Grappa, das heute für seinen ausgezeichneten Grappa bekannt ist, aber auch er wurde als Südwein eingestuft. „Bassaner“ oder „Bassauner“, wie man den Wein nannte, wurde spätestens seit dem 14. Jahrhundert für das nahegelegene Venedig produziert, aber auch für den Export in den Norden. Der Weinhandel über die Alpen jedoch lag zunächst in den Händen der Trentiner und Tiroler, die in erster Linie den dort heimischen Vernatsch exportierten. Seit 1421 wurde dann versucht, diesem Monopol mit legislativen Einschränkungen zu begegnen.
Eroberung der Terra ferma
Etwa 400 Jahre lang, von Anfang des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, beherrschte Venedig als Seemacht den Weinmarkt und den Handel zwischen Orient und Okzident, es bescherte ihm ein goldenes Zeitalter. Nach der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 und dem Seeweg nach Indien durch den Portugiesen Vasco da Gama im Jahr 1498 sowie den verstärkten Expansionsbestrebungen des Osmanischen Reiches im östlichen Mittelmeer jedoch verlor Venedig ab dem Ende des 15. Jahrhunderts langsam seine Vormachtstellung im Orienthandel und insgesamt an Macht und Einfluss.
Die Venezianer sahen sich gezwungen, sich zunehmend aus dem lukrativen Levantehandel zurückzuziehen, auch wenn es weiterhin wichtig war, die Versorgung mit Getreide, Öl und Wein auch aus den venezianischen Mittelmeerbesitzungen sicherzustellen. Der Verlust Zyperns (1570) verringerte zwar den Umfang der venezianischen Schifffahrt, doch ein wiederhergestellter Frieden mit den Osmanen sorgte dafür, dass zumindest Kreta für den Augenblick noch unter venezianischer Herrschaft blieb.
Alle diese handels- und wirtschaftspolitischen Entwicklungen schmälerten Venedigs Bedeutung im Mittelmeerraum und es entsteht eine neue Phase der venezianischen Politik, die in der Besetzung des venezianischen Hinterlands, der Terra ferma, mündet. Schon Anfang des 15. Jahrhunderts wurden zunächst Treviso und die istrische Küste erobert, dann nach und nach das gesamte Gebiet des heutigen Veneto: Verona ergibt sich 1404 kampflos, ein Jahr Später wird Padua erobert, ebenso wie Vicenza. Im Konflikt mit den lombardischen Visconti besetzt Venedig Brescia, Bergamo und Crema, Mitte des 15. Jahrhunderts sogar den heutigen Süden des Veneto und schließlich auch Ferrara und sogar Regionen in Apulien.
Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Inselstadt zu einer der bedeutenden Landmächte der italienischen Halbinsel, das mit einem Gebiet von Bergamo im Westen bis Friaul im Nordosten und der Poebene im Süden ein beträchtliches Festlandimperium beherrschte. Der Hauptgrund, diese Territorien zu erobern, war zunächst, die Landwege von Venedig nach Nordeuropa zu kontrollieren und sich unabhängiger vom Seehandel und seinen Unwägbarkeiten zu machen. Denn mit dem Rückzug aus dem Orienthandel erlangten die Handelsrouten nach Mittel- und Nordeuorpa Bedeutung, und zwar nicht nur die See-, sondern ebenso die Landwege. Damit jedoch stellte sich Venedig gegen die Interessen der mächtigen Habsburger und auch den König von Frankreich, Ludwig XII., der inzwischen die Lombardei beherrschte. Sie verbünden sich mit anderen europäischen Mächten in der „Liga von Cambrai“ gegen die Venezianer.
Im Jahr 1509 brach der Krieg aus, Padua wurde schnell vom Feind besetzt und im Laufe des Krieges mehrfach zurückerobert und erneut besetzt, genauso wie die anderen Städte. Padua war größer als Vicenza, das mit seinen 20.000 Einwohnern zu den kleinsten Städten der Republik zählte, die Kapitale Venedig wiederum mit etwa 150.000 Einwohnern zu den größten Städten Europas zählte. Venedig allerdings hatte keine Universität, und so avancierte Padua mit seiner alten Universität zum geistige Zentrum der Republik Venedig.
Der Verlust der Stadt sowie des Festlandes traf die Republik sehr, zum Trauma für Venedig wurde dabei die verlorene Schlacht von Agnadello im Mai 1509, die schon in der frühen Phase des Krieges das Ende der venezianischen Expansion und die Entscheidung des Krieges zugunsten der Liga bedeutete. Zwar konnten die Venezianer die Herrschaft über diese Besitztümer im Laufe der turbulenten nächsten Jahre zurück erringen, dennoch blieb als Ergebnis dieses Schicksalsschlages von Agnadello nichts mehr übrig von der einstigen Macht der stolzen Republik. Venedig wurde zu einer Stadt, wie es ein italienischer Historiker formulierte, mit dem Gefühl des „plötzlichen Verlustes ihres Gleichgewichts, unsicher in der Einschätzung ihrer eigenen Energien“.
Der politische Niedergang Venedigs, der Verlust der Vormachtstellung als See- und Handelsstadt, war ein historischer Wendepunkt für die Republik und hatte für die Venezianer insbesondere folgende beiden Konsequenzen: Zum einen führte der Rückzug aus dem Levantehandel zur Entwicklung der Landwirtschaft und des Weinbaus im venezianischen Hinterland, dem Veneto. Andererseits jedoch, gewissermaßen als Schattenseite der Geschichte, wurde der Niedergang für die Patrizier Venedigs zu einer Zeit der ungehemmten Lebenslust und des Lasters (in dieser Zeit entstand der venezianische Karneval, der fast ein halbes Jahr andauerte), wobei diesem Sinnenreichtum gleichzeitig die Suche nach einem Sündenbock für den moralischen Niedergang, den man für den politischen verantwortlich machte, gegenüberstand: Man fand ihn in den venezianischen Juden. Zeitgleich wie in der Terra ferma die Natur in einen Garten geschlossen wurde, sperrte man ab 1516 die Juden der Stadt in ein Ghetto.

„ein kleydung wider den todt“ – Ein Bild nicht vom venezianischen Karneval, sondern von einem jüdischen Arzt in der Ausstattung zur Behandlung von Pestopfern. In den Schnabel wurden Kräuter gestopft, die den Arzt vor Pestdämpfen schützen sollten, umgekehrt aber auch vor dem Atem des jüdischen Arztes selbst.
Shakespeares Kaufmann von Venedig im jüdischen Ghetto
Seit Mitte des 15. Jahrhunderts zeigt sich ein Rückzug Venedigs aus dem Levantehandel. Diesen Handel hatten traditionell die venezianischen Patrizier dominiert, neben ihnen waren jedoch auch andere Geschäftsleute aktiv, vor allem die Juden, die sich in Venedig niederließen, wie der Historiker David Abulafia in seiner Geschichte über „Das Mittelmeer“ (2013) schreibt. Das waren zum einen Juden aus Deutschland, die seit der Zeit um 1300 vor den schweren Pogromen hierher geflüchtet waren, aber auch sephardische Juden, die nach ihrer Vertreibung aus dem von den Mauren zurückeroberten Spanien vertrieben wurden. Zuletzt flüchteten in Zusammenhang mit der Niederlage von Agnadello noch Juden aus der Region in die Stadt, sodass sie eine gemischte Gesellschaft waren. Die Juden konnten hier mit Erlaubnis der Stadtregierung als Arzt arbeiten, dem einzig freien Beruf der ihnen offenstand, oder sich aber auf das Pfandleihgeschäft konzentrieren.
Davon handelt auch Shakespeares Kaufmann von Venedig (1596/97): Der reiche jüdische Geldverleiher Shylock hat Bassanio für die Zeit von drei Monaten 3.000 Dukaten geliehen, und Bassanios Freund Antonio hat sich verbürgt, das Darlehen an Shylock zurückzuzahlen. Sollte Antonio allerdings nicht zahlungsfähig sein, will Shylock ein Pfund von seinem Fleisch als Pfand einfordern, so wird das vertraglich vereinbart. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Antonios Schiffe, in denen sein gesamtes Vermögen steckt, zwar nicht von den Osmanen versenkt werden, aber in einem Sturm zerschellen. Der Jude Shylock fordert nun sein Recht und alle – vornehmlich von christlichem Mitgefühl und seelischem Adel erfüllten – Appelle, Gnade vor Recht kommen zu lassen, bleiben wirkungslos.
