Weinglossar

England

Der Klimawandel sorgt dafür, dass es in England immer wärmer wird und mittlerweile ähnliche Bedingungen herrschen wie in der Champagne vor etwa dreißig Jahren. Das hat dazu geführt, dass zunehmend mehr Wein angebaut wird – der dann zu einem inzwischen angesehenen Konkurrenzprodukt zum Champagner verarbeitet wird: „English Quality Sparkling Wine“.

England_Weinanbaugebiete

Etwa 3.500 Hektar stehen im südlichen England schon unter Reben, die meisten von ihnen in den Grafschaften Kent (dem traditionellen „Garten von England“), East und West Sussex sowie in Surrey. Etliche kleinere Lagen (etwa 500 gibt es insgesamt) befinden sich an den Ufern der Themse und anderer, kleinerer Flüsse. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Weinanbaufläche aufgrund der Klimaerwärmung in den nächsten Jahren sogar auf 6.000 Hektar anwachsen wird.

Dabei sind etwa die Hälfte der Rebflächen in England mit den Champagner-Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir und Meunier bepflanzt und dienen der Schaumweinherstellung (werden dafür andere Rebsorten verwendet, ist es „nur“ ein „English Sparkling Wine“). Und die Tendenz ist steigend: Der Erfolg der englischen Schaumweine führt dazu, dass bald drei Viertel der Produktion dem Schaumwein gilt – die Umsätze jedenfalls steigen immer noch jährlich um etwa dreißig Prozent.

Weinbau in England hat eine lange Tradition, das heißt schon die Normannen unter Wilhelm dem Eroberer haben in Südengland im 11. und 12. Jahrhundert Wein angebaut. Insofern fügt sich der Weinbau heutzutage gewissermaßen natürlich ein, schließlich verleihen die Kalkfelsen an der englischen Südküste dem Wein dieselbe Mineralität und Säure wie der Kalkboden im nördlichen Frankreich, sie ähneln sich stark: In der Champagne tritt der Rand eines unterirdischen Beckens hervor, das sogenannte Pariser Becken, dessen anderes Ende in Südengland verläuft. Ein berühmter Abschnitt dieses Beckens liegt bei Kimmeridge, unweit der bekannten „Jurrasic Coast“, weshalb der Sedimentboden des Pariser Beckens auch Kimmeridgium-Boden genannt wird.

England_Pariser Becken

Der Kimmeridgium-Kalkboden stammt aus der Kreidezeit vor rund 130 Millionen Jahren und ist insofern etwas jünger als die benachbarte „Jurrasic Coast“, die auf das Erdzeitalter des Jura vor etwa 185 Millionen Jahren verweist (die ältesten Schichten des Pariser Beckens selbst sind allerdings noch älter und stammen aus dem Perm-Zeitalter). Aus Kimmeridgium-Kalk ist auch der über 100 Meter hohe Kreidefelsen von Dover. Aus seine Klippen sind in der Kreidezeit entstanden, als das Pariser Becken noch in tropischen Gewässern lag. Skelette von prähistorischen Meeresbewohnern (Kalkflagellaten) sowie fossile Austernschalen sammelten sich am Grund zu Sedimenten, die später zu Kalkstein verdichtet und vor etwa 90 Millionen Jahren über den Meeresspiegel angehoben wurden.

Seither unterliegen die Felsen Erosionsprozessen, die früher durch viel breitere, vorgelagerte Strände gebremst wurden: bis vor 150 Jahren brachen durch die Erosion jährlich nur etwa 2 bis 6 Zentimeter der Steilküste ab – inzwischen jedoch sind es aufgrund der globalen Erwärmung, die den Meeresspiegel steigen läßt und stärkere Stürme begünstigt, bereits etwa 30 Zentimeter jedes Jahr. Stürme auf dem Meer lassen immer größere Wellen entstehen, die sich auch auf die englische Küstenlandschaft auswirken.

Abgesehen vom Boden und dem Herstellungsverfahren ist es allerdings insbesondere auch die Klimaerwärmung, die dafür sorgt, dass englischer Schaumwein einem Champagner inzwischen von der Qualität her in nichts mehr nachsteht (und sich auch die großen französischen Champagnerhäuser wie Taitinger und Pommery hier niedergelassen haben). Wie der Boden korrelieren nämlich auch die klimatischen Veränderungen in England und der Champagne: in beiden Regionen wird es spürbar wärmer und so die Verhältnisse auf der Insel inzwischen so, wie sie in der Champagne in den 1960er Jahren waren.

War früher bei den englischen Grundweinen noch Chaptalisierung üblich, steigt der natürliche Zuckergehalt der Trauben seit nunmehr 30 Jahren aufgrund der steigenden Durchschnittstemperaturen kontinuierlich um 1,6 Oechslegrade pro Jahr an und man kann auf die Zugabe verzichten. Und so wundert es nicht, dass „English Quality Sparkling Wine“ inzwischen gleichwertig zu Champagner ist, ja, bereits 2001 bei den den „Decanter World Wine Awards“ – dem ersten direkten Vergleich zwischen den Schaumweinen beider Regionen – ein „Blanc de Blancs“ vom Weingut „Ridgeview“ aus Kent gewonnen hat.

Der einzige Unterschied zwischen England und der Champagne ist die Meeresnähe und der damit verbundene Wind, weshalb die Reben in England niedriger und dichter stehen. Der Regen und die Feuchtigkeit sorgen dafür, dass sich die englischen Schaumweine durch einen etwas lebhafteren, frisch-fruchtigen Stil auszeichnen. Allerdings bringt die Klimaveränderung auch unwägbares Wetter mit sich: So war beispielsweise die Wachstumsphase im Jahr 2019 gut, als es aber zur Lese kam Mitte September, begann es unaufhörlich zu regnen, weshalb die Reben aufhörten zu wachsen und sich kein phenolischer Charakter entwickelte. Die Winzer*innen waren genötigt schnell lesen, unabhängig davon, ob die Trauben ihre Reife erreicht hatten oder nicht.

Trotz der stark schwankenden Lesemengen aufgrund des unberechenbaren, feuchten englischen Wetters, produzieren die über 100 Weinbaubetriebe des Landes etwa 2,5 Millionen Flaschen pro Jahr. Produziert wird allerdings hauptsächlich für den Bedarf auf der Insel, denn die immer noch nicht ganz einfachen Produktionsbedingungen wirken sich nicht nur auf die Produktionsmenge aus, sondern auch auf den Preis, was Exporte zusätzlich erschwert. Außerdem sind Importweine bisweilen häufig billiger als die eigenen Weine (die Auswirkungen des „Brexit“ bleiben abzuwarten). Nichtsdestotrotz haben sich englische Schaumweine zurecht einen ernstzunehmenden Namen gemacht und die Perspektiven bleiben, gerade auch angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung, gut.

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