Essay

unter bäumen

Der Wald hat in vielerei Hinsicht Bedeutung für den Weinbau, aber er war auch selbst immer schon eine Kulturlandschaft. Darüber hinaus erhält er, wie die Weinlandschaft des Rheins, im 19. Jahrhundert politische Bedeutung und wird zum geistigen Zentrum der deutschen Kultur. Ein Essay zum Mythos Wald …

„Wer den halben Tag aus bloßer Liebe zum Wald darin spazierengeht, läuft Gefahr, als Landstreicher angesehn zu werden. Verbringt er aber den ganzen Tag als Spekulant, indem er diese Wälder schlägt und die Erde vor der Zeit kahl macht, dann wird er als fleißiger, unternehmender Bürger gepriesen. Hat denn eine Stadt kein anderes Interesse an ihren Wäldern, als sie abzuholzen?“

Henry D. Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern (1854)

„“Allmächtiger / im Walde / ich bin selig / glücklich im / Wald jeder / Baum spricht / durch dich / o Gott welche / Herrlichkeit / in einer / solchen Waldgegend / in den Höhen / ist Ruhe – / Ruhe ihm zu / dienen.“

Ludwig van Beethoven, Tagebucheintrag (1815)

Das ist der Teutoburger Wald, / Den Tacitus beschrieben, / Das ist der klassische Morast, / Wo Varus stecken geblieben. / Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, / Der Hermann, der edle Recke; / Die deutsche Nationalität, / Die siegte in diesem Drecke.“

Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)

Kulturlandschaft

Wegen ihrer vermeintlichen „Natürlichkeit“ sind Wälder die bevorzugte Landschaftsform vieler Deutschen. Sieht man vom Meer ab, steht nichts mehr für „Natur“ als der Wald. Hinter dieser Vorstellung steckt eine für die Moderne kennzeichnende programmatische Trennung von Kultur und Natur. Diesen Gegensatz kann man vor dem Erfahrungshintergrund der agrarischen Zivilisation verstehen, innerhalb derer beispielsweise auch Weinbau heißt, wie Landwirtschaft insgesamt, die natürliche, wilde Vegetation – bisweilen Wald – zu entfernen, zu roden, um günstige Bedingungen für bevorzugte Reben zu schaffen. Deren Wachstum wird gefördert und pflanzliche Konkurrenten bekämpft. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet der lateinische Ausdruck cultura insofern nichts anderes als die Bestellung des Ackers, weiß Eva Horn („Anthropozän“ 2019), das heißt den Versuch, ökologische Prozesse zugunsten der Agrargesellschaft zu beeinflussen. Die landwirtschaftliche Arbeit, die Kultivierung der Rebe, ist dabei ein nie endender Prozess. Hierin liegt die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur begründet: Im Gegensatz zur Natur bedarf Kultur der dauernden Anstrengung – sie impliziert „zivilisatorischen Zwang“. Gleichsam wird Weinbau so zur Umwandlung von Natur in eine Kulturlandschaft.

Landschaft ist stets auch von Kultur geprägt, denn jede Gesellschaft greift in ihre natürliche Umwelt ein: Nicht nur einzelne Arten, sondern ganze ökologische Prozesse sind permanenter Veränderung unterworfen. So ist zum Beispiel, wie der Geobotaniker Hansjörg Küster in „Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa“ (2010) bemerkt, bereits die plötzliche und durchschlagende Ausbreitung des Haselbusches in den dichten Wäldern in Mitteleuropa vor 9.000 Jahren, also am Beginn des Mesolithikums, vom Menschen verursacht, der die nahrhaften Nüsse überallhin mittransportierte und pflanzte – anders ist diese Verbreitung nicht zu erklären. Der Mensch hat insofern bereits in der Mittleren Steinzeit aktiv seine Umwelt gestaltet, indem er die Verbreitung eines Gehölzes – des Haselbusches – förderte. Durch Eingriffe wie diese wird Natur zu einem gleichsam kulturellen Umfeld, eben einer Kulturlandschaft, innerhalb derer der Mensch immer schon Natur- und Kulturwesen zugleich ist.

Umgekehrt sind Landschaften insofern keineswegs ursprünglich, sondern vielmehr durch jahrhundertelange Nutzung geformt und „Wildnis“ immer schon ein kulturelles Konstrukt, eine sprachliche Erfindung: Es gibt, nicht nur in Deutschland, praktisch keine unberührte Natur (mehr) – es gibt keinen Gegensatz zwischen Natur- und Kulturlandschaft. Das trifft insbesondere auch auf den Wald zu: Nur fünf Prozent der Waldfläche in Deutschland stehen nicht in einem (forst-)wirtschaftlichen Verwertungszusammenhang. Merkmal der Gegenwart ist damit nicht einfach das Verschwinden von Natur, sondern die Ausbreitung von „Hybriden“, die die Unterscheidung von Natur und Kultur unterlaufen, wie Eva Horn ausführt. Am wenigsten offensichtlich ist das in Umgebungen, deren Natürlichkeit zunächst einmal unproblematisch erscheint, wie beispielsweise in Naturparks oder -reservaten. Hier würde man eine unberührte Natur vermuten, tatsächlich jedoch sind auch diese Orte durch umfassende Regelungen und Kontrollen abgeschirmt, „um einen erwünschten Idealzustand herzustellen“, wie Horn sagt. Indem man vermeintlich unberührte Natur zur „Wildnis“ erklärt, wird „ein Ideal unberührter Natur errichtet, in dem der Mensch nur als Fremdkörper vorkommen kann. Andererseits gibt man jenen Teil der Welt als `unnatürlich´ verloren, in dem wir leben und arbeiten. Die Diskussion über einen verantwortungsvollen Umgang mit Natur wird damit von vornherein unmöglich.“

Menschenverursachte Phänomene wie der Klimawandel zeigen indessen, dass der Dualismus von Natur und Kultur nicht länger funktioniert. Der Klimawandel ist menschengemacht, ein Kulturprodukt wenn man so möchte, das umgekehrt auch auf unser soziales Leben zurückwirkt. Die Trennung von Natur und Kultur verliert insofern ihren Sinn. Es führt heute, im Zeitalter des Anthropozän, kein Weg mehr daran vorbei, diese Verwobenheit anzuerkennen. Deshalb haben Autoren wie die Biologin Donna J. Haraway ein neues Vokabular entwickelt, um diese „Verstrickung“ („entanglement“) von sozialen und natürlichen Prozessen zu beschreiben. Anstatt Natur und Kultur als ontologisch unterschieden zu verstehen, betrachten sie die Welt als ein „nahtloses Gewebe“, in dem menschliche und nicht-menschliche Akteure zusammenwirken und sich in einer Art „Verwandtschaftsverhältnis“ befinden.

Die Welt ist also nicht nur passiver Verwertungszusammenhang für den Kapitalismus oder neutraler formuliert: bloße Bühne menschlichen Handelns, sondern auch die unbelebte Natur hat Einfluss auf unser Leben – wie wir sie verändern und formen, so formt sie uns und unser Zusammenleben. In diesem Sinn kann man beispielsweise den Beginn der Landwirtschaft und die Kultivierung von Getreide, die sogenannte Neolithische Revolution vor 12.000 Jahren, nicht nur als kulturelle Entwicklungsleistung des Menschen begreifen, sondern umgekehrt auch als Domestizierung des Menschen durch die Getreidepflanzen. Und auch ohne diese globale Dimension – Naturgegebenheiten wie Wälder, Flüsse oder das Meer haben das Leben der dort lebenden Menschen schon immer beeinflusst und geformt. Deutlich wird das zum Beispiel beim Pfälzerwald im Südosten der Rheinland-Pfalz.

Der Pfälzerwald

Etwa ein Drittel der Fläche Deutschlands ist heute mit Wald bedeckt (das sind 11,4 Millionen Hektar), davon sind etwa 56 Prozent Nadelwald, die restlichen 44 Prozent entfallen auf Laubmischwald. Der Pfälzerwald gehört zur deutschen Mittelgebirgslandschaft und liegt, wie die beiden anderen großen Waldgebiete in der Region Hunsrück und Eifel, linksrheinisch. Er ist mit über 179.000 Hektar das größte zusammenhängende Waldgebiet in Deutschland (wie überhaupt Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Hessen den größten Waldanteil an der Landesfläche hat: von beiden Bundesländern sind 42 Prozent bewaldet).