Über mehrere Akte baut Shakespeare die dramatische Spannung des Stücks, ob Tragödie oder Komödie ist ungewiss, zwischen der Ehre des christlichen Antonio und den vertraglichen Rechten des Juden Shylocks auf, bis schließlich der gordische Knoten durchschlagen wird, indem Shylock zwar das Recht auf ein Pfund Fleisch zuerkannt wird – aber keins auf Blut. Dem Spruch ergibt sich Shylock und der Konflikt ist, wenn schon nicht moralisch, so doch zumindest juristisch gelöst – man ist gewissermaßen in der Moderne angekommen.
Shakespeare scheint hier, bemerkt der Soziologe Richard Sennett in „Fleisch und Stein“ (1997), die neue bürgerliche Macht der ökonomischen Kräfte dazustellen: „Die Geldrechte Shylocks regieren, der Staat kann nichts gegen sie ausrichten. Das Stück bringt die neue Bedeutung der ökonomischen Kräfte in der absoluten Verbindlichkeit des frei geschlossenen Vertrages auf die Bühne.“ Obwohl der bürgerliche Reichtum Venedigs auf dem Vertrag gründete, brachte die ökonomische Macht den Juden keine Freiheit, denn anders als bei Shakespeare dargestellt, lebten die Juden in Venedig seit 1515 in einem abgeschlossen Bereich im Norden der Stadt: dem „Ghetto Nuovo“, der „Neuen Gießerei“ (Ghetto bedeutete ursprünglich „Gießerei“, von gettare, „gießen“).
Im Ghetto wurden die Juden mit Einbuch der Dunkelheit eingeschlossen und die Zugbrücken zum Ghetto hochgezogen. Anders als beispielsweise in Rom, waren sie nicht gezwungen zum Christentum zu konvertieren, sie wurden hier praktisch sich selbst überlassen, auch wenn sie vor christlichen Übergriffen geschützt waren. War ihnen Grundbesitz ansonsten verwehrt, konnten sie im Ghetto zumindest Synagogen errichten. Das allerdings führte laut Sennett auch dazu, dass sich die jüdische Identität „in dieser Geographie der Unterdrückung“ verfing: Die jüdische Identität wurde ihm zufolge durch den Raum des Ghettos geschaffen. (1541 wurde das Ghetto erweitert und 1633 ein drittes Ghetto eröffnet.)

Michelangelo Buonarroti (1475-1564), Bildausschnitt aus „Die Erschaffung Adams“, dem zentralen Werk zur Genesis aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle im Vatikan in Rom
Dass man die Juden im Ghetto einschloss, lag laut Richard Sennett darin begründet, dass man sie „mit verderblichen körperlichen Lastern“ identifizierte, insbesondere mit der seit 1494 in Italien grassierenden Syphilis. Gegen diese schreckliche, tödliche Geschlechtskrankheit gab es kein Gegenmittel, bekannt war nur, dass sie sexuell übertragen wurde, möglicherweise infizierte man sich bereits, wenn man den Körper eines Juden nur berühre. Das Bild der Berührung spukt in allen biblischen Darstellungen von Sexualität herum.
Die Berührung, so führt Sennett aus, ist eine Körpererfahrung, die in der christlichen Kultur tief verwurzelt ist: „Im Mittelalter machte die Imitation Christi die Menschen mitfühlender [zu dieser Zeit änderte sich auch die Darstellung des gekreuzigten Jesus: Ist auf dem frühmittelalterlichen Kruzifix noch ein siegreicher, triumphierender und gekrönter Jesus mit offenen Augen zu sehen, so dominiert von nun an, beim gotischen Kruzifix, ein leidender Jesus mit geschlossenen Augen und sich krümmendem Körper], sie waren sich des Körpers, besonders des leidenden Körpers, stärker bewußt. Die Angst, Juden zu berühren, stellte die Grenze dieser Vorstellung von einem gemeinsamen Körper dar; jenseits der Grenze lag eine Bedrohung – eine Bedrohung, die sich verdoppelte, weil die Unreinheit des fremden Körpers mit Sinnlichkeit verbunden wurde, mit der Verlockung des Orients: eines von christlichen Zwängen befreiten Körpers.“
Da die Juden ökonomisch zu bedeutend für die Stadt Venedig waren, konnte man sie nicht vertreiben, ihre Segregation beziehungsweise Verbannung ins Ghetto jedoch hielt sie zumindest körperlich auf Distanz. Außerdem folgte man dabei der 1179 auf dem Laterankonzil aufgestellten Forderung, die Juden daran zu hindern, unter Christen zu leben. Deshalb errichtete man das Ghetto im Gießereiviertel („Ghetto“) auf einer Insel zwischen Kanälen (während das Gewebe in anderen Städten eine solche Isolierung erschwert).
Bis Agnadello war die Sinnlichkeit ein zentrales Element im venezianischen Selbstverständnis, insbesondere der Patrizier, und christliche Einschränkungen waren in den Tagen des Überflusses stark gelockert worden. Gewürze aus dem Levantehandel, die die Stadt Reich gemacht haben, galten als Aphrodisiaka und die Prostitution blühte. Dann jedoch erließ der Senat einen Erlaß, „um den Zorn unseres Herrn zu besänftigen“, wie man schrieb. Es war ein Gesetz gegen die Sinnlichkeit, wie Sennett meint: „Dieser Erlaß definierte die moralische Reform im Sinne einer neuen Körperdisziplin. Die Verfügung von 1512 suchte der offenen Zurschaustellung von Sinnlichkeit ein Ende zu machen“. Kleidung, die die körperliche Attraktivität betonte, wurde für alle Geschlechter verboten.
Was für alle galt, traf in erster Linie die venezianischen Patrizier: Die nobili standen für Laster und moralischen Verfall, insbesondere gegen sie richtet sich das Gesetz gegen die Sinnlichkeit, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmachten, die wohlhabenden Bürger, die cittadini, waren etwa nochmal so viele, während die Juden zu dieser Zeit nur etwa 1.500 bis 2.000 Menschen zählten. „Damit konzentrierte sich die Säuberung“, führt Sennett aus, „auf kleine Gruppen der Oberschicht und ein kleines Element der Unterschicht. (…) Wie oft bei Verfolgungen, wurden Minoritäten symbolisch bedeutender gemacht, als es ihrer tatsächlichen Zahl entsprach.“
Es ist allerdings ein bisschen wie in Shakespeares Drama: Bei ihm sind die Patrizier politisch unbedeutend dargestellt, sie empfinden das aber nicht als tragisch, sondern im Gegenteil als Freiheit. Es ist eine Freiheit, die ihnen auch bequem erlaubt, die neue moralische und physische Enge der Stadt zu verlassen und sich aufs Land zurückzuziehen.
Landleben nach Petrarca
Als im 15. Jahrhundert die venezianische Expansion an ihre Grenzen stieß, richtete sich der Blick der Patrizier der Lagunenstadt, die durch den Weinhandel reich geworden sind, weg von der Adria auf das venezianische Hinterland, während gleichzeitig der Wohnraum in der Stadt immer knapper wurde. Venedig lag mitten in der Lagune, sie war dicht bevölkert und ungesund. Um diesen Bedingungen vorübergehend zu entkommen suchten sie ab der Zeit um 1540 nach neuen Investitionsmöglichkeiten und steckten beträchtliche Summen in die Entwicklung der Terra ferma, deren Rolle sich dabei gravierend änderte: Man wollte sie in einen Garten für Venedig verwandeln und investierte in den Ausbau des Festlandes, in Landgewinnung sowie Bewässerungskanäle und Entwässerungssysteme. In dem Maße, wie Venedig wuchs, stieg der Bedarf an Nahrungsmitteln und damit auch ihr Preis, und das flache, fruchtbare Land der Terra ferma eignete sich ideal für die Landwirtschaft, wenn es ent- und bewässert wurde. Grundbesitz bot zudem eine gute Absicherung gegen Inflation.
