Südlich des Piemonts, wo die Alpen in den Apennin übergehen, liegt Ligurien mit seinen felsigen Terrassen an der Riviera des Cinque Terre. Dicht gedrängt zwischen Berg und Wasser bleibt hier kaum noch Platz für den Rebbau, entsprechend gering ist die Produktion auf den etwa 1.500 Hektar Rebfläche, wenn auch eigenständig.

Folgt man Hugh Johnson, ist der bemerkenswerteste Wein aus Ligurien der rote Rossese. Er wird an der Grenze zu Frankreich bereitet, dort heißt er Rossese di Dolceacque. In Genua hingegen nennt man ihn Rossese di Albenga. Er kann frisch, fruchtig und einladend duftend geraten und wird angeblich im Alter besser. Unabhängig davon – die bemerkenswerteste Weinbauregion in Ligurien ist sicherlich die Cinque Terre.
Die Cinque Terre ist ein nur 12 Kilometer langer Streifen an der ligurischen Küste – eigentlich aber ein längst von der Zeit überholt geglaubtes Italien. Ihre fünf Dörfer eignen sich jedenfalls zur romantischen Verklärung, wie in Deutschland der Mittelrhein. Von einem „smaragdfarbenen Meer“ ist dann bisweilen zu lesen, bei dem „der Blick, befreit von Düsternis, die blaue Unendlichkeit durchmaß“. Aber das Leben in der Cinque Terre war niemals so romantisch, wie man es sich heute vielleicht vorstellen mag: Eingezwängt zwischen Felsen und Meer führten die Menschen hier einen ständigen Kampf ums Überleben, waren sie doch am wildesten und unzugänglichsten Teil der ligurischen Riviera verhaftet. Riomaggiore, Manarola, Corniglia, Vernazza und Monterosso waren jahrhundertelang von der Aussenwelt abgeschlossen. An die Steilküste geklebt, waren sie nur zu Fuß oder über das Meer erreichbar. Aber nur so isoliert konnten sie sich lange auch ihre Schönheit bewahren – die allerdings nichts mit einer romantischen Idylle zu tun hat, sondern aus der Armut der Menschen erwuchs.
Um dem steilen Küstenstreifen nördlich von La Spezia überhaupt Land für die Landwirtschaft abringen zu können, haben die Menschen der Cinque Terre Stein um Stein aufeinandergefügt und in mühsamer Arbeit Terrassen angelegt, die sie dann für den Weinbau nutzten – für die gewöhnliche Landwirtschaft war ihnen die Erde zu wertvoll. Aus der Not heraus hat so Generation um Generation seit fast 1.000 Jahren eine einzigartige Kulturlandschaft geschaffen – eine gestaltete Landschaft. Denn aneinandergereiht sind die Trockenmauern, die die Weinterrassen stützen, länger als die chinesische Mauer: insgesamt 11.000 Kilometer.
Die Menschen hier haben sich den Bedingungen angepaßt und Rebsorten auf den kleinen Parzellen angepflanzt, die den kalten, salzigen Südostwinden standhalten: In den Terrassen wachsen Albarola, Uva di Bosco und Pigato (Vermentino), der nach mediterranen Kräutern schmeckt, einen weichen Geschmack hat und eine salzige Note hinterläßt. Um von ihren Dörfern zu ihnen zu kommen, mussten sie allerdings weite Wege zurücklegen. Erst die schmalen Straßen, die dann in den 1960er Jahren gebaut wurden, erleichterten ihnen den Weg in die Weinberge.
Die Arbeit im Weinberg war schon immer Handarbeit – und vor allem Frauensache. Die meisten Männer zogen als Saisonarbeiter nach Toulons, Genua oder La Spezia, wo sie sich im Arsenal von La Spezia verdingten. An maschinelle Unterstützung ist in den Terrassen dabei heute noch nicht zu denken, dafür ist es viel zu steil. Allein eine eingleisige Monorackbahnen, Trenino genannt, erlaubt es, Mensch und Material die Hänge hoch zu transportieren. Nur sie erleichtert die ansonsten waghalsige Kletterei in dem Gelände.
Die wehrhafte Architektur der Dörfer der Cinque Terre erinnert daran, dass sich die Bewohner oft gegen Angriffe vom Meer her verteidigen mußten. Aber von dort kamen auch die Händler, die den Wein kauften – früher war das auch noch öfter ein Dessertwein mit dem Namen Sciacchetia aus getrockneten Trauben von der Steilküste. Das Meer war lange Zeit ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Manchmal aber gab es auch nichts zu verkaufen: Wenn Schädlinge oder Hagel die Ernte vernichtet hatte, verdienten sie nichts und mußten auf das nächste Jahr warten.
Es war ein hartes Leben auf engstem Raum. Aus der Not heraus fuhren die Männer zu See, auch wenn sie vielleicht Angst davor hatten. Nur in Vernazza und Monterosso gibt es überhaupt einen kleinen natürlichen Hafen und einige Fischer. Von Schiffsuntergängen und wundersamen Errettungen jedenfalls erzählen die Votivtafeln in den Kirchen der Cinque Terre. Für die Bewohner kam vom Meer insofern immer nur Unheil, vielleicht sind auch deshalb in Ligurien alle Friedhöfe dem Meer zugewandt. Das schlimmste aber waren die Piraten, die diesen abgelegenen Küstenfleck bis zum 18. Jahrhundert wieder und wieder heimsuchten: sie hatten es auf Menschen abgesehen und fingen sich hier ihre Sklaven.
Dann allerdings, 1870, veränderte sich vieles, denn es wurden Tunnel gesprengt und eine Eisenbahnlinie gebaut – Gleise mitten durch die Orte verlegt – und die Cinque Terre mit Genua und La Spezia verbunden. Der Bau der Bahn schaffte Arbeitsplätze, umgekehrt kamen so auch die ersten Fremden in die fünf Dörfer. Die Cinque Terre entdeckte die Welt – und die Welt die Cinque Terre.
Das gemeinsame Erbe der fünf Gemeinden der Cinque Terre ist heute insbesondere auch die einzigartige Kulturlandschaft, seine Weinterrassen. Doch die werden nach und nach von der Macchia, den mediterranen Gebüschen, zurückerobert. Zudem gibt es immer weniger Winzer. Und so wird es schwierig sein, die einzigartige Weinlandschaft auch in Zukunft zu erhalten, so romantisch die Cinque Terre auch erscheinen mag …