Wie der Wald überall in Europa entwickelte sich auch der Pfälzerwald nach der Eiszeit vor etwas mehr als 10.000 Jahren, als sich das Klima besserte. Zu dieser Zeit hatten sich in Mitteleuropa ungefähr die heutigen Klimabedingungen eingestellt, die Erwärmung nach der Eiszeit war jedenfalls abgeschlossen. Mit Beginn der Epoche der Nacheiszeit, des Postglazial, waren innerhalb weniger Jahrhunderte fast überall dichte Wälder entstanden, wo zuvor noch weiträumige Steppen, offenes Grasland, die Landschaft prägten. Das Waldland nördlich der Alpen blieb allerdings nicht lange vom Menschen unberührt: Die Neolithisierung Mitteleuropas beziehungsweise die landwirtschaftlichen Eingriffe des Menschen vor etwa 7.000 Jahren änderten die Waldlandschaft nachhaltig.

Aber auch ohne den Menschen ist der Wald ständigem Wandel unterworfen: Breiteten sich zunächst Birken und Kiefern in Kontinentaleuropa aus – Laubbäume hatten in Meeresnähe mehr Bedeutung –, übernahmen später, abgesehen von Ulmen und Linden, Eichen die Herrschaft. Die Fichte wurde, wie auch die Tanne, in Hochlagen der Alpen und in einigen östlichen Mittelgebirgen häufiger. Und auch die Buche konnte sich langsam etablieren. Sie war zur Zeit der Römer in Deutschland die häufigste Baumart, auch, weil sie doppelt so schnell wächst wie Tanne, Kiefer oder auch Eiche (wichtiger jedoch war aufgrund ihrer Härte die Eiche, die beispielsweise auch beim Bau des Limes bevorzugt verwendet wurde).

Die Wälder wandeln sich von Natur aus stetig, nichts bleibt in ihnen stabil, das gilt auch für den Pfälzerwald. Rund 70 Prozent des Pfälzerwaldes wird aus Nadelhölzern gebildet, wobei die Kiefer an erster Stelle steht, weil sie am besten mit den trockenen und nährstoffarmen Böden aus Buntsandsteins zurechtkommt, die den Pfälzerwald prägen. (Vor Millionen Jahren herrschte in der Pfalz ein Wüstenklima und mit ihm Sand.) Bei den Laubbäumen steht die Buche vorne, bekannt sind aber auch die wertvollen Eichenbestände des inneren Pfälzerwalds: etwa 50-70 Exemplare, die über 200 Jahre alt sind, finden sich hier pro Hektar. Sie wachsen in einem geologisch armen Gebiet und deshalb langsam, wodurch sie jedoch besonders hochwertig und wertvoll sind.

Die alten Eichen, die bis zu 500 Jahre alt werden können, sind aufgrund ihrer langsamen Reifung besonders dichtporig und deshalb auch begehrt in der einzigen Daubenhauerei in Rheinland-Pfalz. Sie stellt aus den ausgewachsenen Bäumen Langhölzer, Dauben, her, die dem Bau von Fässern dienen. Etwa 600 Stämme werden dafür jedes Jahr verarbeitet, wobei etwa 30-100 Dauben pro Fass – je nach Größe – benötigt werden. Bevor die Eichenstämme verarbeitet werden, lagern sie gewöhnlich im Freien und sind hier auch dem Regen ausgesetzt, der die Bitterstoffe aus dem Holz auswaschen soll. Charakteristisch insbesondere für das Barriquefass aus Pfälzer Eiche ist hingegen eine Kokos-Note.

Eine Besonderheit des Pfälzerwaldes sind auch die Kastanienwälder am Fuß des Ostrands des Pfälzerwalds zur Weinstraße hin, wo sich Deutschlands größtes Edelkastanienvorkommen befindet. Kastanien- und Walnussbäume wurden, wie Wein und etliche andere Kulturpflanzen, von den Römern mit nach Deutschland gebracht, wo sie „verwilderten“ und sich in vielen Wäldern, insbesondere auch am Oberrhein, verbreitet haben. Heutzutage kommt dem Wachstum der Kastanie der Temperaturanstieg aufgrund des Klimawandels entgegen – aus ihren Pollen und ihrem Nektar entsteht der Pfälzer Kastanienhonig.

Bedeutung hat der Kastanienwald auch für den Weinbau: Der „Birkweiler Kastanienbusch“ ist eine der bekanntesten Einzellagen an der südlichen Weinstraße.

Wolf Riesling Kastanienbusch

Der Birkweiler Kastanienbusch im Bereich Südliche Weinstraße ist eine der bekanntesten Weinlagen der Pfalz. Der Name leitet sich von den Edelkastanienbäumen ab, die im milden Klima hier bestens gedeihen. Die Weinreben stehen auf dem bis zu 30 Grad steilen und über 60 Hektar großen Hang, der nach Süden bis Südosten ausgerichtet ist, in einer Höhe bis zu 300 Meter, sind aber durch den Pfälzerwald vor kalten Winden geschützt.

Anteil am Birkweiler „Keschtebusch“ haben mehrere Weingüter, eines davon ist das Weingut Wolf, das seit 1620 Weinbau betreibt und heute vom jungen Winzer Mathias Wolf repräsentiert wird, der 2018 Botschafter der „Generation Pfalz“ war. Die Rebstöcke für seinen Riesling Kastanienbusch stehen auf rotem Schieferboden und werden im Stahltank ausgebaut. Der Riesling weist eine saline Mineralik (nasser Stein) auf und eine lebendige Säure. Bei der Aromatik dominieren Grapefruit, grüner Apfel und Wiesenkräuter.

Die Einzellage „Birkweiler Kastanienbusch“ wird vom Höhenzug des Pfälzerwaldes vor kalten Winden und Regenfronten geschützt und ist nach Süd bis Südost exponiert, zur Sonne hin, weshalb ein warmes Mikroklima entsteht, welches das Wachstum von Weinreben ermöglicht. Da andererseits der Wald Nachts stark abkühlt, kommt es zu einer ausgleichenden Thermik – kalte Luft strömt in die aufgewärmte Weinstraße im Tal ab –, was die Reifung des Rieslings (mit 5.600 Hektar ist die Pfalz seit 2008 das größte Riesling-Anbaugebiet der Welt) beziehungsweise die Ausbildung seiner charakteristischen Säure begünstigt. Da die Luftbewegung tagsüber in umgekehrter Richtung erfolgt, warme Luft aus dem Tal strömt hoch, fungiert der Pfälzerwald gewissermaßen als „Motor“, der die Luftbewegungen am Leben hält und insgesamt günstige Bedingungen für den Weinbau schafft.

Der Pfälzerwald ist von Westen nach Osten von drei großen, tiefeingeschnittenen Bachtälern durchschnitten (im Süden das Queichtal, in der Mitte das Hochspeyerbachtal und im Norden das Isenachtal). Mehrere Seitentäler untergliedern das Mittelgebirge weiter, sodass eine besondere Vielgestaltigkeit entstand, weshalb der Pfälzerwald vor über zwanzig Jahren zusammen mit den französischen Nordvogesen zum ersten grenzüberschreitenden Biosphärenreservat in Europa ernannt wurde: dem Pfälzerwald – Vosges du Nord.

Damals wurden im Pfälzerwald 16 Kernzonen eingerichtet, in denen der Wald sich selbst überlassen wird, das heißt Totholz unberührt liegen bleibt und so ein feuchtes Mikroklima schafft. Allerdings umfassen diese Schutzzonen insgesamt nur etwa drei Prozent, während in den Randzonen des Biosphärenreservats noch Schottische Hochlandrinder – die, anders als einheimische Rinderarten, fast alles fressen – verhindern, dass sich der Wald auf den verbliebenen Wiesen, ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Flächen, ausbreitet.