Und schließlich steht außer Zweifel, dass die Kaufmannselite Venedigs die Vorstellung reizvoll fand, einen Teil des Jahres auf dem Land in einer angemessenen, prunkvollen Villa zu verbringen. Also ließen sie sich dort Landsitze, ihre Gutshäuser, errichten. Es wurde Weizen angebaut und Reben – und mehrere Jahrhunderte lang herrschte unter den venezianischen Dynastien geradezu eine Konkurrenz, wer den besten Wein produziert. Die Produktion steigerte sich von Generation zu Generation …
Der Landsitz diente den venezianischen Patriziern insbesondere auch als ländliches Refugium, als Rückzugsort. Dieser Idee hing bereits Francesco Petrarca (1304-1374) an: Der Dichter ließ sich außerhalb von Padua, in Valchiusa, ein kleines (heute noch existierendes) Haus bauen und hatte dort, umgeben von Olivenhainen und einem Weinberg, fernab von städtischer Unruhe, die letzten fünf Jahre seines Lebens verbracht.
Petrarca war schon immer ein Anhänger der Einsamkeit und Zurückgezogenheit, des „Einsamen Lebens“ (Vita solitaria), wie er selbst einen seiner bis zum 16. Jahrhundert grundlegenden Texte betitelt hat. Er beschreibt darin ein Lebensmodell, das zwar nicht das Alleinsein bevorzugt, sondern die ausgewählte Gesellschaft der Sprache an einem natürlichen Ort, an dem sich der Geist in der humanistischen Würde (dignitas) erbauen und schützen kann. Denn die Würde des Menschen wird „um so weniger beeinträchtigt, je mehr sie sich an einer von Leidenschaften unberührten Natur erfreuen kann“, sagt der Dichter der Canzoniere (und unterscheidet sich hier beispielsweise von Jean-Jacques Rousseau, der in der unberührten Natur das Zivilisationsferne erblickte).
Für Petrarca wird der Garten zu einer Art Paradies des Geistes oder Garten der Wortes – zu einem Theater, das der literarischen Muße gewidmet ist. Entsprechend schreibt er: „Das gefühllose Leben in der Stadt und die süße Liebe zum freundlichen Land haben in mir den Wunsch geweckt, die klaren Wasser, die wundervolle Quelle wiederzusehen, der den Dichtern Sporn ist und ihrem Stern Flügel verleiht. Hier, wo ich mich nicht scheute, die Massen des Berges zu bewegen und umzuwälzen und ein ödes Feld zur Kultivierung geeignet zu machen, könntest du heute einen Garten sehen, in dem die verschiedensten Blumen wachsen, denn die Natur unterstützt unsere Arbeit.“
Auf der einen Seite schaffen die Beobachtung und Liebe zur Natur die Voraussetzungen für eine Umschreibung dieser Natur in ein Paradies des Geistes oder einen Garten des Wortes, andererseits verfügt Petrarca aber auch über das Vermögen, tatsächlich einen Garten anzulegen und die Landschaft nach seinen ästhetischen Vorstellungen zu verwirklichen. Er teilte seine Gärten dabei in zwei Abschnitte: in den hortus ulterior und den hortus citerior, den jenseitigen und den diesseitigen Garten. Auch beim Park Valchiusa war das der Fall. Jeder der beiden Bereiche wurde auf eine andere Weise genutzt, und wenn in dem einen Teil – der seine Bezeichnung „Garten“ eher verdiente – Pflanzen wuchsen, die schön aussahen, blühten und dufteten, so befanden sich im weiter entfernt liegenden anderen Teil – dem „Nutzgarten“ – Obstbäume, Weinreben verschiedenster Sorten, und andere Pflanzen wie Trauerweiden, die man erst kennenlernte, als sie von China nach Europa eingeführt wurden; hier zog Petrarca aber auch Rüben und Petersilie und versuchte durch Experimente festzustellen, welche Jahreszeiten und Mondphasen dazu am günstigsten sind.
Aus unzähligen solcher praktischer Experimente und Beobachtungen entwickelte sich die Gartenkunst im Veneto. Petrarcas Aufteilung des Gartens wurde dabei während der ganzen Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zum wesentlichen Kriterium des Renaissance-Gartens.
Ist der Garten für Petrarca noch das Ideal für sein einsames, poetisches Leben, ist die Landschaft der Terra ferma etwa hundert Jahre später zunächst eine unter Patriziern beliebte Alternative zum Stadtleben. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Gutshäusern und Landhäusern, die nur der Sommerfrische dienten, wie beispielsweise überwiegend die Villen am Ufer der Brenta, einem kleinen Fluss, dessen Ablagerungen die Lagunenlandschaft schufen, die schließlich als „Venedig“ besiedelt wurde und der von Venedig aus gut zu erreichen war (der Canal Grande ist die Verlängerung eines nördlichen Flussarmes des Brenta). Auf diesen Villen befand man sich zwar auf dem Land und konnte das Leben genießen – gleichzeitig jedoch war man Nahe genug an der Stadt, um den Wirtschaftsmotor der Republik Venedig am Laufen zu halten.
Sieht man von solchen Sommerresidenzen ab, entstehen ab dem Ende des 15. Jahrhunderts überwiegend Gutshäuser in Venetien. Sie basieren auf der regionalen Wirtschaft, der Landwirtschaft, so dass sie hinsichtlich Standort und Struktur immer auch durch ihre funktionellen Beziehungen zum Umland geprägt sind. Zu ihnen gehören entsprechend auch Wirtschaftsgebäude, denn diese Villen dienten ihren Besitzern zwar für kulturelle und gesellschaftliche Vergnügungen, es waren aber gleichzeitig eben auch landwirtschaftliche Betriebe. (Die Landhäuser auf diesen Landsitzen aus der Renaissance werden heute üblicherweise als Villen bezeichnet, das aber, so bemerkt der Architekturprofessor Witold Rybcynski in seinem Buch über Andrea Palladio, „Das vollkommene Haus“ aus dem Jahr 2006, entspricht einer modernen Verwendung des Begriffs. Im 16. Jahrhundert bezog sich la villa auf das gesamte Gut; das eigentliche Haus nannte man la casa padronale, Herrenhaus, oder schlicht la casa di villa.) So wurden damals große Ländereien vom Meer bis hinauf zu den Alpen quasi kolonisiert, praktisch jede vermögende venezianische Familie investierte in einen solchen honorigen Landsitz.
Die Villen wurden errichtet einerseits um eine Alternative zum städtischen Palazzo in der feuchten Lagune zu besitzen, überwiegend aber um die teilweise brachliegenden Landstriche wirtschaftlich zu erschließen. Ideale Bedingungen für einen Architekten: Tausende solcher Villen beziehungsweise Gutshäuser entstehen in dieser Zeit – die berühmtesten vielleicht von Andrea Palladio (1508-1580), der mit seinem klassizistischen Baustil der Architektur weltweit richtungsweisende Impulse geben sollte.

Angebliches Portrait von Andrea Palladio von Francesco Boldrini, (?-1825), der es Ende des 18. Jahrhunderts als ein Gemälde des mit Palladio befreundeten Malers Giovanni Battista Maganza fingierte
Andrea Palladio
Palladio wird 1508 als Andrea di Pietro della Gondola in Padua geboren, er wächst allerdings in Vicenza auf. Er entstammt einer alteingesessenen Handwerkerfamilie, entsprechend lernt auch er selbst zunächst den Beruf des Steinmetz, bevor er beginnt, nachdem er sich etwa zwölf Jahre lang auf die Steinhauerei spezialisiert hatte, sich mit der Baukunst zu beschäftigen.