Wald und Weinbau in der Pfalz

Das Biosphärenreservat Pfälzerwald – Vosges du Nord besteht aus zwei großen Gebieten: zum einen eben dem Pfälzerwald, daneben aber auch aus einer sich östlich davon, an der Abbruchkante des Mittelgebirges der Haardt anschließenden Weinbergslandschaft, die als „Weinstraße“ bezeichnet wird und das Weinanbaugebiet „Pfalz“ bezeichnet, das sich wiederum in eine nördliche und südliche Weinstraße unterteilt. An der Weinstraße – ursprünglich eine Fernstraße – machen die Weindörfer mit ihren historisch gewachsenen Ortsbildern Eindruck. In ihnen spiegelt sich eine Weinkultur wider, die inzwischen auf 23.500 Hektar gepflegt wird, womit die Pfalz das zweitgrößte Weinanbaugebiet Deutschlands ist. In den 144 Weinbaugemeinden wird jede dritte Flasche des in Deutschland gekauften Weins produziert.

Ursprünglich war die Weinrebe Vitis vinifera, die heute weltweit zwischen dem 30. und 50. Breitengrad angebaut wird, eine in Symbiose mit Bäumen lebende Waldpflanze, eine Kletterpflanze, und wurde vermutlich in der Region zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer erstmals kultiviert.

Im Wald stand die Weinrebe in Konkurrenz mit anderen Pflanzen, sie hat sich aber an diese Situation gewöhnt und bringt heute auf kargen Böden, wenn sie tief wurzeln muss, sogar ihre besten Ergebnisse. Trotzdem ist der Wald nach wie vor von Bedeutung für den Weinbau – und das in vielerlei Hinsicht: Er erlaubt nicht nur einige begriffliche Assoziationen bei der Weinverkostung (mit Begriffen wie Waldboden, Erde, Pilze, Wildbret, vegetabil, feuchtes Laub et cetera wird versucht, sogenannte tertiäre Aromen aus dem Reifeprozess von Rotwein in der Flasche zu benennen), sondern ein dichter Wald sorgt grundsätzlich für ein ausgeglicheneres Mikroklima (relativ kühle Sommer und milde Winter). Mit seinem Wurzelwerk sowie dem Moospolster unter den Bäumen fungiert er als wichtiger Wasserspeicher, der Feuchtigkeit nur sehr langsam an das Grundwasser und die Gewässer abgibt, die deshalb gleichmäßig viel (nicht zu viel) Wasser führen. Wird ein Stück Wald für die Landwirtschaft gerodet, verschwindet ein Wasserreservoir, das heißt das Wasser wird nicht mehr im Boden gehalten und fließt schneller ab. Umgekehrt hält Wald den Grundwasserspiegel konstant, sodass ihn die Wurzeln der Reben erreichen können. Darüber hinaus schützt der Wald auch vor starken Winden. Fehlt ein solcher natürlicher Windschutz (wie beispielsweise in Lanzarote oder Santorini), ist Weinbau problematisch. Gerodete Wälder führen erfahrungsgemäß zu Klimaextremen auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen. Der Wald übt insgesamt also einen wichtigen Einfluss auf das Mikroklima eines Weinbergs aus und es wundert nicht, dass Weinanbaugebiete häufig in waldreichen Flusslandschaften angelegt wurden. (Flüsse reflektieren Sonnenlicht und sorgen für den Abtransport kalter Luft.)

Die Abgrenzung der Rebflächen und des landwirtschaftlichen Nutzlandes vom Wald gibt es erst seit der Zeit um 1800, also der Neuzeit. Hansjörg Küster bemerkt in diesem Zusammenhang: „Scharfe Waldränder, wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, seit der Zeit also, als man eine Grenzlinie zwischen Wald und Offenland, zwischen die Nutzungsräume von Forst- und Landwirtschaft legte.“

Die Trennung von Wald und Weideland erfolgte, als sich ortsfeste Siedlungen gebildet hatten, und zwar per Edikt – die Landschaft früherer Zeiten kennt diese Unterscheidung noch nicht. Lange hatte der Hudewald als eine Mischform Bestand, wo Wald und Weide einen einheitlichen Nutzraum bilden: In Hudewäldern weidete das Vieh, dass immer auch frische Triebe frisst, weshalb hier nur wenige Bäume oder Baumgruppen stehen, die von Weideland umgeben sind. Häufig ist das die Eiche, die mit ihren Eicheln noch zusätzliches Futter bereithielt und deshalb nicht gefällt und verarbeitet wurde.

Schon die Römer, die den Weinbau in Deutschland einführten, überzogen das unterworfene Land mit einem eigenen System der Landbewirtschaftung, den Villen. Sie waren ursprünglich arrondierte Agrarbetriebe, um die herum landwirtschaftliche Nutzflächen errichtet wurden. Villen wurden vor allem in der Nähe militärischer Anlagen in fruchtbaren und vor allem auch steinfreien Lößgebieten (wie der Pfalz) gebaut. Später, unter den fränkischen Merowingern (bis 751 nach Christus), setzte sich die Ortsfestigkeit von Siedlungen mit der zunehmenden Christianisierung als kulturelles Phänomen durch: Da die Kirchengebäude in den Dörfern Heiligen geweiht waren, durften sie nicht wieder aufgegeben werden – die Kirche musste „im Dorf“ bleiben.

Erst mit der dauerhaften Besiedelung einer Region durch den Menschen breiteten sich Kulturpflanzen aus und auch der Weinbau – in der Pfalz insbesondere in der Ebene und im Hügelland, wo Wald in Agrarland umgewandelt wurde: Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung konnten erst nach der Rodung des Landes angelegt werden, wobei die Zunahme der Siedeldichte (sowie in der Folge die Entstehung der Städte mit ihrem enormen Holzbedarf) bald die Wälder dezimierte. Bis zum 18. Jahrhundert sank der Waldanteil in den meisten deutschen Landschaften auf einen Tiefstand ab und Wälder konnten oft nur gerettet werden, indem sie als „Forst“ (Jagdrevier), wo die Holznutzung verboten ist, geschützt wurden (im Gegensatz zu einem Allmendewald).

Auf den gerodeten Flächen setzte sich die sogenannte „Drei-Felder-Wirtschaft“ durch (ein Feld für Sommer-, eines für Wintergetreide sowie Brachfeld als Weideland für das Vieh). Wo es klimatisch möglich war, legte man außerdem einen Weinberg an. Hansjörg Küster schreibt in diesem Zusammenhang: „Der Anbau von Wein hatte im Mittelalter größere Verbreitung als heute. Dies wird immer wieder als ein Hinweis auf wärmeres Klima während des Mittelalters gewertet, doch ist dieser Schluß nicht zwingend. Damals war der Transport von Wein teurer als heute. Man brauchte aber zumindest in der Kirche (Messwein!) stets ein Getränk, das sich über längere Zeit aufbewahren ließ und nicht verdarb … Es gab also ganz andere Gründe dafür, einen eigenen Weinberg in der Nähe des Dorfes anzulegen als heute, und es kam nicht darauf an, dass die Reben in jedem Jahr ihre volle Süße erreichten. Man war auch mit herben Früchten, mit herbem Wein zufrieden; Hauptsache war, dass er im Fass frisch blieb.“

Holzfässer wurden schon von den Römern verwendet – allerdings nur in den Provinzen Gallien und Germanien. Am Rhein wurden sie benutzt, um Wein stromaufwärts zu verschiffen. Das am besten geeignete Holz für den Weintransport ist eigentlich Eichenholz, da es zu den härtesten Hölzern zählt und durch die Art der ringförmigen Poren Flüssigkeiten der Weg durch das Holz verwehrt wird. Trotz der Dichte erlaubt Eiche Sauerstoffkontakt, das heißt Eichenfässer eignen sich ideal für die Lagerung und den Ausbau des Weines. Trotz dieser Eigenschaften – und obwohl sie sonst auch überwiegend Eichenholz verwendeten – waren die Weinfässer der Römer gewöhnlich jedoch aus dem Holz der Tanne hergestellt, die nur in Süddeutschland (Schwarzwald, Frankenwald, Bayerischer Wald) beziehungsweise im Alpenraum wächst (weshalb sich die Herkunft der Fässer und das Verbreitungsgebiet des Weines auch relativ leicht bestimmen lassen). Später jedoch setzte sich in Deutschland auch das Eichenholzfass durch, traditionell als Stückfass (mit 1.200 Liter Fassungsvermögen), Halbstückfass (600 Liter) oder als Fuder (1.000-Liter-Fass an der Mosel). Der Barriquefass-Ausbau hatte in Deutschland lange keine Tradition und kommt erst neuerdings zum Einsatz.