Beim Bau eines Landhauses wird der adlige Mäzen Giangiorgio Trissino (1478-1550) auf den begabten Mann aufmerksam und beginnt ihn zu fördern. Trissino galt als einer der führenden Renaissance-Humanisten Viczenzas und das Gebäude, das er umbauen lassen wollte, war ein Kastell, eine mittelalterliche Festung, aus dem 14. Jahrhundert mit vier Ecktürmen und einer Hauptfassade mit Balkon oder Loggia, die im gotischen Stil verziert war. Es war ein typisches Kastell, wie es im gesamten Festlandgebiet der Republik Venedig, der Terra ferma, verbreitet war. (Man kann sich das wohl wie bei Romeo und Julia vorstellen, deren Geschichte ihren realen historischen Ursprung unweit von Vicenza in zwei Castelli aus der selben Zeit hat.) Trissino wollte das Kastell all`antica, also in einem der Antike nachempfundenen, klassischen Stil renovieren und dabei die gotischen Elemente entfernen lassen. Dieser klassizistische Stil ist im Veneto bis dahin noch nicht verbreitet und insofern eine Novität.
Auch wenn es letztlich nicht ganz geklärt werden kann, hat die Begegnung zwischen Trissino und Andrea die Pietro della Gondola ziemlich sicher auf dieser Baustelle stattgefunden, es muss jedenfalls 1537/38 geschehen sein. Von Trissino bekommt er jedenfalls den Namen „Palladio“. Das lateinische palladius bedeutet „weise, kenntnisreich, gelehrt“ und leitet sich von Pallas Athene her, der griechischen Göttin der Weisheit und der Künste.
Palladio beschäftigt sich in dieser Zeit bereits intensiv mit den Schriften des antiken Architekten Vitruvius, die für die Baukunst der Renaissance wegweisend sind und 1521 erstmals als gedruckte Ausgabe erscheinen (erst 1415 ist eine mittelalterliche Kopie des vitruv`schen Manuskripts aufgetaucht, und seit Erfindung des Buchdrucks hat sich Venedig zu einem Zentrum dafür entwickelt). Palladio wird später sogar die Bücher des Vitruv aus dem Lateinischen ins Italienische übersetzen, und daran angelehnt selbst seine „Quattro Libri dell`Architettura“ („Vier Bücher über die Architektur“) veröffentlichen. Er schreibt dazu: „Und da ich seit jeher der Ansicht war, daß die alten Römer – wie auch in vielen anderen Dingen, so auch im Bauen – all jenen, die nach ihnen kamen, um vieles voraus waren, zählte ich Vitruv zu meinem Meister und Führer. Er ist der einzige antike Schriftsteller, der über diese Kunst geschrieben hat.“
Überhaupt ist die Bedeutung des Buchdrucks für die Renaissance nicht zu unterschätzen. Wie der englische Historiker Peter Burke in seinem Essay „Die Renaissance“ (2009) feststellt, war die Renaissance insgesamt „eine städtische und keine ländliche Bewegung“ und bis dahin eine Angelegenheit für wenige: gebildete Humanisten, die herrschende Klasse der Patrizier und Fürsten sowie handwerklich begabte Künstler. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks entstand eine etwas breitere Öffentlichkeit und Ideen beziehungsweise intellektuelle Veränderungen verbreiteten sich rascher. Erst dadurch wurde es bei den Patriziern Venedigs zur Mode, wie Burke ausführt, „Stadthäuser und Landvillen im `alten´ Stil zu bauen“, all`antica. Dabei trat der neue Baustil, wie Burke bemerkt, „in Venedig erst mit zeitlicher Verzögerung auf und wurde nur in modifizierter Form übernommen“, das gilt auch für Palladio.
Über Trissino machte Palladio in Padua bald die Bekanntschaft mit dem Architekten Sebastiano Serlio (1475-1554?), der ihn vermutlich im Anfertigen von Zeichnungen unterrichtete und 1537 den ersten Band seines Werks „Tutte l`operre d`architettura, et perspectiva“ („Von der Architektur“) veröffentlichte. Palladio konnte hier die Antike studieren – bevor er sich im Jahr 1541, er ist inzwischen 32 Jahre alt und seit 6 Jahren verheiratet, erstmals auf den Weg nach Rom macht, um die faszinierende antiken Gebäude vor Ort zu erleben.
Wie bereits andere Architekten vor ihm, war Palladio mit dem Problem konfrontiert, dass keine römischen Landhäuser oder Villen die Geschichte überlebt hatten, es standen nur noch ihre Ruinen. Deshalb griff man beim Bau der Renaissancevillen bisweilen auf ältere römische Beschreibungen zurück, die beispielsweise Plinius der Jüngere in seinen Briefen von seinen Landhäusern und Gartenanlagen gegeben hatte. Palladio nun probierte eine andere Methode und versuchte, seine unzähligen angefertigten Skizzen einer Ruine zu einem Gebäude zu vervollständigen und der Ruine so auf dem Papier eine Gestalt zu geben.
Zurück aus Rom, lernte Palladio Michele Sanmicheli (1484-1559) kennen, der von den Venezianern den Auftrag erhalten hatte, die bei der Eroberung der Terra ferma zerstörten Ortschaften instand zu setzen und in Verona mehrere Palazzi gebaut hatte. Insbesondere diese Palazzi sollten Verona stilistisch prägen: Sanmichelis Stil war nicht von Harmonie und Ruhe geprägt, sondern dramatisch: Indem er die klassischen Regeln frei interpretierte schuf er Palazzi, die nach oben hin einem manieristischen Klassizismus folgten, den er im Mauerwerk des Erdgeschosses jedoch mit einem groben rustica-Stil, also offenem Sichtmauerwerk, kombinierte. So entstanden ausgesprochen plastisch wirkende Gebäude, die eine „stark szenographische, emotionale Wirkung“ hatten, wie Witold Rybczynski schreibt. Palladio dienten diese Palazzi später vielleicht als Vorbild für sein Bemühen, wie Rybcynski sagt, „ein ausgewogenes Verhältnis von Eleganz und Rustikalität zu schaffen und Stadtmenschen – und städtisches Leben – auf das Land zu bringen“.
Einige Jahre später verschafft er sich 1549 nach einer Ausschreibung unter den führenden Architekten seiner Zeit den Auftrag, den zusammengebrochenen gotischen Palazzo della Ragione in Vicenza neu zu konzipieren. Die Arbeit an der von ihm so genannten „Basilica“ wird ihn bis zu seinem Tod immer wieder beschäftigen, doch hat er damit den Durchbruch geschafft und erhält von den Patrizierfamilien der Stadt, den nobili, stetig neue Aufträge. Fortan werden nach seinen Plänen im gesamten Veneto Villen errichtet.
Diese Villen waren von Palladio im den für das Veneto neuen Typ der Villa rustica, der Landvilla, nach altem römischen Vorbild gestaltet: eine perfekt verschmolzene Einheit von komfortablem Wohnhaus, funktionalen, aber ästhetisch ansprechenden Wirtschaftsgebäuden und harmonischer Gartengestaltung. Sie liegen verstreut in der (ehemals) ländlichen Umgebung in der Tiefebene Venetiens, nördlich von Venedig, insbesondere auch in der Umgebung von Vicenza. Allein hier baut er etwa zwanzig Landhäuser und Palazzi. Dabei hat er, darauf macht der Journalist Eberhard Fohrer in „Venetien“ (2011) aufmerksam, eine durchaus delikate Aufgabe zu bewältigen: Seit der Unterwerfung Vicenzas unter die Herrschaft Venedigs im 15. Jahrhundert können die einheimischen Patrizier ihren Einfluss ausschließlich in der Politik Vicenzas geltend machen, ihre Interessen sind dabei nur durch unbedingte Loyalität untereinander gewährleistet – jede Unstimmigkeit hätte nur der venezianischen Besatzungsmacht in die Hände gespielt. „Palladio musste also sowohl dem Wunsch der Bauherren nach Individualität genüge tun“, bemerkt Fohrer, „darf andererseits aber – zumindest nach außen hin – keinesfalls zu prachtvoll und ausgefallen bauen, um nicht gegen das Gleichheitsprinzip aller Adligen zu verstoßen“.