Wie groß die Anbauflächen für Wein im 19. Jahrhundert wirklich waren, läßt sich schwer sagen. Klar aber ist, dass sich die Struktur der Landwirtschaft bis in diese Zeit allmählich wandelte: Bäuerliche Wirtschaft erfolgte nun gemeinschaftlich. Es gab zwar Privateigentum, meistens aber war kollektives Handeln erforderlich. Obwohl Weinbau meistens nur einen Nebenerwerb darstellte, betrug die Rebfläche in der Pfalz um 1830 dennoch bereits über 10.000 Hektar, wobei die Reben häufig in der „Kammertbauweise“ erzogen wurden (rahmenförmige Gestelle aus Holz in viereckiger Form, einer Pergola ähnlich, nur wesentlich niedriger). Dennoch ist die Gemeinschaft im dörflichen Leben bis heute bedeutsam und selten kommt es ohne genossenschaftliche Organisation aus.

Inzwischen erstrecken sich die Weinberge der Pfalz über 85 Kilometer entlang der Hänge des Pfälzerwaldes von Rheinhessen im Norden bis nach Schweigen an der Grenze zum Elsass. Der nördliche Teil, die Mittelhaardt-Deutsche Weinstraße, erstreckt sich von Neustadt in nördliche Richtung über Deidesheim, Forst, Wachenheim und Bad Dürkheim bis nach Zell. Der südliche Teil verläuft von Maikammer bis Schweigen an der französischen Grenze. Es ist der mit Abstand größte zusammenhängende Weinbaubereich Deutschlands – in direkter Nachbarschaft zu einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete (der Bayerische Wald mit dem angrenzenden Böhmerwald ist noch größer).

Die Berge der Haardt im Norden sind eine Fortsetzung der Vogesen, was die Pfalz zu einer der trockensten Regionen des Landes macht (wie Colmar im Elsass die trockenste Stadt Frankreichs ist): Das Rheintal liegt nämlich im Regenschatten der Vogesen beziehungsweise des Pfälzerwaldes. In sehr warmen Jahren wie zuletzt können die Reben sogar unter Wasserstress leiden. So gilt die Pfalz als „Toskana Deutschlands“: Sie hat einen ähnlich hohen Anteil an Sonnentagen (1.800 Sonnenstunden) und überdurchschnittliche 11 Grad Celsius sorgen dafür, dass das Klima ausgesprochen mild und beinahe mediterran ist.

Gewöhnlich reifen die Trauben in Deutschland über 400 Meter Meereshöhe nicht mehr aus. Das warme Klima der Pfalz jedoch erlaubt größere Höhen als anderswo in Deutschland: Noch höher als der „Birkweiler Kastanienbusch“ liegt Odinstal oberhalb von Wachenheim in der Pfalz, die höchste Erhebung für Weinbau auf 300 bis 350 Metern Höhe. Hier wachsen, geschützt vom Pfälzerwald, vor allem klassische Reben, allen voran der Riesling, dessen Säurestruktur von der Höhe der Hänge profitiert. Trockenmauern in vielen Weinbergen fungieren außerdem als Wärmespeicher.

Riesling ist in der Pfalz, wie bereits bemerkt, die dominierende Rebsorte, doch auch weiße Burgundersorten sind im Süden im Kommen – und angesichts der klimatischen Veränderungen wird auch Rotwein immer wichtiger. Insbesondere die sehr warmen, von der prallen Sonne beschienenen Weinberge in der flachen Ebene werden zunehmend zu beliebten Anpflanzorten für Rebsorten aus der Mittelmeerregion.

Der Wald im 19. Jahrhundert

Wie am Beispiel der Pfalz deutlich wird, war der Wald also schon immer eine Kulturlandschaft, hatte aber selbst auch Einfluss auf den Weinbau. Über diesen natürlichen Einfluss hinaus gewinnt der Wald in Deutschland nun im 19. Jahrhundert jedoch auch an kultureller, politischer und ideologischer Bedeutung. Gemeinsam mit der Weinlandschaft des Rheins wird er in dieser Zeit zum geistigen Zentrum für die deutsche Kultur: Er wird zum deutschen Wald und zu einem verbindenden Element. Der Wald im 19. Jahrhundert ist, wie Herfried Münkler in „Die Deutschen und ihre Mythen“ (2009) schreibt, als „ein für die nationale Identität der Deutschen bedeutsamer Mythensammler anzusehen“, ähnlich dem Rhein, der „die Funktion der in Deutschland lange fehlenden Hauptstadt übernommen (hat), die es zu verteidigen gilt“.

Tacitus` „Germania“ –

Schon in einem der ersten Kapitel seiner Germania, einem zu Beginn des 2. Jahrhunderts verfassten Bericht über die Völker nördlich der Alpen, beschrieb der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus Germanien als ein Land, das mit seinen Wäldern und Sümpfen einen schaurigen Eindruck macht. Er schreibt in diesem Zusammenhang: „Das Land zeigt zwar im einzelnen einige Unterschiede; doch im ganzen macht es mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck.“

Tacitus kennt aus seiner mediterranen Heimat keine ausgedehnten Wälder, entsprechend war für ihn Germanien das Waldland schlechthin. Seine Heimat nämlich sieht völlig anders aus als das scheinbar wilde, unkolonisierte und unkultivierte Germanien. Hansjörg Küster bemerkt in seiner „Geschichte des Waldes“ (2013) in diesem Zusammenhang: „Zu Zeiten des Tacitus war die gesamte Region vom Nahen Osten bis zum westlichen Rand des Mittelmeeres ein Gebiet der Stadtkulturen geworden. Stadtkulturen, die nicht nur Städte, sondern auch deren Umland umfaßten, unterschieden sich grundsätzlich von rein bäuerlichen Kulturen. (…) Dabei galten die Bauern nicht nur für Tacitus als unzivilisiert, denn nur die Bürger, die ‚Cives‘ einer Stadt oder eines Staates, konnten ja eine Zivilisation bilden.“ Die Germanen mit ihrem bewaldeten Lebens- und Naturraum erschienen ihm dagegen als trunksüchtige Barbaren. Tacitus schreibt dazu: „Zu trinken gibt es einen Saft aus Gerste oder Weizen, der durch Gärung ein wenig Ähnlichkeit mit Wein bekommt. Die Anwohner der Flüsse `Rhein und Donau´ kaufen auch Wein … Gäbe man ihrer Trunksucht nach und verschaffte ihnen, so viel sie wollten – um wie viel einfacher würden sie durch ihre Laster als durch Waffen besiegt werden.“

Die Römer repräsentierten für Tacitus also eine gänzlich andere Kultur als die barbarischen Germanen mit ihrer bäuerlichen, agrarischen und bodenständigen Lebensweise. Andererseits wurde gerade diese agrarische Lebensweise mit der starken Bewaldung, die Tacitus für ein Charakteristikum Germaniens hält, jedoch auch zum „Urgrund“ der germanischen Sittlichkeit. Tacitus attestiert den Germanen nämlich durchaus auch eine moralische Unverdorbenheit, Freiheitsliebe und Aufrichtigkeit: „Dieses Volk“, so Tacitus, „ohne Falsch und Trug, offenbart noch stets bei zwanglosem Anlass die Geheimnisse des Herzens; so liegt denn aller Gesinnung unverhüllt und offen da (…); sie beraten, wenn sie sich nicht zu verstellen wissen; sie beschließen, wenn sie sich nicht irren können.“ Diese Sittlichkeit wird herangezogen, um fremde Einflüsse abzuwehren – in der Regel römische oder welsche (romanische).

Der Wald sollte wie die mit ihm verbundene agrarische Lebensform gegen die urbane verteidigt werden – oder etwas später gegen eine solche der slawischen Steppe: 1923 erklärte zum Beispiel der Forstgraf Dr. Zentgraf, wie Münkler ausführt, die Verbundenheit der Deutschen zu ihrem Wald auch anhand der für Deutschland typischen Zugehörigkeit der Waldwirtschaft zum Bauernbetrieb, die dazu geführt habe, dass es keine „entnervende Winterpause“ gab, sodass hier „ein hartes und arbeitsgewohntes Geschlecht“ herangewachsen sei. Das aber heißt, wie Münkler des weiteren bemerkt, „Entwaldung bedroht die deutsche Sittlichkeit“. So wundert es Zentgraf nicht, „dass die Lehren des Bolschewismus dort in unserem deutschen Vaterlande am stärksten und raschesten Eingang gefunden haben, wo der deutsche Wald entweder ganz fehlt oder doch seiner natürlichen Reize völlig bar unter den Einflüssen einer einseitigen Forstwirtschaft zu einer Holzfabrik geworden ist.“ (Der Forstgraf schreibt das vor dem Hintergrund des 1915 geschlossenen Berliner Dauerwaldvertrags, der festschrieb, dass die Wälder, die rund um das entstehende moderne und industrielle Berlin – damit ist insbesondere auch der Grunewald gemeint – als Naherholungsflächen für die Bürger erhalten werden sollen. Der Wald wird hier zur Bühne des erholungsuchenden Städters und der wilde, vermeintlich ursprüngliche Wald zur Chiffre für „unberührte Natur“, die es zu bewahren gilt.)

Literarische Vereinnahmung des Waldes im Märchen –

Tacitus Germania wurde im 18. und 19. Jahrhundert viel gelesen. Begann der Wald schon mit der Neuzeit, wie auch der Weinbau, zu einem Wirtschaftsfaktor zu werden, wird er nun in eine Art kulturelles Verwandtschaftsverhältnis gerückt. Der Wald erlebt so gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Bedeutungsverschiebung: Er wird in dieser Zeit für die Kultur entdeckt und einverleibt, wenn man so möchte. Gestalten des Waldes werden zu Hauptfiguren der Literatur; Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) beispielsweise verfasste zwischen 1769 und 1787 eine Dramentrilogie zu „Hermanns Schlacht“, während sich Friedrich Schillers „Die Räuber“ (1782) in den bayerisch-böhmischen Wäldern verstecken (Schiller hebt hier übrigens auch die Ordnung des klassischen Dramas auf, indem er die aristotelischen Einheiten von Raum und Zeit sprengt) und der Romantiker Ludwig Tieck in der gleichnamigen Novelle den Begriff der „Waldeinsamkeit“ (1840) prägt, der dann als Topos lange nachwirkte. Der Wald wird romantisch verklärt und zur zivilisationsfernen Sehnsuchtslandschaft.

Die Wiederentdeckung des Waldes an der Wende zum 19. Jahrhundert erfolgte mit der Trennung des Waldes vom landwirtschaftlichen Nutzland. Damit wurde der Wald als unkolonisierter, wilder Bereich jenseits der landwirtschaftlich genutzten Flur definiert. Er erscheint nun als eine ganz reale, bedrohliche Wildnis, voll von wilden Tieren wie Wölfen und Bären. Davon berichten auch die von den Gebrüdern Grimm Anfang des 19. Jahrhunderts gesammelten Märchen.

Im Jahr von Napoleons Rückzug aus Rußland erschien in Berlin der erste Band der „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm. Ihre Sammlung ist so volkstümlich, dass sie, sogar weltweit, zum meistgelesenen Buch der deutschen Literatur wurden (übersetzt in mehr als hundert Sprachen). Bis ins Jahr 1812 wurden Märchen überwiegend mündlich weitergegeben. Wilhelm und Jakob Grimm begriffen ihre Sammlung, die in der Endfassung zweihundert Märchen enthielt, insofern als authentische Anschauungen des germanischen Altertums, der eigenen Vergangenheit, die sie unverändert übernommen hätten, sieht man von der Enthistorisierung der Erzählungen und Anonymisierung der Personen und Ortsangaben ab. (Darin unterscheidet sich das Märchen auch von deutschen Sagen wie dem „Rolandshorn“ oder dem „Kyffhäuserschlaf“.)

Dennoch spielt das deutsche Märchen gewöhnlich, wie der Historiker Alexander Demandt in seinem Essay „Das deutsche Märchen“ (1991) feststellt, „im Mittelgebirge, nicht in den Alpen, selten an der See. (…) Die vertraute Landschaft erlaubt den Verzicht auf Milieubeschreibungen und ermöglicht Konzentration auf die Handlung. Auffällig ist … die Naturverbundenheit des deutschen Märchens. Sie kommt zum Ausdruck in der geringen Bedeutung der Stadt als Schauplatz. Häufiger ist das Dorf, unentbehrlich ist der Wald. Kein Volk der Welt verleiht dem Wald in seinen Märchen eine solche Bedeutung wie das deutsche.“

In den Grimm`schen Märchen bewahrt sich der Wald seine unheimliche Aura, auch wenn Gefahren stets überwunden werden und die Abenteuer glücklich enden. Märchen sind insofern ein Produkt der Romantik – die „in gewissem Sinne eine Gegenbewegung zur Aufklärung (war), als deren Vollstrecker Napoleon auftrat“. Seine gesellschaftspolitischen Ideale waren versammelt im Code Civil, einem bürgerlichen Gesetzbuch. Gegen Napoleon und seine Ideale wandte sich in Deutschland ein emotionaler Nationalismus und, nicht zuletzt in den Märchen der Gebrüder Grimm, das „Interesse an der heilen Vergangenheit“, wie Demandt bemerkt.

Politisierung des Waldes –

Parallel zur literarischen Vereinnahmung wurde der Wald zunehmend zum deutschen Wald ideologisiert, mit dem dann insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts identitätsstiftende Mythen wie die Hermannsschlacht verwoben werden. Hintergrund für diese veränderte Bedeutung des Waldes zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die existentielle Bedrohung der deutschen Staaten und des Kaisertums des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation durch Napoleon beziehungsweise den „Erzfeind“ Frankreich.

Schon unmittelbar nach der Revolution erfolgt 1792 die französische Besetzung des linken Rheinufers. Damit wurden die meisten pfälzischen Territorien Teil der Französischen Republik (auch das nach 1815 so bezeichnete „Rheinhessen“). 1803 folgt dann der Reichsdeputationshauptschluss, mit dem die Auflösung der Staatenordnung eingeleitet wird. Nun erfolgte eine Neuordnung der anderen deutschen Staaten, des restlichen Deutschlands. So wurden beispielsweise die rechtsrheinischen Gebiete der Kurpfalz ins neugeschaffene, vergrößerte Großherzogtum Baden integriert. (Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde die Pfalz ab 1816 durch das Königreich Bayern verwaltet und, nicht zuletzt zur Unterscheidung von der Oberpfalz, bis 1946 als „Rheinpfalz“ bezeichnet. Vor diesem historischen Hintergrund stand „Rheinpfalz“ lange Zeit auch für das pfälzische Weinanbaugebiet. Erst seit 1993 lautet der Name für dieses Anbaugebiet – wie die Region – „Pfalz“.) Zementiert wird diese Auflösung dann durch die Kaiserkrönung Napoleons 1804 beziehungsweise die Niederlegung der Kaiserkrone durch den Habsburger Franz II. im Jahr 1806 und die Niederlage Preußens gegen das napoleonische Frankreich im selben Jahr.

Als Gegenreaktion auf Napoleon erwacht der deutsche Patriotismus und Nationalismus. Wie der Rhein gewinnt auch der Wald kulturelle Bedeutung in Zusammenhang mit der Suche nach einer spezifisch deutschen Geschichte im Zeichen der antinapoleonischen Befreiungskriege (1813-1815). In einer Art Rückbesinnung wird der Wald zum Symbol nationaler Identität befördert: Es entsteht nun die Vorstellung, die deutsche Geschichte beginne im Jahr 9 nach Christus mit der Schlacht im Teutoburger Wald, als die germanischen Stämme, erstmals vereint, unter dem Cheruskerfürsten Hermann („Hermann dem Cherusker“) gegen die römische Besatzung kämpften. Hermann gelang es hier, drei römischen Legionen des Statthalters Publius Quinctilius Varus einen Hinterhalt zu stellen und ihnen eine entscheidende Niederlage beizubringen.