Palladio werden etwa 30 Villen zugeschrieben, davon sind 17 weitgehend intakt erhalten. Aber es sind nicht nur die Villen der Patrizier, die ihn beschäftigen, sondern er hat auch bedeutende Kirchenbauten geschaffen, in Venedig zum Beispiel „San Giorgio Maggiore“ gegenüber vom Markusplatz und „Il Redentore“ auf der Insel Giudecca. Sein letztes Werk wird 1580 das „Teatro Olimpico“ in Vicenza, doch wenige Monate nach Baubeginn stirbt er. Vincenzo Scamozzi (1548-1616) vollendet das Begonnene. Es handelt sich bei dem Theater vermutlich um den ersten überdachten Theaterraum in Europa. Der Zuschauerraum steigt stufenweise in einem Halboval an, die Bühnenkulisse von Scamozzi täuscht mit ihren drei Toren Tiefe vor und wurde seit der Eröffnung mit Sophokles „Ödipus“ im Jahr 1583 nicht verändert.
Palladio und der Garten
Der Garten einer Villa spielt bei Palladio eine grundlegende Rolle, was im zweiten der „Vier Bücher zur Architektur“ ersichtlich wird. Er nimmt hier die klassische Gegenüberstellung von der Stadt als dem Ort des Handels (negotium) und dem Land als Ort der Flucht vor diesem städtischen Leben und Treiben, welcher der Literatur, dem Vergnügen und der gelehrten Unterhaltung – insgesamt also der „Muße“ (otium) gewidmet ist. Dieser Funktion, die – wie aus dem einleitenden Zitat ersichtlich – seit Leon Battista Alberti verbreitet ist, fügt Palladio allerdings noch eine weitere hinzu, nämlich die der Verwaltung eines leistungsfähigen, landwirtschaftlichen Betriebes. Sie ist für die Region des Veneto spezifisch und spiegelt nach der Niederlage von Agnadello die wirtschaftliche Wende der Republik Venedig wider, die verordnet hatte, enorme Summen öffentlichen und privaten Kapitals in das Land, seine Trockenlegung und landwirtschaftliche Nutzung zu investieren.
Die landwirtschaftliche Nutzung schafft dabei gewissermaßen erst die Voraussetzungen zur Muße: Wie Palladio bemerkt, wohnt der Besitzer auf dem Land, um „seine Besitzungen im Auge zu haben und sie zu vervollkommnen sowie mit Fleiß und mit Hilfe der Kunst der Landwirtschaft sein Vermögen wachsen zu lassen“, weil gerade hier „hauptsächlich das private und familiäre Geschehen abläuft“. Aber auf dem Land ist auch der Ort, an dem „schließlich die von den Geschäften der Stadt ermüdete Seele Erfrischung und Trost findet und sich ruhig den Studien der Wissenschaft und der Kontemplation widmen kann.“
Diese beiden Faktoren müssen bei der Konzeption einer Villa stets beachtet werden. Entsprechend sollte der Ort einer Villa „in möglichst günstiger Lage zu den Besitzungen oder gar mitten in ihnen“ stehen. „Wenn man die Villa an einem Fluß errichten kann“, sagt Palladio, „ist dies eine sehr schöne und angenehme Sache“, weil die „Erträge zu jeder Zeit mit Booten in die Stadt gebracht werden können (…); abgesehen davon, daß er im Sommer Kühlung bringt und einen wunderschönen Anblick bietet. Mit größten Nutzen und Schmuck wird man den Besitz bewässern können, vor allem die Zier- und Küchengärten, die die Seele der Villa sind und der Zerstreuung dienen“.
Zur Villa gesellt sich ein Garten. Der Garten ist in seinen Dimensionen bisweilen maßvoll. Er ist der Rahmen für das Gebäude: Palladios Villen waren nie Solitäre auf dem flachen Land, sondern wurden von ihren Gärten gerahmt: Seine Gartenanlagen waren stets von einer Einfriedung eingeschlossen, auch wenn diese mitunter wenig auffällig als Graben mit einem Mäuerchen markiert war. In einigen Fällen, von Palladio bewusst so konzipiert, begrenzt auch eine öffentliche Straße das Landgut. Dennoch waren sie auf die Landschaft hin offen, man sollte von ihnen, wie Palladio sagt, „weit sehen“ können, einen weiten Blick haben in eine Landschaft, bei der es sich bisweilen um eine Agrarlandschaft handelte, die insbesondere auch mit Weinreben bepflanzt ist, so weit das Auge reicht.

Blick vom Neptunbrunnen auf Andrea Palladios Villa Barbaro
Villa Barbaro
Palladios Stil, den er in seinem 1570 erschienenen Werk „Vier Bücher zur Architektur“ präzisiert, kennzeichnen eine strenge Klarheit und das Streben nach unbedingter Harmonie, ein gewisser Ordnungssinn und Schönheit. Gleichwohl jedoch musste ein Gebäude immer auch funktionale Aspekte erfüllen. Palladio selbst schreibt in diesem Zusammenhang: „Denn ein Gebäude, das nützlich, aber von geringer Lebensdauer ist oder aber stark und fest, ohne bequem zu sein, oder auch die beiden ersten Bedingungen erfüllt, aber jeder Schönheit ermangelt, kann nicht als vollkommen bezeichnet werden.“
Mit seinem klassizistischen, an der Antike orientierten Baustil schuf Palladio gleichermaßen repräsentative wie wohnliche Objekte für die venezianischen Patrizier und Kaufleute. Aber auch bei der Ausstattung sparte man nicht. So findet man einige der schönsten Freskenmalereien ihrer Epoche in diesen Landhäusern. Eines der besten Beispiele dafür ist die Villa Barbaro in der Ortschaft Masér – sie gilt als eines der Hauptwerke Palladios und als eine der schönsten Villen Venetiens.
Keine Villa Palladios trägt den Charakter eines Landhauses, der Villa rustica, so sehr zur Schau als die wenige Kilometer östlich von Asolo gelegene Villa Barbaro, auch als Villa Masér bezeichnet. Dabei liegt sie untypischerweise nicht, wie von Palladio vorgeschlagen, inmitten ihrer Ländereien, sondern an ihrem Rand, aber zumindest älteren römischen Aufzeichnungen von Columella folgend auf der halben Höhe eines Hanges der asolanischen Hügel im nördlichen Veneto, in der Region Treviso, an den südlichen Ausläufern der Dolomiten.
Heute liegt die Villa mitten im „Proseccogebiet“, der Montello und Colli Asolani DOC, etwa 10 Kilometer südlich von Valdobbiadene, zwischen Feldern und Weingärten. Je weiter man sich von der Villa entfernt, desto natürlicher und ländlicher wird das Ambiente. Durch diese Landschaft führt eine bereits von Palladio angelegte schnurgerade Allee, die zur Villa hin eine öffentliche Straße kreuzt und durch die davor angelegten Gärten leicht ansteigt, bevor sie schließlich an dem Treppenaufgang zur Terrasse endet.
Palladio schuf die elegante, lang gestreckte Villa in den Jahren 1557-58. Erbaut wurde sie im Auftrag der Brüder Daniele und Marcantonio Barbaro, zweier hochkarätiger venezianischer Politiker und Söhne des Gouverneurs von Verona, deren besonderes Interesse der Kunst galt. Sie wollten eine Villa, die einerseits das Zentrum eines straff organisierten landwirtschaftlichen Betriebs war, andererseits aber auch ihre Kultiviertheit widerspiegelte.
Mit Daniele, der zwischen 1549 und 1551 als venezianischer Gesandter in London lebte, verband Palladio eine enge Freundschaft, sie kannten sich bereits aus den Studienzeiten Danieles in Padua, als Palladio noch Andrea di Pietro hieß. Daniele hatte ihm zuletzt im Jahr 1554 bei seinen Bemühungen in Venedig Fuß zu fassen geholfen und ihm den – letztlich nicht realisierten – Auftrag zur Gestaltung einer neuen Fassade für die damalige Kathedrale von Venedig verschafft. Gemeinsam arbeiteten sie an einer Viturv-Ausgabe, deren lateinischen Text sie ins Italienische übersetzten. Und auch die Villa Barbaro war ihr gemeinsam konzipiertes Objekt. Daniele hatte auch als Architekt bereits Erfahrung gesammelt: In Padua legte er 1545 einen der ersten botanischen Gärten der Welt für die Universität an, der noch heute seinen Originalaufbau hat und seit 1997 zum UNESCO-Welterbe gehört. Nun war es eine palastähnliche Villa, die genussvolles und repräsentatives Wohnen ermöglichte, gleichzeitig aber auch die Funktionen eines großen landwirtschaftlichen Gutshofes erfüllen sollte. Die Villa Barbaro ist also gewissermaßen halb Schloss, halb Bauernhof.