Mit diesem Sieg wird der Wald zum deutschen Wald: Dem siegreichen Hermann, so schlussfolgerte man, sei es gelungen die germanischen Völker im Kampf gegen Rom zu einen, er sei der erste historisch fassbare Deutsche. Beschrieben wurde so eine Art „anti-imperialer Gründungsakt“ (Münkler) Deutschlands, denn nach der verlorenen Schlacht beschlossen die Römer tatsächlich, die Germanenfeldzüge zu beenden und die Reichsgrenze am Rhein zu fixieren (auch wenn sich ihr Limes rechts vom Rhein befindet). Germanien blieb „frei“ und Rom begrub die Träume von einer Provinz Germania Magna.

Mythos Hermannsschlacht –

„Hermann“ hieß ursprünglich Arminus. Und der historische Arminius ist zwar um 16 vor Christus in Germanien geboren, er besaß jedoch römisches Bürgerrecht, da er in Rom aufwuchs. Es war Kloppstock, der Arminius, dessen germanischer Name unbekannt ist, in seinem Drama „Hermann“ nannte und die Varusschlacht zur „Hermannsschlacht“ machte.

Bevor er zum „Befreier Germaniens“ wurde, wie Tacitus schrieb, befehligte Arminius eine cheruskische Einheit, die in römischen Diensten stand. Um das Jahr 7 nach Christus kehrte er in das cheruskische Stammesgebiet zurück, wo er noch im selben Jahr Thusnelda gegen den Widerstand ihres Vaters heiratete. Zum Gegner Roms wurde Arminius, als der römische Statthalter in Germanien, Varus, beschloss, römisches Recht und Steuern einzuführen. Er plante einen Aufstand, und tatsächlich gelang es ihm, auch andere germanische Stämme (Marser, Chatten, Angrivarier und Brukterer) dafür zu gewinnen. „Hermann“ wird so zum nationalen „Identitätsstifter“, wie Münkler sagt – und spätestens nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon im Jahre 1806 zum Symbol der Hoffnung für alle, die sich mit der napoleonischen Besetzung nicht abfinden wollten.

Allerdings sind Gegensätze und auch Feindseligkeiten innerhalb der Germanen groß: Zwar treten sie im Kampf gegen die römischen Truppen des Varus vereint auf, von politischer Geschlossenheit jedoch konnte keine Rede sein, nicht einmal innerhalb der Cherusker, wo Thusneldas Vater seinen Widerstand gegen Arminius fortsetzte. Innergermanische Rivalitäten waren es auch, die schließlich dazu führten, dass Arminius im Jahr 21 nach Christus ermordet wurde.

Dass Arminius auf politischer Ebene scheiterte und sogar von Germanen (vermutlich sogar Verwandten) ermordet wird, bleibt in späteren Darstellungen ausgespart. Berücksichtigung jedoch findet, dass die Schlacht im Teutoburger Wald als tagelange Abfolge von Überfällen in sumpfigem Waldgelände stattfand und nicht in offener Feldschlacht. Sie liefert nun das Modell, nach dem man die militärisch überlegenen Franzosen besiegen könne.

Schon Montesquieu (1689-1755), der dann verfassungsgebenden Einfluss auf die Französische Revolution hatte, hat aus der Lektüre von Tacitus entnommen, „dass zur römischen Zeit freie Menschen in den Wäldern Mitteleuropas gelebt hatten, die sich erfolgreich gegen die Römer hatten behaupten können“, wie Küster bemerkt. Die Formel von Montesquieu, wonach die Freiheit aus den germanischen Wälder stammt, wurde nun von Heinrich von Kleist (1777-1811), der die Befreiung von der napoleonischen Herrschaft nicht mehr erleben sollte, wörtlich genommen.

In seinem 1808 verfassten Drama „Hermannsschlacht“ stellt Kleist, wie Günter Blamberger in der Biographie „Heinrich von Kleist“ (2011) ausführt, „Anweisungen zum Handeln in der gegenwärtigen Wirklichkeit“ bereit und führt vor, wie man den Befreiungskrieg als Partisanenkampf nach dem Vorbild des spanischen Widerstandes gegen Napoleon organisieren kann. Das Drama, so Blamberger, ist „ein Handbuch des preußischen Guerilleros. Das macht Kleist von Beginn an deutlich, in der Landschaftsmetaphorik der zweiten Szene. (…) Die Römer mögen wie die Franzosen in offener Feldschlacht überlegen sein, die Vertrautheit mit dem heimischen Gelände ist dagegen die Chance der Germanen. So kartiert Kleist in der Hermannschlacht wie ein Militärgeograph den deutschen Boden, die Wälder, Sümpfe, Berge, Sträucher, in denen sich die Germanen sicher bewegen und die Römer verheddern.“ Er insistiert auf den klassischen Morast, über den Heinrich Heine, wie eingangs zitiert, nur spotten kann. („Es kommt nicht von ungefähr“, schreibt Herfried Münkler in diesem Zusammenhang, „dass Ernst Jünger den Träger partisanischen Widerstands … als ‚Waldgänger‘ bezeichnet hat. (…) (A)uf Schillers und Goethes in den Xenien angestellten Überlegungen, wo es unter der Überschrift ‚Das Deutsche Reich‘ heißt: ‚Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden, / Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.‘ (…) Dagegen setzte Kleist als Antwort: Deutschland liege da, wo die Idee des Kampfes herrsche, über den und durch den Deutschland gewonnen werde. Die Personifikation dieser Idee des Kampfes war Hermann/Arminius.“)

Auch durch Kleist setzte sich der Gedanke durch, dass Germanien dank des Waldes nicht von den Römern unterworfen worden sei – und nun auch die Franzosen in diesem Lebensraum orientierungslos seien. Diese Vorstellung bestimmte den „historischen Imaginationsraum der Deutschen“ (Münkler) und bei den Neubegründungen von Wald im frühen 19. Jahrhundert wurden Wald und Staat im Zusammenhang gesehen: Man forstete auf, wie Küster feststellt, „als Maßnahme des mehr oder weniger stillen Widerstandes gegen Frankreich“. Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) forderte angeblich sogar, dass man einen undurchdringlichen Wald an der Grenze zu Frankreich pflanzen sollte. Aufgegriffen wird dieser Gedanke von Caspar David Friedrich in „Der Chasseur im Walde“ (1814):

Caspar David Friedrich, „Der Chasseur im Walde“ (1814)

Bei Caspar David Friedrich (1774-1840) findet der deutsche Wald vielleicht seine größte mythische Bedeutung. Bei ihm verwandelt sich der Wald endgültig zu einer politischen Landschaft, insbesondere in „Der Chasseur im Walde“: Dargestellt ist eine Szene an einer Waldlichtung (oder am Rand eines Fichtenwaldes), wo man eine Figur sieht, die erst bei näherer Betrachtung als französischer Soldat zu erkennen ist – als ein „Chasseur“, ein Jäger, Mitglied der französischen Elitereiterei. Er steht symbolisch für die französische Besatzungsmacht in einem ihm fremden, gefahrvollen und bedrohlichen Lebens- und Naturraum. Der Mythos war geboren.

Der deutsche Wald

In der Rückbesinnung auf Tacitus und die Hermannsschlacht entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts also ein besonderes Verhältnis der Deutschen zum Wald, dem nun ein ideeller Wert zuerkannt wurde. Bis dahin allerdings – noch vor der Entdeckung der Kohle – war der Anteil des Waldes in der Kulturlandschaft auf ein Minimum zurückgegangen. Zwar war Deutschland, anders als weite Regionen in Spanien, Italien oder England (wo das Holz auch für die maritime Schiffahrt von Bedeutung war), noch nicht völlig entwaldet, allerdings war das Land nur noch etwa zu einem Viertel bewaldet, und man initiierte nun die Aufforstung des geschrumpften Waldbestandes.

Tacitus‘ Bericht über Germanien ist „die älteste wirklich historisch zu nennende Nachricht über … die Wälder der Germanen oder der Deutschen“, bemerkt Küster. „Die Nachricht des Römers über die Bewaldung Deutschlands war ein wesentlicher Antrieb dafür, seit dem 18. Jahrhundert durch Aufforstung künstliche Wälder zu begründen, und es galt dabei, einen alten Zustand der ‚Natur‘ wiederherzustellen, wofür man eine Begründung aus historischer Sicht beizusteuern trachtete.“

Schon seit Jahrhunderten galt die Eiche als der germanische Baum schlechthin. Schon vor Tacitus berichtet Plinius der Ältere (23-49 nach Christus) von den germanischen Eichen, die er selbst als Offizier kennengelernt hat. Er war von ihnen so beeindruckt, „daß er schrieb, sie seien so alt wie die Welt (congenita mundi) und überträfen durch ihre ungeheure Größe, ihre eigenwillige Gestalt und ihre schicksalhafte Unsterblichkeit alle anderen Wunder Natur“, bemerkt Alexander Demandt in seinem Essay „Der deutsche Baum: Eiche oder Linde?“ (2002).

Die oft erwähnten heiligen Haine der Germanen dürften tatsächlich Eichenhaine gewesen sein. Zumindest war der berühmteste Baum der Germanen eine Eiche: die Donar-Eiche (Thors heilige Eiche) bei Fritzlar. Das Baumheiligtum wurde im Herbst 732 von Bonifatius gefällt, der das Christentum in Germanien eingeführt hat und zum Apostel der Deutschen wurde. Ins Bewusstsein trat der Eichenkult aber erst wieder mit dem deutschen Nationalismus im späten 18. Jahrhundert. Nicht nur bei Caspar David Friedrich werden Eichen zum Motiv – insbesondere bei Klopstock, der „den Germanenkult begründet“ hat, wie Demandt bemerkt, taucht die Eiche immer wieder mit politischer Symbolkraft auf. 1774 schreibt Klopstock: „Die Eiche war bei unseren Vorfahren mehr als etwas Symbolisches; sie war ein geheiligter Baum, unter dessen Schatten die Götter am liebsten ausruhten.“ Und im schon erwähnten Schauspiel „Hermanns Schlacht“ wird gar das Vaterland zur Eiche: „Du gleichst der dicksten, schattigsten Eiche / Im innersten Hain, / Der höchsten, ältesten heiligen Eiche, O Vaterland!“.

Bei den Germanen fungierte die Eiche als Freiheitsbaum, entsprechend wurde sie in Deutschland gepflanzt, besonders im Westen des Landes, in Westfalen und der Pfalz, das ja damals von Napoleon besetzt war. Die Eiche wurde hier zum Sinnbild für die Auflehnung, und als Napoleon wenig später besiegt wurde, war es nur folgerichtig, dass König Friedrich Wilhelm III. von Preußen das Eichenlaub symbolisch bei Auszeichnungen verwendete.

Für großflächige Aufforstungen der Wälder hingegen war die Eiche ungeeignet. Dafür wurden bevorzugt Nadelbäume verwendet, da sie schneller wachsen und aufgrund ihres hohen Harzgehalts Wildfraß verhindern (auch Laubbäume versuchen sich vor Wildfraß zu schützen – und zwar indem sie, wie die Weintrauben, Phenole, das heißt Tannine, produzieren). Neben Kiefern wurden insbesondere Fichten verwendet, die im Rheinland – das Preußen im Wiener Kongress, wo die politischen Verhältnisse im nachnapoleonischen Europa neu geordnet wurden, anstelle von Sachsen als Entschädigung zugestanden wird – bald „Preußenbaum“ genannt wurden. (Es waren aber nicht die Preußen, sondern die Franzosen, die im Rheinland mit dem planmäßigen und wirtschaftlich bedeutsamen Fichtenanbau begannen.) Fichten und Kiefern sollten wie keine anderen Baumarten künftig das Waldbild in Deutschland prägen.

Wald im Kontext deutscher Denkmalkultur –

Mit der Rezeption von Tacitus wurde Hermann Anfang des 19. Jahrhunderts gewissermaßen zum ersten Deutschen und der Wald zum wichtigsten Erinnerungsort nationalbewusster Deutscher – die Hermannsschlacht zum mythischen Ursprung und zum Symbolort für ein geeintes Deutschland gegen die „waldfremde“ Besatzungsmacht. Insbesondere der Teutoburger Wald als Ort der Schlacht wurde zum Geschichtsgrund des deutschen Volkes, der nach der Niederlage Napoleons bei der Völkerschlacht von Leipzig (1813) als nationaler Gründungs- und Orientierungsmythos noch an Bedeutung gewann, da auf dem Wiener Kongress (1814/15) die politische Einheit Deutschlands nicht hergestellt worden war. „Sie blieb ein Projekt“, schreibt Münkler, „das man im Hermann-Mythos als noch zu erledigende Aufgabe in den politischen Erwartungshorizont einschreiben konnte“.

Dennoch blieb der Teutoburger Wald zentraler Erinnerungsort der Deutschen, was dann noch zusätzlich durch die Errichtung eines Denkmals unterstrichen wurde. Mit dem Hermannsdenkmal sollte der Ort des Geschehens im Wald markiert werden, andererseits aber auch der Vorstellung überlegener deutscher Waldkultur gegenüber urbaner, romanischer Zivilisation Ausdruck verleihen.

© Bernd Sieker

Das Denkmal wurde zwischen 1838 und 1875 erbaut und am 16. August 1875 eingeweiht. Mit einer Höhe von über 53 Meter (die Figur des Hermann maß über 26 Meter) war die Kolossalstatue bis zur Errichtung der Freiheitsstatue (1886) die höchste Statue der westlichen Welt. Es wurde noch unter dem Eindruck französischer Ansprüche auf den Rhein errichtet – und sollte unmissverständlich Deutschlands Einigkeit verkünden.

Mit der Errichtung der Kolossalstatue setzt auch „eine Art nationaler Ikonografie des deutschen Waldes ein“, wie Münkler bemerkt. Anknüpfend an das Denkmal entstehen in der Zeit zwischen Kaiserkrönung (vor 150 Jahren im Jahr 1871) und Erstem Weltkrieg – abgesehen von den vielen „Kaisereichen“, die in dieser Zeit gepflanzt werden – zahlreiche Monumente, mit denen die regionalen Waldgebiete in das Netz nationaler Denkmalkultur eingebunden wurden. Dazu gehört insbesondere auch das Barbarossadenkmal im Kyffhäusergebirge. Nicht erst seit sich Napoleon zum Kaiser gekrönt und das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ aufgelöst hatte, galt der Stauferkaiser Friedrich I. (1122-1190), genannt Barbarossa („Rotbart“), als der letzte wirklich mächtige deutsche König und Kaiser. Er verwandelte sich seit dem späten Mittelalter in eine Sagengestalt, die in einem unterirdischen Schloss im Kyffhäuser ruhen sollte, um eines fernen Tages wiederzukehren. Diesen Tag sahen viele vor 150 Jahren am 18. Januar 1871 gekommen, als Wilhelm I. nach der gewonnenen Schlacht von Sedan im Spiegelsaal des Schlosses in Versailles zum Kaiser gekrönt wurde. Nun sei das mit Barbarossa untergegangene deutsche Reich wiederhergestellt.

bild proklamation kaiserreich

Anton von Werner, Die Proklamation des deutschen Kaiserreiches (1885, dritte Fassung). Im Mittelpunkt des Geschehens vor 150 Jahren übrigens, unhistorisch in weißer Uniform, nicht Wilhelm I., sondern Reichskanzler Bismarck, der mit der „Emser Depesche“ den Krieg gegen Frankreich erst provozierte.

Zusammen mit dem Niederwalddenkmal über den Weinlagen des Rüdesheimer Berges am Mittelrhein, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica, der Ruhmeshalle Walhalla bei Donaustauf, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, dem Bismarck-Denkmal in Hamburg und dem Deutschen Eck in Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet, gehören das Hermanns- und das Barbarossadenkmal zu den monumentalen, in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs errichteten Gedenkbauwerken Deutschlands.

Und auch das Hambacher Schloss im Pfälzerwald wäre vielleicht in die Liste historisch bedeutsamer Wahrzeichen einzuordnen, war es 1832 doch Schauplatz einer mehrtägigen Protestveranstaltung, des „Hambacher Festes“, der frühen Demokratiebewegung in Deutschland. Propagiert wurde neben demokratischen Grundrechten auch die nationale Einheit Deutschlands, symbolisiert in der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne (diese Farben wurden erstmals im Jahr 1813 bei den Uniformen des legendären „Lützowschen Freikorps“ in den Befreiungskriegen gegen Napoleon kombiniert). Wie die Fahne für ein freies und geeintes Deutschland steht, gilt das Schloss, das am Rande des Pfälzerwalds im Südwesten von Rheinland-Pfalz über dem Pfälzer Rebenmeer thront, seither als Sinnbild und Wahrzeichen für den Demokratie- und Freiheitswillen des deutschen Volkes in der Zeit der Restauration.