Palladio versucht stets, die Villen in ihren Eigenschaften an die zukünftigen Bewohner anzupassen. Sie sollen dabei nicht nur zweckmäßig und schön sein, sondern auch der Schicklichkeit, der convenienza, entsprechen. Er schreibt dazu: „Man muß … so gut man kann, auf die Personen achten, die bauen wollen, und nicht so sehr auf das, was sie aufbringen können, so daß vor allem die jeweils besondere Eigenart des Baues ihnen entspricht.“ Da das Haupthaus den Barbaros offenbar als ganzjähriger Wohnsitz diente, ist die Villa insgesamt weniger ländlich als die meisten Palladio-Villen und bewahrt sich mit urbanen Elementen wie den giebelgekrönten Fenstern und dem Balkon mit Balustrade am Hauptgebäude etwas von der städtischen Eleganz Venedigs. Andererseits aber gehören zur Villa etwa 40 Hektar Land, überwiegend Weingärten. Um sie zu bewirtschaften dienten die beiden Seitenflügel.
Das Haupthaus, das Palladio selbst als „casa del padrone“ bezeichnete, hat keinen Portikus, erinnert von außen jedoch mit seinen vier ionischen Säulen und dem Tympanon darüber – dem mit symbolischen Figurenreliefs gestalteten Giebelfeld (zwei nackte Männer, auf Delphinen reitend, die zwei nackte Frauen umarmen) – an einen antiken griechischen Tempel mit plastisch gestalteter Frontseite. Links und rechts davon schließen sich zwei lang gestreckte Nebenbauten mit Arkadengängen an, wo die landwirtschaftlichen Nutzräume untergebracht waren und die Dienerschaft wohnte, an beiden Enden abgeschlossen durch zwei elegante Taubenhäuser. Auf den Landgütern der Terra ferma war Taubenhaltung üblich: Sie lieferten nicht nur Fleisch, sondern dienten vornehmlich als Brieftauben (Venedig war damit in weniger als einer Stunde postalisch zu erreichen).
Palladio organisiert die Gutsanlage in Masér bereits ganz in der Fläche: Möglicherweise um die Tempelwirkung zu unterstreichen, verzichtete er auf einen Keller und schuf stattdessen die im Osten und Westen die Villa abschließenden Flügelbauten, die zwar als Ökonomiegebäude von dem sogenannten Herrenhaus isoliert waren, aber doch auch von dieser Seite her zugänglich. Insgesamt erreicht das Gebäudeensemble damit eine Länge von über 60 Meter.
Mit dem Typus des Gruppenbaues, der die Wirtschaftsgebäude nicht um einen geschlossenen Hof gruppiert wie bei einem Vierkanthof beziehungsweise wie noch in der ursprünglichen römischen Villa, sondern als lang dahin gestreckte Flügelbauten rechts und links des Mitteltrakts, erschafft Palladio etwas Neues. Auch in seinen bisherigen Villen baute er nicht zur Seite, sondern eher monumental in die Höhe: Bei der Villa Godi beispielsweise, seiner ersten Villa, sind Speicherflächen, Wirtschafts- und Wohnräume noch übereinander gebaut. Palladio selbst schreibt dazu: „Die Fußböden der Zimmer des Hausherrn liegen dreizehn Fuß über der Erde und haben flache Decken. Über diesen sind die Getreidespeicher untergebracht und darunter mit einer Gesamthöhe von dreizehn Fuß die Keller, die Weinkelterei, die Küche und ähnliche Orte.“
Mit dem Übereinanderstapeln der Räume hat Palladio die pragmatische Bauweise der Stadt übernommen, wo Land knapp ist, zumal in Venedig. Frühere Villen wirken daher bisweilen so, als hätte man sie von der Stadt aufs Land verpflanzt, etwas eleganter nun zwar, aber erst bei der Villa Barbaro, und zuvor schon bei der 1567 errichteten Villa Emo in Fanzolo, verlegt er die landwirtschaftlichen Funktionsbauten auf die Seite, links und rechts vom sogenannten Herrenhaus, „so daß sie ganz in den Dienst der Fassadenwirkung treten“, wie Fritz Burger in seinem Architekturklassiker „Die Villen des Andrea Palladio“ (1909) schreibt. Sie setzten sich mit ihrer lebhaften Silhouette und der gelb gestrichenen Fassade zwar gegen die dunklen Bäume auf dem Hang dahinter optisch ab, insgesamt aber, so schreibt Burger, sieht man, „wie sehr diese Bauten mit dem Boden von Anfang an verwachsen waren … Sie gehören zur Landschaft. Das ist das Venezianische an ihnen.“
Die Arkadengänge der beiden Seitenflügel erinnern Rybczynski an lang gestreckte Vorhallen, sogenannte Barchessa, der traditionellen trevisischen Bauernhäuser: „Barchessen waren lange Scheunen mit Laubengängen an der Südseite, die eine sonnige, geschützte Freifläche boten, um Fuhrwerke zu entladen und landwirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten. Schon früh kam in der Trevigiana die Sitte auf, Landhäuser mit Barchessen zu verbinden …“ Indem Palladio darauf zurückgreift, zeige er sein Interesse an der regionalen, landwirtschaftlichen Tradition: Auch seine Arkadenflügel erfüllten einen landwirtschaftlichen Zweck, indem sie als Ställe und Orte für die Kelter und die Weinfässer dienten – und nebenher als „Loggien“, die zum überdachten Spazierengehen genutzt werden konnten.
Anders als seine monumentaleren Villen, schmiegt sich die langgestreckte Villa Barbaro optisch also gewissermaßen an den dahinterliegenden Hang, gleichzeitig aber nimmt Palladio auch die aufsteigende Bewegung des Terrains auf und nutzt die Hanglage, indem er im hinteren Bereich an das Obergeschoss eine ebenerdig in den Hang geschnittene, steinerne private Gartenterrasse anschließt, die von Koniferen begrenzt wird. Auf dieser Terrasse in der Höhe des Obergeschosses, das ja auch als Wohnbereich diente, legte er ein sogenanntes Nymphaeum an: ein Quellwasser-Brunnen mit einer in den Fels gehauenen Grotte, in der Nischen für Statuen griechischer Götter eingearbeitet sind, vor denen eine Nymphe steht, aus deren Brüsten sich jeweils ein Wasserstrahl in das halbkreisförmige Becken ergießt. Das Wasser des Brunnens versorgte durch ein ausgeklügeltes System Haus und Gärten sowie einen Fischteich und spielte, wie in vielen Gärten Palladios, eine wichtige Rolle.
Normalerweise befanden sich auch die Nutzgärten hinter der Villa und hatten eine längliche Form, bei der Villa Barbaro jedoch befanden sie sich vor der Villa. Obwohl ein solcher Nutzgarten einem ganz bestimmten Zweck diente, war er trotzdem auch ein Garten, was seine Anlage genauso beweist wie seine pflanzliche Ausstattung: es war ein Gemüsegarten. (Allerdings war der Garten der Villa Barbaro, wie die venezianischen Gärten insgesamt, durch einen viel sparsameren Gebrauch von Strukturen und Steinbauten gekennzeichnet als beispielsweise die Gärten in der Toskana. Entsprechend waren sie auch häufigen Veränderungen unterworfen im Laufe der Jahrhunderte, sodass ihre ursprüngliche Gestalt in den allerwenigsten Fällen bekannt ist und es unmöglich ist, den Garten und seine Infrastruktur zu rekonstruieren.)
In der Villa selbst gestaltete Paolo Veronese die Räume. Im Piano nobile, dem Obergeschoss des Haupthauses malte er äußerst kunstvoll mit symbolträchtigen Fresken im Stil des Trompe-l`oeil, am eindrucksvollsten im zentral gelegenen Saal des Olymp. Die Szenen sind teilweise so illusionistisch komponiert, dass sie fast in die Räume überzugehen scheinen oder im Fall eines Deckenfreskos die Illusion von freiem Himmel erwecken, der durch das Blätterdach einer weinberankten Laube scheint. Unterstützt werden diese Fresken noch durch Stuckarbeiten von Alessandro Vittoria. Viele Villen Palladios sind mit Fresken ausgemalt, die einen lebhaften Kontrast zu den oft schlichten Fassaden bilden. In der Villa Barbaro erlauben die mit Landschaften geschmückten und nach vorne ausgerichteten Räume, korrespondierend zu der Hügellandschaft hinter der Villa, den Blick über die weite venetische Ebene mit seinen Feldern und Weinbergen.