Klimawandel und deutscher Wald heute

Ohne menschliche Eingriffe wäre Deutschland heute zu rund 90 Prozent bewaldet. Außer in den Alpen und auf sehr nassen oder sehr trockenen Standorten würden überwiegend Buchenwälder vorkommen, da sich etwa ein Viertel des natürlichen Verbreitungsgebietes der Rotbuche in Deutschland befindet. Sie kommt mit den meisten Standortbedingungen gut zurecht und reagiert auch auf Klimaänderungen relativ elastisch, das heißt die Rotbuche kann sich, anders viele andere Baumarten, solchen Veränderungen anpassen.

Natürlich gewachsene Buchenwälder fungieren in Mitteleuropa als Lebensraum für etwa 4.300 unterschiedliche Pflanzenarten und Pilze sowie über 6.700 Tierarten. Insbesondere Totholz, als natürlicher Bestandteil solcher Wälder, ist außerdem noch Lebens-und Nahrungsgrundlage unzähliger weiterer Lebewesen, allein 1.500 höhere Pilzarten und über 1.300 Insektenarten sind davon abhängig. Darüber hinaus kann Totholz besonders viel Wasser speichern und trägt mit der Verdunstung entscheidend zur lokalen Kühlung bei. Temperaturschwankungen werden in einem Wald mit viel Totholz entsprechend stärker aufgefangen.

Die Totholzmenge wird durch die Waldbewirtschaftung gesteuert, das heißt ihr Anteil ist im forstwirtschaftlich genutzten Wald eher niedrig: nur etwa fünf Kubikmeter Totholz pro Hektar Wald sind in unseren Wirtschaftswäldern vorhanden, während man in einem naturnahen Wald mindestens 60 Kubikmeter vorfindet (und in einem Urwald weit über 100 Kubikmeter, manchmal sogar 300 Kubikmeter Totholz pro Hektar). Heute allerdings ist nur noch etwa ein Drittel des Landes bewaldet, und aufgrund der Nutzungsgeschichte vergangener Jahrhunderte gibt es hier praktisch keinen Urwald mehr.

Im sogenannten hölzernen Zeitalter – also bis Mitte des 19. Jahrhunderts – wurden die Wälder in Mitteldeuropa großflächig übernutzt und gerodet, sodaß zwischenzeitlich auf nur noch etwa zehn Prozent der heutigen Fläche Deutschlands Wald stand. Deshalb wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Forstverwaltungen mit großflächigen Wiederaufforstungen begonnen. Allerdings entstanden mit der Aufforstung der Wälder große Nadelholzmonokulturen: In den neuen Wäldern kamen fast ausschließlich Kiefern und Fichten zur Verwendung. Sie kamen damals mit den ausgelaugten Böden der zerstörten Wälder am besten zurecht, da sie im Hinblick auf ihre Nährstoffversorgung relativ anspruchslos sind. Außerdem sind beide schnell wachsend und mit ihren geraden Stämmen leicht zu verarbeiten, was der Nachfrage nach vielfältig verwendbaren Baumarten entgegen kam. Allerdings haben beide auch einen entscheidenden Nachteil: Sie sind anfällig für Schädlingsbefall, und sie trocknen den Wald aus. Gerade die Fichte hat einen enormen Wasserbedarf und mit ihren flachen Wurzeln im zunehmend warmen Klima mit Trockenheit und Wassermangel zu kämpfen. Das gilt ähnlich auch für die Kiefer: Großflächige Kiefernwälder waren es, die in den extrem heißen Sommern 2018 und 2019 in Brandenburg brannten (72 % des Waldes in Brandenburg sind Kiefernforst). Mindestens 110.000 Hektar Wald sind in diesen beiden Jahren in Deutschland vertrocknet, vom Borkenkäfer befallen worden oder eben verbrannt.

Dennoch sind solche angepflanzten Nadelholzplantagen bis heute großflächig in unserem Landschaftsbild zu finden: Mit 48 Prozent der Waldfläche sind Fichten und Kiefern nach wie vor die häufigsten Baumarten im deutschen Wald. Diese Waldflächen unterscheiden sich deutlich von natürlich gewachsenen Wäldern und werden fast ausnahmslos forstwirtschaftlich (als sogenannter „Altersklassenwald“) genutzt. Weltweit ist der Wald Lebensgrundlage für etwa 1,6 Milliarden Menschen und auch in Deutschland ist etwa die Hälfte des Waldes in Privatbesitz. Allerdings sind nur noch etwa 32 % der deutschen Landfläche bewaldet und angesichts der klimatischen Veränderungen bezweifelt niemand mehr ernsthaft, dass Kiefern und Fichten in Deutschland an den meisten Standorten keine Zukunft haben werden, denn die Niederschläge haben sich dramatisch reduziert, in Brandenburg waren es zuletzt nur noch etwa 300 Milimeter jährlich. Die vergangenen vier Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Wie die Reben leiden auch die Wälder unter zu viel Hitze und zu wenig Niederschlag. Der Wald stirbt auch in Deutschland.

In Deutschland wachsen 90 Milliarden Bäume, weltweit sind es etwa 3.040 Milliarden Bäume, pro Kopf also rund 400. Jedes Jahr werden aber um die 15 Milliarden davon gefällt oder verbrannt. Dadurch gehen gigantische Speicher für Kohlenstoff verloren (allein der Amazonasregenwald bindet etwa 1,4 Milliarden Tonnen CO2 jährlich, was etwa 14 % entspricht), und auch deshalb schreitet der Klimawandel immer schneller voran. Dafür will beispielsweise die junge Regisseurin Anna-Sophie Mahler ein Bewusstsein schaffen: In ihrer Inszenierung „Waldesruh“ in der Tischlerei der Deutschen Oper in Berlin im Oktober letzten Jahres griff sie die romantische Mythisierung des Waldes auf und kontrastierte sie mit aktuellen Forschungsergebnissen, vor allem zum Trockenstress von Wäldern angesichts der klimatischen Veränderungen in Deutschland.

Die Klimaveränderung ändert auch unsere Wahrnehmung vom Wald. An die Stelle der romantischen, idyllischen „Waldesruh“ tritt zunehmend eine Art postindustrielle „Walduntergangsstimmung“, zuletzt Ende Februar im Waldzustandsbericht 2020 der Bundesregierung. Mischwaldkulturen wären eine Lösung. Sie entwickeln sich allerdings nur langsam – und sind insofern nicht wirtschaftlich, stellen unsere „Fortschrittsvorstellungen“ in Frage. Aber wäre echter Fortschritt nicht eben die Entwicklung eines Empathievermögens angesichts der ökologischen Verstrickungen von sozialen und natürlichen Prozessen? Geht es im Zeitalter des Anthropozän nicht darum, ein ökologisches Bewusstsein für die wechselseitige Abhängigkeit von natürlichen und menschlichen Lebensformen zu entwickeln?

Umweltprobleme wie der Klimawandel sind ohne Zweifel nicht von dem Menschen gemacht, sondern von der kapitalistischen Gesellschaft, weshalb bisweilen anstelle von „Anthropozän“ auch von „Kapitalozän“ gesprochen wird. Man versucht damit dem Umstand Rechnung zu tragen, dass menschliches Handeln immer von politischen und ökonomischen Machtbeziehungen vor dem Hintergrund eines globalisierten Kapitalismus beeinflußt ist. Umweltveränderungen sind insofern stets auch durch ein ökonomisch-kapitalistisches System der Aneignung von Natur verursacht. Probleme dieser Art offenbaren, dass unsere Konsumkultur merklich an ihre Grenzen stößt. Oder wie es der Biologe Pierre Ibisch in einem Gespräch mit „Die Zeit“ (34/2020) formulierte: „Wie viel Biomasse ein Wald für sich selbst braucht, um intakt zu bleiben, sich selbst zu kühlen und möglichst viel CO2 zu binden: Das definiert die Grenzen unseres Konsums.“

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