Der Villa vorgelagert sind eine Rebfläche sowie ein Getreidefeld
Einen Raum hat Veronese Bacchus gewidmet. Nicht zu unrecht, denn bis heute wird in der Villa Barbaro Wein produziert: Die heutigen Besitzer, Gräfin Diamante de Linguscetti und ihr Gatte Vittorio, bauen Reben vor allem für die Herstellung von Proescco an. Etwa 50 Tonnen Weintrauben werden jedes Jahr geerntet und gekeltert (was etwa 65.000 Flaschen Prosecco entspricht), nur die besten Moste allerdings werden behalten. Die heutigen Besitzer führen insofern das Werk der Familie Barbaro fort, denn der Grund für den Bau der Villa war der Anbau von Wein und Getreide, das geht sogar aus dem Testament des Marc Antonio Barbaro hervor, einem der beiden Auftraggeber für den Bau. Er verfügte, dass seine Schwester jährlich eine bestimmte Anzahl Fässer Wein bekommen sollte – es wurde also von Anfang Wein produziert in der Villa. Davon zeugen auch die Fresken in der Villa mit ihren Weinreben und -ranken, die beweisen, welch wichtige Rolle der Wein hier schon immer spielte.
Palladianismus
Die venzianische Villenkultur hielt bis ins 19. Jahrhundert an, erst die napoleonische Besetzung leite ihr Ende ein, wie überhaupt das Ende der Republik Venedig. Ebenso lange blieb auch der sogenannte „Palladianismus“ erfolgreich, mit dem Palladios Stil bezeichnet werden soll, den er auf der Grundlage Vitruvs und der Antike schuf und mit dem er eine architektonische Formensprache für bürgerliche Villen kreierte, die bis dahin Tempeln und Palästen vorbehalten war. Eindeutig ersichtlich ist das bei den frühen Villen, die gewissermaßen eine vollständige Tempelfront als Vestibül mit ionischen Säulen besitzen, oder auch bei den Villen mit Portikus beziehungsweise doppeltem Portikus mit korinthischen über ionischen Säulen. Damit wurde er ein international maßgebendes Vorbild für den Klassizismus, man denke nur an das Herrenhaus im Wörlitzer Park, dem ersten im klassizistischen Stil von Palladio errichteten Gebäude in Deutschland, oder die Gestaltung der Landhäuser in den Englischen Landschaftsgärten.
Dass es dazu kam, liegt insbesondere auch an dem englischen Architekten Inigo Jones zur Zeit Jakob I. Jones war nicht nur Architekt, sondern auch Kostüm- und Bühnenbildner. Er wurde 1573 in London geboren (Palladio starb 1580). Über seinen Werdegang schreibt er: „Da es mich in jungen Jahren zu der Kunst der Gestaltung hinzog, ging ich in fremde Länder, um mit den großen Meistern derselben in Italien zu verkehren.“ Nach einem längeren Aufenthalt in Süditalien, wo er offenbar Bekanntschaft mit hochgestellten Persönlichkeiten machte, tauchte er in der Londoner Gesellschaft als „picture-maker“ auf – also als Maler. In dieser Eigenschaft kam er an den Hof Jakobs I., persönlich gefördert von der neuen Königin Anna von Dänemark. Hauptsächlich entwarf Jones Bühnenbilder und Kostüme für Maskenspiele, also Theaterstücke, die meist von Ben Jonson geschrieben waren. Jones ersetzte die elisabethanische Arenabühne durch die auf dem Kontinent übliche Proszeniumsbühne und machte das englische Publikum mit italienischen Szenerien, vorwiegend im all`antica-Stil bekannt. Jonsons und Jones` spektakuläre Kombination aus Drama, Tanz und Musik blieb über dreißig Jahre in Mode.
Mit vierzig Jahren war Jones zum zweiten Mal in Italien und machte die Bekanntschaft mit den Villen Palladios. Als er nach England zurückkehrte, entwarf er weiter Kostüme und Bühnenbilder, wandte sich aber zudem auch der Architektur zu. Er wurde zum Inspektor der königlichen Bauten und damit praktisch zum Hofarchitekten ernannt und behielt dieses Amt auch unter Karl I. Ohne Übertreibung läßt sich sagen, dass Inigo Jones die streng an klassischen Vorbildern orientierte italienische Renaissance in England einführte.
Die Renaissance hatte zwar die englischen Gelehrten beeinflußt, war aber bis dahin nahezu ohne Auswirkungen auf die englische Architektur geblieben. Jones Entwürfe waren sparsam, streng, strikt geometrisch und natürlich klassisch, er ignorierte die manieristische Architektur nach Palladio und zog den schlichteren Stil des Cinquecento vor. Er sagt in diesem Zusammenhang: „All diese künstlich zusammengesetzten Ornamente … vertragen sich meiner Meinung nach nicht mit der wahren Baukunst.“
Seine „wahre Baukunst“ war dabei nicht wirklich palladianisch, sondern hatte durchaus einen eigenen Stil: Er bevorzugte zum Beispiel einen Rustikalsockel aus Naturstein und nicht verputztem Backstein, was die Gebäude optisch „strenger“ erschienen ließ, wie Rybczynski meint: Ihre Fassaden gerieten etwas schmuckloser, wenngleich er sich natürlich stets von Palladio und der Antike inspirieren ließ, beispielsweise bei seinem Entwurf für die St. Paul`s Church in London oder der Old St. Paul`s Cathedral. Nur acht Gebäude von ingsgesamt 46 sind erhalten, aber alle zeigen, dass Jones die Prinzipien Palladios anwandte, ohne ihn zu jedoch zu kopieren.
Der englische Bürgerkrieg setzte Jones Schaffen ein Ende. Er wurde kurze Zeit inhaftiert und verstarb 1652, drei Jahre nach der Hinrichtung des Königs, seines Protegées. Bis dahin jedoch hatte Jones Palladio in England zu Bekanntheit verholfen, und nirgendwo setzte sich der palladianische Stil so durch, wie hier. Der wachsende Wohlstand brachte ihn in Mode, als der Landadel zwischen 1715 und 1745 begann seine Landhäuser zu modernisieren oder neu zu bauen und eine Entwicklung einsetzte, die mit dem Villenbau im Veneto vergleichbar bar.
Dem Palladianismus mag nach Jones der Bühnenautor und Intendant des Queen`s Theatre am Haymarket John Vanbrugh zum endgültigen Durchbruch verholfen haben: Als man ihm die Aufsicht über die königlichen Bauten übertrug, bestellte er sich, weiß Rybczinski, zuerst ein Exemplar von Palladios „Quattro libri“. Insbesondere mit der Gestaltung von Blenheim Palace (ab 1705), gab er der englischen Architektur „eine theatralische, bombastische Ausrichtung“, deren Ausgangspunkt aber dennoch Palladio war, dessen klassizistischer Stil fortan in dieser englischen Version wirken sollte.
Trotz der „theatralen Ausrichtung“ bestand das klassische Landhaus, ganz palladianisch, aus einem rechteckigen Block mit einem eingerückten Portikus mit ionischen Säulen und einem Giebelfeld als Eingangsbereich. Der Grundriss war symmetrisch: eine zentrale Eingangshalle sollte in einen öffentlichen Saal führen, der zu beiden Seiten von zwei Räumen flankiert wird. Wie Palladios erste Villen hatten auch die englischen Landhäuser drei Geschosse mit den Wirtschaftsräumen im Kellergeschoss, einem Haupt- und einem Obergeschoss mit den Schlafräumen, die über eine Haupttreppe erreicht werden konnten.
Obwohl man sich an Palladio orientierte, wurden seine Vorlagen, wie der bereits erwähnte Peter Burke ausführt, „teils aus praktischen Gründen, teils zur Verwirklichung eigener Ideen oder zur Selbstdarstellung des Auftraggebers, mehr oder weniger stark modifiziert. Die vielen bissigen Bemerkungen über die zugigen Portiken englischer Landhäuser lassen erahnen, daß die Anpassung der mediterranen klassizistischen Entwürfe an das feuchtwindige Klima der Insel mitunter deutlich zu wünschen übrig ließ.“ Insbesondere die Zugluft wurde zum Thema, weshalb man sich bald „mit der baulichen Gestaltung von Schornsteinen und Dachschrägen“ befasste.
Die englische Form des Palladianismus wurde auch von den Auswanderern in den britischen Kolonien übernommen, wo er als georgianischer Stil (1714-1837) bezeichnet wurde, im Grunde aber palladianisch war. Bei den Kolonisten handelte es ich oft um Plantagenbesitzer, deren Landhäuser wie die Villen des Veneto zuweilen als Verwaltungszentren für das Landgut fungierten. Entsprechend waren diese Plantagenhäuser, wie etwa in den seit dem Jahr 1776 Vereinigten Staaten von Amerika, von Feldern umgeben, auf denen Sklaven schufteten, und nicht von einem idyllischen Landschaftsgarten wie zumeist in England. Das gilt zum Beispiel auch für Thomas Jefferson (1743-1826), Sklavenbesitzer wie die meisten Gründungsväter der Vereinigten Staaten, der seine Villa im georgianischen respektive palladianischen Stil auf seinem Landgut Monticello in Virginia errichtete (wo er als einer der Ersten in Nordamerika versuchte europäische Reben von Vitis vinifera anzupflanzen), das wiederum zum Vorbild für das Weiße Haus in Washington D.C. werden sollte. Zum Palladianismus fühlte er sich, Rybczinski zufolge, hingezogen, „weil dieser Baustil einerseits seinem rationalen Wesen entsprach und weil er andererseits als Provinzler den Stempel der Autorität suchte“.


Thomas Jeffersons Landgut Monticello (1770-1806) in Charlottesville, Virginia
© Rick Stillings, CC BY-NC-SA 2.0 und 2020 2RW Consultants, Inc.
Weinbau im Veneto heute
Anders als in den Vereinigten Staaten mussten im Veneto keine Sklaven auf den Gütern der Patrizier schuften, im Gegenteil, eine Villa war für die Bauern der umliegenden Dörfer gewöhnlich der größte Arbeitgeber. Sie bewirtschafteten die Hügel mit ihren steilen Hanglagen, die sich für den Weinbau traditionell am Besten eignen, während in der Ebene der für Venedig so wichtige Weizen angebaut wurde.
Die Gegend um Treviso ist die Heimat des Prosecco, in der sanften Hügellandschaft wurde Wein ursprünglich kultiviert. Und die heutigen Winzer in Conegliano und Valdobbiadene verstehen sich als die Erben jener Patrizier, die die Weintradition vor etwa 500 Jahren begründeten. Allerdings werden inzwischen nur noch etwa ein Viertel der Prosecco-Produktion tatsächlich in der hügeligen Ursprungsregion produziert, der weitaus größere Teil kommt aus flacheren Regionen: den weiten Ebenen des Veneto und seit der Gesetzesänderung im Jahr 2009 sogar aus dem benachbarten Friaul. Solche Prosecco sind meistens nicht nur von minderer Qualität, sondern haben kaum noch eine kulturelle Bindung zu dem begrenzten Anbaugebiet, aus dem sie ursprünglich stammen. Dennoch wurde auf Anpflanzungen in der Ebene nicht verzichtet. Das liegt im Erfolg des Schaumweins begründet.
Wie die palladianische Villa, hat auch der Prosecco international Karriere gemacht: Lange war Prosecco außerhalb der Region unbekannt, dann aber wurde er über Venetien hinaus bekannt und inzwischen werden etwa 300 Millionen Flaschen jährlich verkauft, mehr als Champagner. Auch der amerikanische Markt boomt in den letzten Jahren, seit Primo Franco Ende der 1970er-Jahre begann, als erster dort aktiv Marketing für den Prosecco zu betreiben. Aber nicht nur dort ist Prosecco bereits auf allen gesellschaftlichen Ebenen angekommen – auch bei uns in Deutschland ist der italienische Spumante „in aller Munde“, repräsentiert er für viele von uns doch wie kaum etwas anderes ein Lebensgefühl beziehungsweise die typisch venezianische Lebensart, während Champagner oder Sekt doch eher noch mit dem besonderen Anlass verbunden werden. Prosecco läßt sich immer und überall genießen – mengenmäßig jedenfalls liegt er noch immer weit vor deutschem Sekt.

Die Emilia-Romagna liegt südlich vom Veneto und hat eine eigene Geschichte, auch was die Weinkultur anbelangt. Die spannenderen Weine allerdings entstehen vielleicht gerade dort und nicht im Veneto. Was sich hier neuerdings zum Beispiel herauskristalliert, ist die Überzeugung, dass sich Malvasia aufgrund seiner floral-fruchtigen Aromatik hervorragend zur Herstellung von Naturwein eignet. Einen solchen macht Roberto Maestri. Eigentlich Biologe, hat er vor etwa 20 Jahren zum Weinbau gefunden und produziert seither auf seinem nur fünf Hektar großen Weingut „Quarticello“ aus regionaltypischen Rebsorten in erster Linie verschiedene, möglichst naturnahe und von Seiten des Winzers unbeeinflußte, aber sehr lohnenswerte Lambruschi, aber auch trockene Stillweine.
Mit seinem „Despina“ genannten Malvasia Frizzante aus der weißen Rebsorte Malvasia Aromatica Candia hat er einen Wein produziert, der vielleicht ganz, ganz entfernt an einen Prosecco erinnert, aber nichtsdestotrotz unverwechselbar eigen ist. Maestri bringt ihn ungefiltert und ungeschönt mit nur sehr wenig Schwefel in die Flasche. Der naturtrübe Frizzante hat eine äußerst komplexe, hefig-würzige Aromatik mit Noten unterschiedlicher mediterranen Kräuter (Salbei, Rosmarin, Fenchel), aber auch blumig-fruchtige Nuancen von Holunder und Akazie. Extrem saftig und nicht zu süß. Perfekter Wein für den Frühling – lässt einen jeden billigen Prosecco vergessen …
Die internationale Nachfrage, unser Konsumverhalten, hat für die Region Venetien jedoch weitreichende Konsequenzen und Veränderungen zur Folge. Wie der anerkannte Italienexperte Steffen Maus in seinem „Italiens Weinwelten“ (2017) feststellt, rutscht der Prosecco im andauernden Preiskampf der Branche „immer wieder mal in preisliche Niederungen, die existenzgefährdend für die Winzer sind. Ein bis zwei Euro für die Flasche markieren den traurigen Tiefpunkt der Preisspirale. (…) Irgendwer zahlt also drauf bei solchen Aktionen. Manchmal ist es der Verbraucher ….“
Nicht zuletzt durch die Industrialisierung des Weinbaus, die Anpflanzung von Reben in den weiten Ebenen, hat sich auch die Landschaft des Veneto gravierend verändert: Heutzutage dominiert die Rationalisierung der Landwirtschaft. Dazu werden Böden nivelliert, Drahtrahmensysteme zur Unterstützung des mechanischen Weinbaus installiert, Wein zur Monokultur in den Ebenen, Straßen und Wege begradigt, Flüsse und Bäche kanalisiert et cetera.
All das hat, wie die Zersiedelung und Parzellierung, zur Veränderung der Landschaft im Veneto beigetragen und den ursprünglichen Bezug zwischen Villa, Garten und Landschaft zerstört. Mit den Vorstellungen von der Terra ferma als einem Garten, wie zu Zeiten Palladios, hat das alles jedenfalls nicht mehr viel gemein – ein Garten geht heute schon lange nicht mehr natürlich in eine Landschaft über. Und so hat sich denn auch die Vorstellung darüber, was ein Garten ist, verändert. Betrachtet man sich heute die Landschaft, fällt es schwer, sich einen Garten jenseits einer Mauer vorzustellen …